Freitag, 30. Januar 2009

Asse: Arbeiten am Atommüll /30.01.09

Ortstermin in Asse II
Arbeit am Atommüll
Von Joachim Wille

Es ist trocken, staubtrocken. Und feucht, sogar nass. Passt nicht zusammen? Genau, und das ist das Problem. Es ist gleichzeitig trocken und nass - tief unter der Erde in Deutschlands ältestem Atommüll-Lager: der "Asse". Das darf nicht sein.

Andreas Liedtke hat hier, auf Bergwerks-Sohle minus 658 Meter, den Job, die Dinge auseinander zu halten. Wasser-Manager könnte man ihn nennen, wenn es so etwas gäbe. Oder Laugen-Manager, das wäre genauer. "Wir fangen die Brühe auf und lassen sie abholen", sagt der Asse-Arbeiter, ein End-Vierziger, der an einer der kritischsten Stellen in dem umstrittenen Atommüll-Lager schafft. Liedtke arbeitet in einer alten, leergebaggerten Kammer des Asse-Salzstocks. Dort sickert die Flüssigkeit aus der Decke heraus. Auf dem Boden liegt eine Folie. Auf der sammelt sich die Lauge, und die fließt über einen Schlauch in einen Plastik-Container. Immer wenn das 1000-Liter-Fass voll ist, wird es durch die Asse-Gänge zum Schacht und dann nach oben gebracht. 7 Liter pro Minute, 416 Liter pro Stunde, zehn Kubikmeter pro Tag. Tag für Tag. Unablässig, unaufhörlich, unstoppbar. Liedtke arbeitet seit 25 Jahren, sechs Monaten und sieben Tagen hier in der Asse, sagt er.

Ein Lager für Nuklearmüll muss trocken sein, das ist die Lehrmeinung. Denn das gibt Schutz davor, dass die strahlenden Stoffe, die die Wahnsinnszeit von einer Million Jahre von der Biosphäre abgetrennt bleiben sollen, sich irgendwann doch ausbreiten, aufsteigen, ins Grundwasser und in die Luft gelangen. Aber in der Asse geht es eben nicht nach der reinen Lehre. In der Asse haben sie, wie es offiziell heißt, einen Laugen-Notstand, seit es Mitte 2008 mit der relativen Ruhe um das Projekt aus der Frühzeit der Atomeuphorie vorbei war. Inzwischen überschlagen sich die Meldungen über unhaltbare Zustände in dem Bergwerk, das bei Wolfenbüttel in Niedersachsen liegt. Einsturzgefahr ab 2014, bröselnde Salzgestein-Decken über Kammern mit kaputten, verbeulten, verrosteten Atomfässern, strahlende Pfützen, dubiose blei-ummantelte Fässer mit unklarem Inhalt.

Liedtke, der Wasser-Wächter, kann die Aufregung nicht verstehen. "Das hier ist ein sicherer Arbeitsplatz", sagt er. Tatsächlich ist die Strahlenbelastung, die man sich unten in der Asse einfängt, sogar niedriger als übertage durch die natürliche Radioaktivität - solange man außerhalb der Kontroll- und Sperrbereiche bleibt. Viele Fehlinformationen liefen über die Medien, kritisiert Liedtke. "Die bringen die Sachen durcheinander." Fakt ist freilich: Der langjährige Betreiber, das Helmholtz-Zentrum München (früher hieß es Gesellschaft für Strahlenschutz), bekam von der Bundesregierung die Zuständigkeit abgenommen. Seit dem 1. Januar 2009 ist das Umweltminister Sigmar Gabriel unterstehende Bundesamt für Strahlenschutz im nahen Salzgitter Herr des Verfahrens - gemäß einem Diktum des SPD-Ministers, der in der Gegend übrigens seinen Wahlkreis hat - und das Endlager als "löcherig wie einen Schweizer Käse" bezeichnete.

Die Löcher erklären sich aus der Geschichte der Grube. Liedtkes Sohle ist nur eine von 13 Abbau-Etagen in Tiefen von 490 bis 750 Metern, aus denen seit 1899 Kali-Dünger und feines Steinsalz - der Hausfrau damals als Asse Sonnensalz bekannt - herausgeholt wurden. 1964 war damit Schluss. Der weitere Abbau lohnte sich nicht mehr. Bald meldete sich eine Interessentin: die Bundesrepublik Deutschland. Und zwar in Form der Gesellschaft für Strahlenschutz. Für rund 600000 Mark wechselte die Grube 1965 den Besitzer. Die Rechner im für die Finanzen zuständigen Forschungsministerium hielten das für ein Schnäppchen. Hintergrund: Das Kernforschungszentrum Karlsruhe, ebenfalls in Staatsbesitz, wollte damals Atommüll los werden. Eine Halle für das strahlende Zeugs zu bauen, hätte 1,6 Millionen Mark gekostet. Da schien die Asse spottbillig. Zumal man damit auch jede Menge Platz für weiteren Nuklearabfall aus Industrie und Medizin bekam. So mutierte die Asse zum weltweit ersten Endlager für Atommüll, obwohl es offiziell doch nur ein "Forschungsbergwerk" sein sollte. Ziel: zu untersuchen, ob Salzstöcke - wie etwa Gorleben - sich denn überhaupt als Endlagermedium eignen, in dem der strahlende Abfall dauerhaft sicher untergebracht werden kann.

Sorglosigkeit stand Pate. Die interne Bewertung, die Grube sei als Atom-Grab "nur beschränkt" geeignet, fiel unter den Tisch. Unbeachtet blieben auch Warnungen der Praktiker vor Ort. Verbürgt ist die Aussage eines erfahrenen Obersteigers: "Wir kämpfen doch schon seit Jahren gegen das Wasser." Der Schacht Asse II werde absaufen wie Asse I und III vor ihm. Tatsächlich hatten die Burbacher Kaliwerke den ersten Zugang zu dem Salzstock schnell aufgeben müssen. Der Grund: Sie hatten das Gestein, um möglichst viel Kali und Salz abbauen zu können, bis auf wenige Meter an das darüber liegende, wasserführende Deckgebirge ausgehöhlt. Das bahnte der Zerstörung den Weg. Wasser ist Gift für die Stabilität des Gesteins, denn es laugt besonders die Kali-Schichten aus, die das Salz durchziehen. Sie bröseln, werden brüchig, fallen zusammen.

In den 60er Jahren machte man sich deswegen keinen Kopf. 1967 ließ das Bundesforschungsministerium die ersten Atommüll-Fässer heranschaffen. Sie landeten in Kammer 4 in 750 Metern Tiefe. Zuerst packten die Bergleute sie ordentlich nebeneinander, sozusagen "rückholbar", dann, um sie dichter zu packen, übereinander. Aber auch das schien irgendwann zu mühselig. In den 70er Jahren kippte man die Fässer von einer aufgeschütteten Böschung einfach in den Hohlraum ab. Am Ende noch loses Salz drüber - fertig. Die Vorgabe, sie so zu lagern, dass man sie irgendwann auch wieder rausholen könnte, wurde stillschweigend fallen gelassen.

Was genau in der Asse liegt, weiß keiner. Es gab keine Deklarationspflicht für die einzelnen strahlenden Isotope. Zwischen 1967 und 1978 landeten in gut 700 Metern Tiefe 125000 Fässer mit niedrig strahlendem Müll und bei minus 500 Meter 1300 Fässer mit mittelradioaktivem Abfall. Die Fässer enthalten nach radiologischen Berechnungen unter anderem zwölf Kilogramm des hochgiftigen Plutoniums und 102 Tonnen Uran.

Im Jahr 1988 kam das Wasser. Auf einmal war es da. Jene insgesamt zwölf Kubikmeter pro Tag, die bis heute durch den Berg drücken. Es wurde klar: Die Asse ist dauerhaft nicht zu halten. Während die Endlager-Forschung - Stichwort: Erkenntnisse für Gorleben gewinnen - noch bis 1995 weiterlief, startete der Asse-Betreiber den ersten Versuch, das Brösel-Bergwerk zu stabilisieren. Er schaffte gigantische Mengen Abraum-Salz von anderen Bergwerken in die Kavernen, um sie aufzufüllen und so den Druck von oben aufzufangen. Doch der eingeblasene "Salzgrus" sackte wieder zusammen. Über dem Material bildeten sich neue Spalten.

Annette Parlitz steigt in die Eisen. Der offene Geländewagen, mit dem die junge Asse-Mitarbeiterin die Besucher rasant durch die warmen Schächte des Bergs gefahren hat, stoppt abrupt. Parlitz leuchtet mit ihrer Grubenlampe nach oben. Eine offene Kaverne, Salzgrus bis fast zur Decke. Darüber eine Lücke, vielleicht zehn, 20 Zentimeter Luft statt Salz. "Das stützt gar nichts", sagt Parlitz. Weiter unten im Berg dann eine Stelle, wo man versucht hat, das nachsackende Salzpulver mit einer Schicht Beton zu stabilisieren. Schon besser, aber auch nicht richtig erfolgreich. Das ist der Grund, warum das Helmholtz-Zentrum nach 2002 ein neues Konzept entwickelte, das den Protest gegen die Asse erst so richtig ins Laufen brachte: Flutung des Atom-Lagers. Die Asse einfach vollzupumpen mit riesigen Mengen einer Magnesiumchlorid-Lösung, die das Gestein nicht weiter auslaugen würde, erschien den Experten die einfachste Lösung. Dass sie heikel ist, war ihnen wohl klar. Denn irgendwann würden Plutonium, Uran und Co. aus den rostenden Fässern austreten. Und irgendwann, vielleicht in 150, in 1000 oder 10000 Jahren, auch an die Oberfläche kommen. Die Grenzwerte würden aber nicht überschritten, hieß es.

Was da geplant war, sickerte erst allmählich nach draußen durch. "Ich konnte es gar nicht glauben", sagt Heike Wiegel, eine SPD-Kommunalpolitikerin. Sie wohnt in der kleinen Ortschaft Remlingen, nur zwei Kilometer von der Asse entfernt. Sie erinnert sich: "Der Atommüll wird nicht trocken gelagert werden können", trug ein Experte 2003 auf einer Info-Veranstaltung der Asse-Betreiber vor. Wiegel, die die Bürgerinitiative AufpASSEn mitgründete, forschte nach. Der damalige Asse-Betriebsleiter habe eingeräumt, es werde "zehn bis 100 Jahre" dauern, bis der Atommüll komplett in Lösung gegangen sei. Wiegel kommt in Rage, wenn sie davon erzählt. "Wenn es 150 Jahre dauert, bis das Zeug an der Oberfläche ist, betrifft das ja schon meine Enkel." Die zierliche, vom Naturell her eigentlich zurückhaltende Frau, hat nun sieben Jahre Kampf gegen die Asse hinter sich. Und erstmals gibt es einen Lichtblick, seitdem Gabriel und das Bundesamt für Strahlenschutz das Bergwerk regieren.

Der heißt im Amtsdeutsch: Optionen-Vergleich. Experten untersuchen, ob es Alternativen zur Flutung gibt. Ob es möglich ist, die Atomfässer wieder aus der Asse herauszuholen, um sie anderswo einzulagern. Ob eine bessere Methode der Stabilisierung mit Beton das Problem lösen kann. Bis zur Entscheidung werden noch Monate vergehen. Sicher ist derweil, dass die Asse den Steuerzahler viel Geld kosten wird. Hartmut Reime, ein Kollege von Andreas Liedtke, sagt dazu: "Man hätte hier mit dem Atommüll gar nicht anfangen dürfen." Eine Erkenntnis, die 44 Jahre zu spät kommt.
Quelle:
fr-online.de

Generelles Klageverbot gegen Atommülltransporte wird aufgehoben /30.01.09

BVG-Urteil zu Castor-Transporten
Anwohner dürfen klagen
Das Bundesverfassungsgericht hebt generelles Klageverbot gegen Atommülltransporte auf. Zudem müsse der Schutz der Transporte gegen Terrorangriffe geklärt werden.
VON CHRISTIAN RATH

KARLSRUHE taz. Das Bundesverfassungsgericht fordert wirksamen Rechtsschutz gegen Atommülltransporte. Es verstoße gegen das Grundgesetz, wenn gegen Castor-Transporte überhaupt nicht geklagt werden könne, heißt es in einer am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung (Az.: 1 BvR 2524/06). Anders lautende Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg wurden aufgehoben.

Konkret ging es um einen Castor-Transport im Sommer 2003, gegen den zwei Anlieger klagen wollten. Ein Mann wohnte in der Nähe des Verladebahnhofs Dannenberg, eine Frau an der Straßenstrecke zum Zwischenlager Gorleben. Sie hielten die Gefahren durch mögliche Unfälle und Terroranschläge für unverantwortbar groß.

Doch beide Klagen wurden von den niedersächsischen Verwaltungsgerichten gar nicht erst geprüft, sondern gleich als unzulässig zurückgewiesen. Gegen Atomanlagen könne nur klagen, wer in einer "engeren räumlichen Beziehung" hierzu lebe. Sonstige Personen müssten sich, ohne Möglichkeit einer gerichtlichen Prüfung, einfach darauf verlassen, dass die Behörden Grenzwerte und andere Schutzbestimmungen schon einhalten. Bei Anwohnern der Castor-Strecke wurde die Klagebefugnis verneint, weil die Anwohnerin 8 Meter von der Straße entfernt wohne; damit sei sie nicht mehr betroffen als jeder beliebige Passant auf der Straße. Ihr Risiko gehe nicht über das allgemeine Lebensrisiko hinaus.

Diese Argumentation hat das Bundesverfassungsgericht nun beanstandet, weil dabei das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt sei. Der Bürger könne sich auf seine Grundrechte auch dann berufen, wenn viele oder gar alle Personen in einer bestimmten Gegend betroffen seien. Die Zahl der Betroffenen reduziere schließlich nicht das individuelle Risiko durch einen möglichen Unfall. Außerdem, so Karlsruhe, habe die Frage, ob Castor-Transporte ausreichend gegen Terrorangriffe geschützt seien, durchaus grundsätzlichen Charakter.

Das OVG Lüneburg muss nun neu entscheiden. Karlsruhe ließ zwar offen, ob die Klagen der Anwohner zulässig sind, legte dies aber nahe. Ob Klagen gegen Castor-Transporte jedoch Erfolg haben werden, ist völlig offen. Der letzte Transport von elf Atommüllbehältern aus der französischen Aufbereitungsanlage La Hague nach Gorleben wurde im November 2008 gegen heftige Proteste der Anti-AKW-Bewegung durchgesetzt.
Quelle: taz.de

Atomforum umzingeln: Am 4.Feb.09 in Berlin

Berlin, 4. Februar 2009, 17.00 bis 19.00 Uhr

Mit Halbwahrheiten und Lügen will die Atomlobby den beschlossenen Atomausstieg kippen. Der nächste Baustein ihrer PR-Strategie: die Wintertagung des Deutschen Atomforums vom 4. bis 5. Februar in Berlin.

Mit einer Menschenkette wollen die OrganisatorInnen am Abend des 4. Februars das Konferenzgebäude in Berlin umschließen. Los gehts um 17.00 Uhr an der Zinnowitzer Straße (U6).
Die Botschaft: Eure Lügen bleiben drin - wir wollen kein Comeback der Atomkraft! Demonstrieren Sie mit! Unterstützen Sie die Aktion mit einer Spende!
Weitere Informationen
hier

Donnerstag, 22. Januar 2009

Wie leicht man zum Terroristen wird /20.01.09

gelesen bei taz.de
Frankreichs Behörden jagen eine "terroristische Vereinigung". Die atomfeindlichen jungen Leute landen im Gefängnis, ein vermeintliches Bekennerschreiben bei der taz.
VON DOROTHEA HAHN

PARIS taz Die Entdeckung einer neuen "terroristischen Vereinigung" in der tiefen Provinz hat tagelang hohe Wellen in Frankreich geschlagen. Innenministerin Michèle Alliot-Marie identifizierte gefährliche "Ultralinke" und kreierte eigens für sie das Etikett: "Anarcho-Autonome". Noch während 150 Polizisten, in Begleitung mehrerer Fernsehteams, am 11. November den Bauernhof in dem 300-Einwohner-Dorf Tarnac durchsuchten, machte die Innenministerin neun junge Leute für Sabotageakte an Oberleitungen von vier französischen Bahnstrecken verantwortlich. Und bevor eine Anklage erhoben war, benutzte der Pariser Staatsanwalt Jean-Claude Marin in einer anderen Pressekonferenz bereits das Adjektiv "terroristisch".

Zwei Monate danach sind die Anti-Terror-Fahnder und -Politiker in Paris kaum noch zu hören. Stattdessen haben Familienangehörige, Nachbarn aus Tarnac, Oppositionspolitiker und 40 Unterstützerkomitees im Frankreich und dem Ausland die öffentliche Meinung gewonnen.

Sie zeichnen ein Bild von politisch links stehenden jungen Leuten. Die den Staat und den Konsumerismus kritisieren, die in einer Wohngemeinschaft leben, die Landwirtschaft betreiben und die den stillgelegten Laden in einem winzigen Dorf wieder in Betrieb genommen haben. Mit "Terrorismus" hat das nichts zu tun. Wohl aber mit den kaum nachvollziehbaren Exzessen einer vermeintlichen Anti-Terror-Justiz. Für den 31. Januar rufen die Freunde der Angeklagten zu einer Demonstration in Paris auf. "Gegen den Antiterrorismus als Regierungsform" steht auf ihrem Plakat. Ein Spitzenpolitiker der PS, der Richter André Vallini, erklärt, dass in dieser Affäre ein juristisches Grundprinzip außer Kraft gesetzt worden sei: "Die Freiheit muss die Regel sein, die Inhaftierung die Ausnahme."

Beinahe klammheimlich ist die Justiz in den vergangenen Wochen zurückgekrebst. Peu à peu hat sie die gefährlichen Terroristen aus der Haft entlassen. Als vorerst Letzte verließ vergangenen Freitag die 25-jährige Yldune L das Gefängnis. In den vorausgegangenen zwei Monaten war die Studentin nächtens alle zwei Stunden in ihrer Zelle geweckt worden. Jetzt sitzt nur noch der 34-jährige Julien Coupat. Die Justiz bezeichnet den Intellektuellen als "Anführer" der "unsichtbaren Zelle".

Coupats aktivster Verteidiger ist sein Vater. Der pensionierte Kardiologe Gérard Coupat hatte nach seinem ersten Fernsehauftritt im November, in dem er sagte, sein Sohn sei kein Terrorist, einen Anruf aus dem Gericht erhalten. Er gefährde die Ruhe der Ermittlungen und das werde "Folgen" haben, ließ ihm der zuständige Untersuchungsrichter ausrichten. Danach verzichtete Coupat senior eine Zeitlang auf öffentliche Auftritte. Doch inzwischen gibt der Vater wieder Interviews. Spricht von der "Verbissenheit" der Anti-Terror-Justiz. Nennt die jungen Leute "Sündenböcke". Und bezeichnet die Innenministerin als "die eigentliche Terroristin".

Nach Ansicht der Angehörigen ermittelt die Justiz ausschließlich "belastend". Deswegen haben sie selber den Part übernommen, entlastendes Material zu suchen. Dabei ist einiges zusammengekommen. Unter anderem haben sie bei Technikern der französischen Bahn erfahren, dass das Anbringen von Hakenkrallen an den 25.000 Volt führenden Oberleitungen der betroffenen vier Bahnstrecken eine schwierige Angelegenheit sei. Da die Polizei seinen Sohn sechs Monate vor dessen Verhaftung rund um die Uhr beschattet und jede seiner Aktivitäten aufgelistet hat, weiß der Vater auch aus einem 15-seitigen Polizeibericht, dass Julien zwar kritisch ist, aber nichts Illegales getan hat.

Fragen wirft auch ein "Bekennerschreiben" auf, das im November 2008 bei der taz eingegangen ist. Unter der Überschrift "Wir haben es satt" werden in sieben Absätzen "Hakenkrallen" und Brandanschläge auf deutsche und französische Bahnstrecken als Widerstandsformen erklärt. Als Begründung liefert das "Bekennerschreiben" einerseits einen Atommülltransport von La Hague nach Gorleben, andererseits eine generelle Kapitalismuskritik.

Gabrielle H, die ebenfalls am 11. November in Tarnac inhaftiert worden war, berichtet, dass die Polizei ihr bereits im ersten Verhör dieses "Bekennerschreiben" vorgelesen hat. Doch es ist es ein Rätsel, wie das Schreiben überhaupt in die Hände der Polizei geriet. Die französische Anti-Terror-Justiz erklärt bislang nur, das Bekennerschreiben sei bei der Berliner Zeitung eingegangen und die habe es an die die Polizei weitergegeben. Doch die Berliner Zeitung bestreitet - sowohl gegenüber der taz als auch gegenüber französischen Medien -, dass sie ein solches Bekennerschreiben erhalten hat. Bekannt ist hingegen ein (inhaltlich identisches) Bekennerschreiben, das im November bei der taz einging. Doch die taz hat darüber erstmals am 13. Dezember berichtet. Und bis heute hat sich kein Ermittler dafür interessiert.
Quelle:
taz.de

Samstag, 17. Januar 2009

Asse: Kammer 4 droht zusammenzubrechen /17.01.09

Asse: Das marode Bergwerk droht einzustürzen
Kammerflimmern im Atom-Endlager
Wenn Kammer 4 zusammenbricht, droht eine radioaktive Verseuchung im gesamten Salzstock. Gibt es noch eine Sicherung? Die Zeit läuft davon.
Von Ludger Fertmann

Hannover - Das zuständige Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) weiß noch nicht, wie er mit der neuen Gefahrenlage im Atom-Endlager Asse bei Wolfenbüttel umgehen will. Dort ist eine Lagerkammer mit 6000 Atomfässern einsturzgefährdet. Aber erst am 29. Januar werden die Fachleute laut BfS entscheiden, ob die gefährdete Kammer 4 stabilisiert wird und ob neue Barrieren gebaut werden, die bei einem Einsturz verhindern sollen, dass das ganze alte Salzbergwerk radioaktiv verseucht wird.

Stefan Wenzel (Grüne), Vorsitzender des Umweltausschusses im niedersächsischen Landtag, äußerte Zweifel an der Darstellung, in der akut betroffenen Kammer lagerten lediglich schwach radioaktiv belastet Fässer. "Die Kammer 4 ist die erste, die von 1967 bis 1971 befüllt wurde. Da ist der Müll reingekommen, der damals schon in der Bundesrepublik angefallen ist." Aber was in die Asse hineingekommen ist, sei damals nicht kontrolliert worden. Es gebe nur Angaben von Lieferanten. Marode Asse - wie geht es weiter?

Welche Folgen hätte ein Einsturz von Kammer 4?
Der Leiter des Referats Endlagerung im niedersächsischen Umweltministerium, Joachim Bluth, sieht die Gefahr, dass ein Zusammenbruch der Kammer zu stärkeren Laugenzuflüssen im Endlager führen könnte. Solche Zuflüsse aber drohen das komplette Konzept der sicheren Endlagerung von rund 125 000 Fässern in der Asse für einen Zeitraum von mindestens 100 000 Jahren zu durchkreuzen. Denn über die Flüssigkeit kann die Radioaktivität wieder an die Erdoberfläche gelangen.

Wie viel Zeit bleibt?
Auf diese entscheidende Frage gibt es derzeit keine Antwort. Das Bergwerk ist, so hat es Bundesumweltminister Sigmar Gabriel ausgedrückt, "durchlöchert wie ein Schweizer Käse". Es besteht nicht nur bei der Kammer 4 Einsturzgefahr. Gegenwärtig wird untersucht, ob das alte Bergwerk mit Beton über das Jahr 2014 hinaus stabilisiert werden kann. Nur wenn dies möglich ist, kann Gabriel sein Versprechen halten, auch eine Rückholung des Atommülls ergebnisoffen zu prüfen.

Ist eine Rückholung überhaupt machbar?
Diese Frage wird von den Fachleuten bejaht, aber sie wäre mit einem gigantischen Aufwand verbunden. Erste Schätzungen gehen von mindestens 2,5 Milliarden Euro Kosten aus, und es würde 25 Jahre dauern. Weil damit zu rechnen ist, dass ein Teil der zwischen 1967 und 1978 eingelagerten Fässer bereits verrostet ist, könnten die Bergleute immer nur stundenweise vor Ort arbeiten, damit die Belastung mit radioaktiver Strahlung im gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen bleibt. Entweder unter Tage oder oberirdisch müsste zudem ein großes Zwischenlager gebaut werden, um den Atommüll neu zu packen für eine spätere Unterbringung im Endlager Schacht Konrad.

Wer bezahlt das eigentlich?
Die Steuerzahler. Zwar tragen eigentlich die Atomstromkonzerne die überwiegenden Kosten der atomaren Endlagerung, die Asse aber ist als Forschungsbergwerk in der Regie des Bundes betrieben worden. Deswegen steht die Bundesrepublik für die Folgekosten gerade.

Wer führt Regie?
Bis Ende 2008 war das Bundesforschungsministerium und in dessen Auftrag das Helmholtz-Zentrum München für Asse zuständig. Mit dem neuen Jahr hat das Bundesamt für Strahlenschutz die Regie übernommen, nun gilt statt des Bergrechts das ungleich strengere Atomrecht. Das Bundesamt gehört zum Bundesumweltministerium, dessen Chef Sigmar Gabriel sagt, der Betrieb der Asse sei unter dem Helmholtz-Zentrum "teilweise unsachgemäß und unter Vernachlässigung von Schutzforderungen erfolgt".

Was sagt die Justiz dazu?
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat in dieser Woche die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgelehnt. Es gebe keine Anhaltspunkte für illegale Einlagerungen, und auch das Vorgehen der Behörden nach Berg- und nicht nach Atomrecht sei "rechtlich vertretbar" gewesen.
Quelle:
Hamburger Abendblatt

Freitag, 16. Januar 2009

Asse: Teile der Decke instabil /16.01.09

Einsturzgefahr im Endlager AsseZufließende Laugen und Risse im Gestein beeinträchtigen massiv die Stabilität des Atommülllagers Asse in Niedersachsen. Am Donnerstag schlug das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), seit Jahresbeginn Betreiber des Bergwerks, Alarm.
von Reimar Paul

Göttingen - Eine Einlagerungskammer in der etwa 6 000 Fässer mit schwach radioaktiven Abfällen liegen, ist so stark beschädigt, dass Strahlung zu entweichen droht. Teile der Decke seien instabil, Gesteinsbrocken könnten sich lösen und auf die Fässer mit dem Müll krachen.

Das Umweltministerium in Hannover bestätigte die Schäden. Die Decke der betroffenen Kammer könne jederzeit einstürzen, sagte der Referatsleiter Endlagerung, Joachim Bluth. Als erste Nothilfe kündigte das BfS an, die Abdichtungen zu dem betroffenen Hohlraum mit Beton zu verstärken. Weitere „Gefahrenabwehrmaßnahmen“ würden geprüft, um im Falle eines Deckenabsturzes zu verhindern, dass sich radioaktiv belastete Stäube im Grubengebäude verteilen und über die Abluft ins Freie gelangen. Mittelfristig will das Bundesamt die beschädigte Kammer stabilisieren, für denkbar halten die Experten eine Verfüllung der Kammer. Nach Ansicht der Grünen muss auch geprüft werden, ob eine Öffnung der betroffenen Kammer gefahrlos möglich ist. Alle Sicherungsmaßnahmen sollten zudem so angelegt werden, dass eine spätere Bergung des Atommülls möglich bleibe, sagte der niedersächsische Fraktionschef Stefan Wenzel dem Tagesspiegel.

Neben der Einsturzgefahr sind die in das Bergwerk schwappenden Laugen das derzeit größte Problem in der Asse. Täglich sickern durch Risse rund 12 000 Liter Flüssigkeit in die Grube. BfS-Präsident König hat angekündigt, die Laugen in ein stillgelegtes Bergwerk bei Celle kippen zu lassen. Dort regt sich Protest gegen dieses Vorhaben. Reimar Paul
Quelle:
Der Tagesspiegel

Atomkraft schöngeredet. 9 Thesen gegen Atomenergie /16.01.09

Neun Thesen gegen Atomenergie:
AKW nutzen allein den Betreibern, ansonsten schaden sie der Umwelt, der Gesundheit und dem Staatshaushalt
Von Jürgen Rochlitz

Ist Atomenergie zu verantworten? Dieser Frage soll in neun Thesen nachgegangen werden. Allerdings brauche ich nicht die Spannung bei dieser Frage zu erhöhen, indem ich verschweige, daß ich zur ersten Generation der Grünen gehöre; für diese Partei im Mannheimer Gemeinderat, im baden-württembergischen Landtag und im Bundestag meine naturwissenschaftliche Sicht von Ökologie vertreten habe. Als Chemiker habe ich ganz in diesem Sinne schon früh die Auffassung vertreten, daß zur Energiegewinnung nur solche Methoden zum Einsatz kommen sollten, die nicht für den kriegerischen Gebrauch als Waffen geeignet sind. Das Thema ist heute aktueller denn je, gerade weil es von der sogenannten Finanzkrise, dem Wetterleuchten für den realexistierenden Kapitalismus, überschattet wird.

Da die CDU plant, die Atomenergie zum Wahlkampfthema zu machen, muß über Pro und Kontra diskutiert werden. CDU/CSU werden nicht müde zu verbreiten, der unter der SPD-Grünen-Regierung (1998–2005) ausgehandelte Atomausstieg müsse rückgängig gemacht werden. Aus ihrer Sicht entfällt nach dem Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (­IPCC, Zwischenstaatlicher Ausschuß für Klimaänderungen bei den Vereinten Nationen) von 2007 die Geschäftsgrundlage für den Ausstieg. Dieser warnt besonders eindringlich vor den Folgen einer unzureichenden Klimaschutzpolitik. Aber er wiederholt eigentlich nur alte Forderungen auf der Basis neuester klimatologischer Ergebnisse, nämlich die Notwendigkeit zur Reduktion der Treibhausgase um zirka 80 Prozent bis 2050. Da aber fast alle Regierungen weltweit seit 1992, seit dem Jahr des Klimagipfels in Rio de Janeiro, fast nichts zur entsprechenden Reduktion beigetragen haben, beginnt nun eine überstürzte Hektik.

Nachdem dann noch die atomunkritische Internationale Energieagentur (IEA) vor einer Abhängigkeit von russischem Erdgas gewarnt hatte, forderte eine Phalanx aus konservativen Politikern und Strommanagern längere Laufzeiten für die deutschen AKW. Nach der Explosion der Öl- und Gaspreise werden diese Forderungen populistisch aufgeblasen. Schließlich stehen Wahlen vor der Tür, und der normale Wähler durchschaut nicht so schnell, daß seiner teuren Autonutzung nicht mit einer längeren Laufzeit von AKW abgeholfen wird.

Die Atomlobby ist jedenfalls angesichts der Reaktorpläne in Asien und Brasilien in euphorischer Stimmung, wie sich auf der Jahrestagung »Kerntechnik« im Juni 2008 zeigte. Gerd Rosenkranz, Pressesprecher der Deutschen Umwelthilfe e. V., gab dieser Euphorie einen gehörigen Dämpfer: »Es ist noch nie in einem deregulierten Strommarkt ein neues Kernkraftwerk gebaut worden. Alle halten die Hand auf, der Staat soll Subventionen geben oder Abnahmepreise garantieren.« Das heißt: Wettbewerbsfähig ist die Technik also auch nach 50 Jahren nicht.

Ohne die gigantischen Subventionen in Forschung und Entwicklung und dann in die laufende Technik wäre der Bestand an AKW weltweit nicht zustande gekommen. Auf der anderen Seite ist es bemerkenswert, daß trotz dieser Subventionen die erneuerbaren Energien einen derart spektakulären Aufschwung genommen haben. »Bei der Energieversorgung geht es der Menschheit wie beim Klimaschutz: Weil sie jahrzehntelang bequem weitermachte wie bisher, ist die Krise jetzt nicht mehr abzuwenden – das Gebot der Stunde heißt ›Anpassung‹.

Also müssen mangels Alternativen die Restlaufzeiten der AKW notgedrungen verlängert werden. Das löst das Energieproblem aber genausowenig, wie ein höherer Deich das Erdklima rettet. Und es birgt die Gefahr, daß sich alle wieder für ein paar Jahrzehnte zurücklehnen – weil es bequem ist und der Strom ja sowieso aus der Steckdose kommt«, schreibt Alexander S. Kekulé, Mitglied in der »Schutzkommission beim Bundesminister des Innern«, am 9.7.2008 im Berliner Tagesspiegel.

Statt weitere Untätigkeit auf der Basis eines angeblich – mit AKW – gelösten Energieproblems zuzulassen, sollten jene Fakten beachtet werden, die schließlich in dieser oder jener Form beim Atomenergie-Ausstiegsbeschluß in Deutschland und beim Verzicht weiterer Länder auf Atomkraft auch Pate gestanden haben. Sie wurden dankenswerterweise im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom Diplomingenieur Eike Schwarz im Artikel »Streitfall Kernenergie« sehr sachkundig dargestellt, so daß ich hierauf häufig zurückgreifen konnte (www.eurosolar.de/de/images/stories/pdf/Schwarz_SZA_%204_2007.pdf).

These 1: Atomkraftwerke sind nicht zum Zweck des Klimaschutzes gebaut worden. Sie sollen den Betreibern zu besonders hohen Profiten verhelfen.

Vor allem, wenn die Kosten für die Reaktoren mehr oder weniger abgeschrieben sind, ist dies ihr alleiniger Zweck. Insbesondere die älteren Meiler, die in Deutschland nach dem Ausstiegsbeschluß von 2002 vom Netz gehen sollen, sind für die Energieversorgungsunternehmen reine Gelddruckmaschinen.

Die Behauptung »Atomkraftwerke arbeiten CO2-frei« ist ein in der Debatte häufig zu hörendes Märchen. Bei der Berücksichtigung der für den Uranabbau und die Brennelementeherstellung benötigten Energie kommt eine Studie des Öko-Instituts auf eine Emission von 31 bis 61 Gramm CO2 pro Kilowattstunde je nach Urangehalt des Ausgangsrohstoffs. Ein kleines Gaskraftwerk mit Kraftwärmekopplung kommt auf ähnliche Werte. Für eine Windanlage müssen 23 Gramm pro Kilowattstunde gerechnet werden, 1000 Gramm sind es bei der Verstromung von Kohle. Allein schon aus Kosten- und Effizienzgründen empfiehlt es sich, zum Klimaschutz dezentrale Gas- und Biogaskraftwerke mit Kraftwärmekopplung zu bauen, nicht aber Atomkraftwerke.

Sollte aus politischen Gründen die Atomenergie einen signifikanten Beitrag zur Begrenzung der CO2-Emissionen leisten, müßte ihr heutiger Anteil von 17 Prozent weltweit an der Stromerzeugung mindestens gehalten werden. Was bedeutet das? Die Stromerzeugung in Deutschland basiert auf den Säulen Atomenergie (26 Prozent), Braunkohle (24 Prozent) und Steinkohle (21 Prozent). Aber auch Erdgas und erneuerbare Energien tragen zu je zwölf Prozent substantiell zur Stromerzeugung bei. Es werden zwölf AKW mit 17 Reaktoren und einer installierten elektrischen Gesamtleistung von 21 Gigawatt betrieben. Dadurch werden im Vergleich zur konventionellen Stromerzeugung jährlich 150 Millionen Tonnen CO2 vermieden, was etwa 17 Prozent der deutschen CO2-Emissionen entspricht. Weltweit waren Ende 2006 210 Atomkraftwerke mit 435 Kernreaktoren in 31 Ländern mit einer Gesamtleistung von rund 367 Gigawatt in Betrieb. 29 Reaktorblöcke befinden sich noch im Bau, davon zehn seit mehr als 15 Jahren.

Die IEA schätzt, daß sich der weltweite Strombedarf bis 2030 wenigstens verdoppeln wird. Wenn dabei mindestens der heutige Anteil der Atomenergie an der weltweiten Stromerzeugung zur Begrenzung der CO2-Emissionen beibehalten werden soll, müßten in diesem Zeitraum zirka 450 weitere Atomreaktoren gebaut werden. Damit Atomkraft einen noch wirksameren Beitrag zum Klimaschutz leisten könnte, müßten bis 2050 nach IEA gar 1300 neue AKW ans Netz gehen – angesichts der folgenden Fakten ein Horrorszenario: Der Bedarf an Kernbrennstoff für diese insgesamt fast 900 Atomreaktoren bis 2030 wäre so groß, daß die bei heutigem Verbrauch auf etwa 50 bis 70 Jahre geschätzten Vorräte dann schon nach etwa 35 Jahren erschöpft wären. Wollte man zur Reduktion der CO2-Emissionen noch die Niedertemperaturwärmeversorgung für Raumheizung und Warmwasserversorgung mit Hilfe von Strom und der Atomkraft bewältigen, würden zusätzliche 340 Atomkraftwerke mit 1300 Megawatt zur Bereitstellung der dazu nötigen 38 Prozent des Endenergieverbrauchs benötigt.

Die von einigen »Visionären« geplanten vielen kleineren Atomheizwerke in der Nähe der Verbrauchsschwerpunkte verbieten sich schon allein aus Kosten- und Sicherheitsgründen. Die Alternativen Wärmedämmung, effiziente Energienutzung und Solarkollektoren sind mit Abstand kostengünstiger.

Der »Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltfragen« der Bundesregierung beschrieb in einem Bericht den Klimawandel als »Kassandra«-Risikotyp – eine Gefahr, die in Zukunft sicher eintritt – und die Atomkraft als »Damokles«-Risikotyp – eine ständige Gefahr, bei der niemand den Zeitpunkt der drohenden Katastrophe vorhersagen kann. Die Wissenschaftler sahen keinen Sinn darin, zur Verringerung des »Kassandra«-Risikos ein steigendes »Damokles«-Risiko in Kauf zu nehmen. Zur Bekämpfung des Klimawandels empfehlen sie risikoarme Maßnahmen wie Energiesparen und vermehrten Einsatz regenerativer Energien. Die weitere Entwicklung dieser risikoärmeren Maßnahmen würden durch den Zubau von leistungsstarken und zentralistischen AKW massiv behindert.

Fazit: Atomstrom zum Klimaschutz ist ungeeignet und nicht zukunftsfähig.

Andererseits können die Stromkonzerne bei der Verlängerung der Laufzeiten um acht auf 40 Jahre, mit zusätzlichen Gewinnen von 65 Milliarden Euro rechnen (bei einem Strompreis von nur sieben Cent pro Kilowattstunde).

These 2: Atomstrom ist keinesfalls billig, weil er hoch subventioniert wurde und wird. Zudem wird er politisch billiggerechnet, weil wesentliche Folgerungen aus dem System seiner Erzeugung wie angemessene Haftpflichtversicherungen und Besteuerungen politisch und mate­riell nicht gezogen werden.

Die Atomenergie ist aufgrund ihrer hohen Systemkosten, die sich weitgehend aus den in allen Stufen ihrer Nutzung notwendigen außerordentlich hohen Sicherheitsanforderungen ergeben, auch bei Berücksichtigung des gestiegenen und weiter steigenden Ölpreises, für eine umfassende Energieversorgung mit Abstand zu teuer.

Der in Finnland im Bau befindliche weltweit wichtigste AKW-Prototyp wurde mit drei Milliarden Euro kalkuliert; nach weit über einem Jahr Rückstand bei der Fertigstellung wird mit doppelt so hohen Kosten gerechnet. In den USA gab es in den letzten Jahren sieben Anträge für den Bau neuer AKW. Ein möglicher Betreiber hat seinen Antrag zurückgezogen, weil die Aktionäre mit einem Preis zwischen zwölf und 18 Milliarden US-Dollar nicht einverstanden waren. Der französische Druckwasserreaktor in Flamanville wird sicherlich auch deutlich teurer als geplant. Wegen Fehlern beim Mischen des Betons traten Risse im Fundament auf, außerdem gab es Probleme beim Schweißen des Stahlmantels und der Schutzhülle. Daraufhin legte die französische Atomaufsicht die Baustelle im Sommer 2008 für zwei Monate still.

Da Atomkraftwerke grundsätzlich hochzentralisierte Energiesysteme für die Grundlast darstellen, also für die Netzbelastung, die während eines Tages in einem Stromnetz nicht unterschritten wird, weisen sie alle Nachteile dieser Zentralisierung auf. Sie besitzen geringe Flexibilität bei der Anpassung am sich verändernden Bedarf; zwangsläufig werden für sie große Transport- und Reservekapazitäten vorgehalten. AKW sind also konventionelle Grundlastkraftwerke mit entsprechenden Verteilnetzen. Sind diese Kapazitäten erst einmal geschaffen, geht es betriebswirtschaftlich um ihre Vollauslastung.

Ein Festhalten an der Atomenergie ist daher die zentrale Barriere für einen effizienten Umgang mit Energie und die Nutzung erneuerbarer Energien. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist Frankreich: Obwohl das Land mehr als fünfmal längere Küsten mit stabileren Windverhältnissen verfügt als Deutschland, wird dort kaum Strom aus Windkraft erzeugt.

Schließlich sorgen politische Rahmenbedingungen dafür, daß Atomstrom nicht unendlich teuer wird. Es werden keinerlei Steuern und Abgaben auf den Atombrennstoff erhoben – ganz im Gegensatz zu den übrigen Energierohstoffen. Die Haftungsregelungen sind so gestaltet, daß der Staat im wesentlichen für einen größten anzunehmenden Unfall mit Tausenden Toten und künftig unbewohnbaren Landstrichen einsteht – wie 1986 in Tschernobyl. Bei einem katastrophalen Unfall stehen von seiten der Betreiber zur Schadensregulierung 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung; das sind bei möglichen eine Million Betroffenen lediglich 2500 Euro pro Geschädigten.

Von der Gesamthaftungssumme sind lediglich 256 Millionen Euro durch Haftpflichtversicherungen abgedeckt; der große Rest von 2,244 Milliarden Euro wird durch eine Solidarvereinbarung der Muttergesellschaften der AKW-Betreiber abgedeckt. Wenn man an die finanziellen Auswirkungen des 1500 Kilometer entfernten Unfalls in Tschernobyl in Höhe von rund einer halben Million Euro auf Deutschland erinnert, werden die derzeit für einen Unfall zur Verfügung stehenden Summen zu Peanuts. Die Betreiber der AKW und die Nutzer ihres Atomstroms, also wir Bürgerinnen und Bürger, könnten die eigentlich fällige Haftpflichtversicherung für ein solches, möglicherweise seltenes, aber keineswegs auszuschließendes Ereignis nicht tragen.

Selbst für einen weniger dramatischen Atomstörfall wird nicht vorgesorgt. Die Kliniken im näheren Umkreis der AKW Biblis A und B, auch der nicht weit davon entfernten Philippsburg I und II, sind überhaupt nicht dafür eingerichtet, plötzlich eine größere Zahl von Strahlenverletzten aufzunehmen. Man kann nur vermuten, daß für solche Fälle eine Billiglösung vorgezogen wird: durch Einsatz von Polizei, Bundeswehr und Feldlazaretten.

Fazit: Ein größter anzunehmender Unfall ist eigentlich unbezahlbar.

These 3: Durch das frühzeitige Abschalten der älteren Atommeiler entsteht keine Versorgungslücke, wie sie von der Atomlobby herbeigeschrieben wird.

Der angebliche Engpaß ist angesichts des anhaltenden Exportüberschusses deutschen Stroms von 19,8 Milliarden Kilowattstunden im Jahr 2007 und 14,4 Milliarden allein im ersten Halbjahr 2008 bestenfalls ein Beleg für die gelungene PR der Atomlobby. Es muß zudem zur Kenntnis genommen werden, daß seit 1991 der Primärenergieverbrauch um drei Prozent zurückgegangen ist. Das Bruttoinlandsprodukt stieg im gleichen Zeitraum um 46 Prozent. Die frühere Kopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch ist daher aufgelöst. Die alten Märchen von den ausgehenden Lichtern, die einen weiteren Zubau von AKW in den 70er Jahren begründen sollten, gehören endgültig der Vergangenheit an.

Die träge Atomenergie ist angesichts der tages- und jahreszeitlichen Schwankungen von Stromnachfrage und -angebot nicht in der Lage, flexibel auf den unterschiedlichen Bedarf zu reagieren. Dabei mangelt es nicht an zukunftsfähigen Alternativen, die mit diesem Sachverhalt besser umgehen können: Eine Kombination von erneuerbaren Energien einschließlich grundlastfähiger Biomasse und Geothermie, dezentrale Blockheizkraftwerke und hocheffiziente Gas- und Dampfturbinen, verbunden mit intelligenten Steuerungs- und Speichertechnologien.

Schließlich fehlt noch der Startschuß für eine breite Effizienzrevolution beim Stromverbrauch: eingliedrige Strompreise (keine Spaltung in Grund- und Arbeitspreis), zeitvariable lineare Strompreise (also abhängig von der jeweiligen Tageslast) und Kennzeichnungspflichten und Effizienzvorschriften für alle Geräte und Apparate.

Die Sicherheit einer wirtschaftlichen Entwicklung hängt direkt mit der deutschen Importabhängigkeit von Uran, Kohle, Öl und Gas zusammen. Eine frühzeitige Unabhängigkeit wenigstens von Uranimporten würde der aktuellen kriegsfreudigen Regierung die Beteiligung an den möglichen Verteilungskonflikten auf diesem Sektor ersparen. Daher ist eine wachsende dezentrale und alternative Versorgung vorrangig auf Basis der heimischen Energieträger Wind, Biomasse, Solar, Wasser und Erdwärme unumgänglich.

Jedes Festhalten an dem Fossil Atomenergie bedeutet eine Verlangsamung des Übergangs zu diesen zukunftsfähigen Energieträgern und führt schließlich doch zu einer Versorgungslücke, nämlich dann, wenn die Uranvorräte zu schwinden beginnen. Im übrigen behindert das Festhalten an der Atomenergie auch die Entwicklung der Potentiale zur effizienteren Nutzung und Einsparung von Strom.

Jedenfalls belegen auch die dem Bundeswirtschaftsministerium – das im übrigen am lautesten die Stromlücke an die Wand malt – vorliegenden Studien, daß wegen hoher geplanter Kohlekraftwerkskapazitäten und wegen des beträchtlichen Zuwachses an Biomassekraftwerken keine Erzeugungsengpässe zu erwarten sind. Im Gegenteil: »Politische Diskussionen und die Ungewißheit über den Kernenergieausstieg (...) wirken generell investitionshemmend«, so in der Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung formuliert.

Fazit: Die Atomlobby versucht mit der Lüge von der Versorgungslücke, eine angeblich notwendige Renaissance der Atomenergie herbeizureden; dies darf nicht aufgehen.

These 4: Laufende Atomkraftwerke sind im Normalbetrieb gefährlich und emittieren gesundheitsschädliche Stoffe.

Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen und aller Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung sind radioaktive Emissionen in geringem Umfang unvermeidlich bzw. anders ausgedrückt: Eine Nullemission ist technisch zu aufwendig und damit zu teuer. Die Bundesregierung läßt dazu ausführen: »Über das Risiko niedriger radioaktiver Strahlenbelastung ist immer noch so wenig bekannt, so daß es verfrüht wäre, die Kernenergie schon jetzt weltweit auszubauen.«

Ein AKW nutzt zwar die Atomenergie grundsätzlich immer in geschlossenen Kreisläufen, doch die entstehenden radioaktiven Edelgase und das flüchtige radioaktive Jod müssen aus dem Kreislauf entfernt werden. Schließlich kann über Sicherheitsventile und Leckagen radioaktiv kontaminierter Dampf austreten. Auch bei Wartungsarbeiten können die radioaktiv kontaminierten Kreisläufe geöffnet werden. All die sich im Containment, einem Sicherheitsbehälter, ansammelnden radioaktiven Gase und Dämpfe werden über Filter nur teilweise zurückgehalten, eine restliche Emission wird kontrolliert durch den dafür vorgesehenen Schornstein an die Außenluft abgegeben.

Die Beurteilung der Schädlichkeit derartiger Emissionen ist wissenschaftlich umstritten. Zum einen gibt es bisher noch keine über mehrere menschliche Generationen reichenden Erkenntnisse darüber, wie diese an sich geringen Strahlenbelastungen langfristig auf Menschen und die Biosphäre wirken. Zum anderen stehen die Experten, die über derartige Auswirkungen meinungsbildend urteilen, in der Regel beruflich der Atomenergiewirtschaft nahe; ihr wissenschaftliches Erkenntnisinteresse und ihr berufliches Interesse wird daher gegeneinander abgewogen.

Dies tritt besonders kraß in Erscheinung bei der Beurteilung der signifikanten Häufigkeit von Leukämien im Umkreis von Atomkraftwerken. Dazu muß in Erinnerung gerufen werden, daß zur Auslösung von Mutationen und toxischen Veränderungen von Zellkernen lediglich ein einziges Strahlenquant (Teilchen der radioaktiven Strahlung) pro Zelle ausreicht. Allein auf dieser Basis ist den niedrigen Dosen im Umkreis von AKW eine besondere Beachtung zu schenken.

Auch wenn zwischen den berechneten Strahlendosen im Umkreis von AKW im bestimmungsgemäßen Betrieb und den bei Kindern aufgetretenen Leukämiefällen bisher noch kein direkter Zusammenhang gefunden worden sein soll, kann ein solcher weder bei den deutschen AKW noch weiteren 17 internationalen Studien zufolge gänzlich ausgeschlossen werden. So bleibt das traurige Faktum, daß das Risiko für Kinder unter fünf Jahren, an Leukämie zu erkranken, zunimmt, je näher ihr Wohnort an einem AKW liegt. Das Strahlenrisiko ist bei Kleinkindern besonders hoch, und das Wissen um die Wirkung von im Körper aufgenommenen Radionuklide ist unzureichend.

Aber auch über den Abwasserweg kann erhöhte Radioaktivität freigesetzt werden: So liefen im Juli aus dem AKW Tricastin in Südfrankreich 30000 Liter radioaktiver Uranlösung aus. Ein Teil davon gelangte in zwei Flüsse: Bei Avignon mußte die Verwendung von Wasser untersagt werden, verboten wurden die Bewässerung von Feldern, Angeln und Wassersport. Schließlich sei daran erinnert, daß die beiden Atommeiler Brunsbüttel und Krümmel, die im vergangenen Jahr wegen Zwischenfällen (Trafobrände, falsch gesetzte Dübel usw.) abgeschaltet wurden, immer noch nicht am Netz sind.

Fazit: Auch weit unterhalb der Schwelle eines katastrophalen Unfalls birgt die AKW-Technik gesundheitliche Risiken, die nur durch einen Stopp dieser Technik vermieden werden können.

These 5: Atomkraftwerke stellen ein unkalkulierbares, unvertretbares und überhaupt nicht versicherbares Risiko dar.

In der Zweiten Enquêtekommission des Bundestags zum Thema »Schutz des Menschen und der Umwelt« wurde vom Bremer Nachhaltigkeitsforscher Arnim von Gleich und mir eine modifizierte »Fünfte Nachhaltigkeitsregel« eingefordert und in einem Minderheitenvotum formuliert: »Gefahren und unvertretbare Risiken für die menschliche Gesundheit, für den natürlichen Bestand der Arten und ihre Diversität sowie für die Umwelt als Ganzes sind zu vermeiden.« An dieser Forderung hat sich auch nach zehn Jahren nichts geändert; sie ist vielmehr die empirische Erfahrung aus den Unfällen von Tschernobyl 1986 in der Ukraine und Three Mile Island bei Harrisburg in Pennsylvania, USA (1979).

Der öffentliche Streit geht um die Begriffe »sicher« und »Risiko«. Unter Risiko ist das Produkt aus Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit zu verstehen. Die Atomanlagen sollen so gestaltet sein, daß die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Atomunfalls möglichst klein ist und das Schadensausmaß vorgegebene Grenzwerte nicht überschreitet. Durch den Unfall in Tschernobyl ist bewiesen, daß bei einem Unfall mit Kernschmelze das Schadensausmaß gigantisch und kontinental sein kann. Da hilft uns die Einhaltung einer geringen Eintrittswahrscheinlichkeit nicht viel. Denn diese Größe sagt nichts über den Eintrittszeitpunkt aus. Das heißt, ein solcher Unfall kann jederzeit, auch heute eintreten.

Unter diesen Aspekten können wir ein Atomkraftwerk nicht als sicher betrachten, selbst wenn es atomrechtlich als sicher bezeichnet wird. Denn dies heißt ja nur, daß die theoretische Berechnung der nach Stand von Wissenschaft und Technik zu unterstellenden Unfallmöglichkeiten (Störfallszenarien) ergibt, daß vorgegebene Grenzwerte beim Schadensausmaß nicht überschritten werden. Wenn AKW diese – weder in der Öffentlichkeit noch in Parlamenten ausreichend diskutierten – Grenzwerte einhalten, gelten sie im atomrechtlichen Sinn als sicher und dürfen betrieben werden.

1994 ist das Atomgesetz dahingehend novelliert worden, daß bei neuen AKW die Auswirkungen auch schwerster Unfälle auf das Kraftwerksgelände begrenzt bleiben müssen. Diese Forderung erfüllen die deutschen AKW nicht. Daher verbieten sich auch Laufzeitverlängerungen. Ginge es allein nach Sicherheitsgesichtspunkten, müßten sämtliche AKW sofort abgeschaltet werden.

Auch wenn die meisten sicherlich wissen, warum AKW so gefährlich sind und gigantische Sicherheitsvorkehrungen gegen das Versagen der Barrieren getroffen werden müssen, sei kurz ausgeführt: Die in Reaktoren genutzte Kernspaltung setzt nicht nur eine ungeheure Wärmemenge frei, sondern es entstehen dabei radioaktive Spalt- und Aktivierungsprodukte, die nach einiger Betriebszeit in ihrer Menge und ihrer biologischen Wirkung die von Atomwaffen um ein Vielfaches übersteigen. Deswegen muß strengstens ausgeschlossen werden, daß diese Stoffe in die Biosphäre gelangen.

Zur Sicherheit gehört auch, daß die sogenannte Nachzerfallswärme zuverlässig aus dem Reaktor abgeführt werden muß; andernfalls droht eine Kernschmelze, die den gesamten Reaktor zerstören kann und eine katastrophale Freisetzung radioaktiver Stoffe verursacht. Ein solches hochkomplexes Kraftwerkssystem mit höchster Sicherheit zu konstruieren und zu betreiben, ist eine beinahe unlösbare Aufgabe.

Als Mitglied der Kommission für Anlagensicherheit, die sich mit Chemieanlagen befaßt, ist mir vertraut, wie oft diese Anlagen nach- und fahrlässig konstruiert, gewartet und betrieben wurden bzw. auch werden. Zwar führen Lernprozesse und konsequente Folgerungen aus Unfällen und kritischen Ereignissen hin und wieder zu einem verbesserten Sicherheitsmanagement. Doch Personalabbau in den Firmen und in den Kontrollinstanzen führen zu weniger Sicherheit. Zum Glück sind viele gefährliche Vorkommnisse glimpflich verlaufen, sogar der Brand in einer Raffinerie in Köln in diesem Frühjahr und eine große Explosion bei London im Dezember 2005, die allerdings zur Zerstörung mehrerer unbewohnter und unbenutzter Bürogebäude führte. Menschliches und technisches Versagen können also immer wieder zu großen Unfällen führen.

Im Falle der Atomtechnik darf es das aber grundsätzlich nicht geben; ein solcher Ausschluß von technischem Versagen ist jedoch unmöglich. Daher ist Atomtechnik prinzipiell nicht zu verantworten. Eine Reihe von Vorfällen in den Atomkraftwerken zeigen, daß immer wieder menschliches und technisches Versagen zu verzeichnen ist; ich erinnere an die Vorfälle in Tricastin, Brunsbüttel und Krümmel. Auch hier hat die Menschheit, wie bei den Chemieanlagen, Glück gehabt, daß die Auswirkungen nicht katastrophal waren.

Das Sicherheitskonzept bei Atomanlagen beruht in seinem Grundsatz darauf, daß mehrere voneinander unabhängige passive Sicherheitsbarrieren und zahlreiche aktive Sicherheitssysteme vorgesehen werden. Damit soll erreicht werden, daß beim Versagen der einen oder anderen oder gar von zwei Sicherheitsbarrieren mindestens noch eine weitere funktionsfähig bleibt. Die aktiven Sicherheitssysteme, die Kühlsysteme, diejenigen, die zum Abschalten des Reaktors dienen, sind redundant, also mehrfach vorhanden, und soweit wie möglich diversitär angelegt, d. h., auf verschiedenen Prinzipien beruhend. Das Funktionieren dieses hochkomplexen Systems von Sicherheitseinrichtungen läßt sich wegen dieser Komplexität nicht mit absoluter Gewißheit garantieren.

Die Darstellungen zur Berechnung und Handhabung großtechnischer Risiken setzen im Grunde einen zu jeder Zeit unfehlbaren, stets, wie geplant, rational und korrekt handelnden Menschen – möglichst sogar ohne Gefühlsregungen – voraus. Derartige Menschen gibt es in Wirklichkeit nicht, auch wenn das Betriebspersonal sehr intensiv geschult wird und sein Qualifikationsstand hoch ist. Daher kann das sogenannte Mensch-Maschine-System eine eigene dynamische Fehlersystematik mit nicht vollständig überschaubaren Möglichkeiten und Wechselwirkungen entwickeln. Im Ergebnis verhindert dies eine eindeutige Berechnung des Risikos. Das Risiko wird also – zusätzlich zu den bereits aufgezeigten methodischen Unzulänglichkeiten – wegen des nicht prognostizierbaren Einflusses des Menschen letztlich unberechenbar.

So ist der Unfall mit teilweiser Kernschmelze im AKW Three Mile Island durch Fehlhandlungen des Bedienungspersonals zumindest verschlimmert worden. Sogar bewußtes Fehlverhalten ist, wie Tschernobyl gezeigt hat, nicht auszuschließen. Beim Störfall im AKW Brunsbüttel 1978 hatte die dortige Bedienungsmannschaft sämtliche drei Kanäle des Reaktorschutzsystems unwirksam gemacht, damit sich der Reaktor nicht wegen einer Störung selbsttätig abschaltete, die im nachhinein als verhältnismäßig geringfügig beurteilt wurde.

Zu diesen systemimmanenten Sicherheitsschwächen kommen intelligente Sabotage und Terrorismus. Hiergegen gibt es auch bei aufwendigster Überwachung keinen absolut sicheren Schutz, auch nicht dann, wenn man versucht, den Menschen vollständig aus dem Prozeß herauszunehmen.

Schließlich dürfen mögliche Flugzeugabstürze für AKW nicht zum Unfall führen, für die einige ältere Reaktortypen überhaupt nicht bzw. neuere nur unzureichend ausgelegt sind. Wie unzulänglich Sicherheitsberechnungen sind, zeigt der Fall des größten japanischen AKW, das im vergangenen Jahr durch ein Erdbeben beschädigt worden und seitdem abgeschaltet ist.

Es kann nicht gegen alle nach wissenschaftlichen Erkenntnissen vorstellbaren Unfallabläufe Vorsorge getroffen werden, sondern es wird vorzugsweise nach den im Vergleich dazu auch technisch möglichen und wirtschaftlich vertretbaren Lösungen gesucht. Der getätigte Sicherheitsaufwand ist bislang immer das Ergebnis einer Abwägung gewesen. Es gibt daher auch prinzipiell keinen absoluten Vorrang der Sicherheit vor der Wirtschaftlichkeit.

Die Darlegungen zeigen, daß das eigentliche Problem der Risikobegrenzung in der praktisch unendlichen Vielfalt der Fehlermöglichkeiten und der dazu relativen Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit liegt.

Fazit: Es gibt keine Fehlerfreiheit. Damit gibt es auch kein sicheres Atomkraftwerk. Und je mehr es davon weltweit gibt, um so wahrscheinlicher wird es, daß ein katastrophaler Fehler begangen wird oder ein katastrophales Versagen eintritt – jetzt oder schon morgen.

These 6: Die Endlagerung des hoch- und mittelradioaktiven Endprodukts der Atomspaltung ist bisher völlig ungeklärt und wird es auch noch eine Zeitlang bleiben.

Nirgendwo auf der Welt ist bisher die Entsorgung radioaktiver Abfälle gelöst. Sie fallen beim Betrieb der AKW vor allem als abgebrannte Brennelemente an, aber auch als radioaktiver Stahl- und Betonschrott beim Abriß ausgedienter Atomreaktoren. Außerdem entstehen radioaktive Abfälle bei der Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente, wenn das in ihnen gebildete Plutonium für die Herstellung neuer Brennelemente oder von Atomwaffen gewonnen werden soll. Hierbei fallen die besonders problematischen hochradioaktiven Abfälle in flüssiger Form an. Diese Abfälle werden bisher in oberirdischen Tanks gelagert, die zur Abführung der entstehenden Zerfallswärme ununterbrochen gekühlt werden müssen. Diese Tanks stellen ein weiteres sehr großes Gefahrenpotential der nuklearen Abfallwirtschaft dar.

Radioaktive Abfälle können über Millionen Jahre Strahlung abgeben, weshalb sie nach menschlichen Maßstäben »ewig« von der Biosphäre ausgeschlossen werden müssen. Außerdem geben sie in großem Umfang Zerfallswärme ab, die über Jahrzehnte sicher abgeführt werden muß. Deswegen sind die Anforderungen an die Eigenschaften eines Endlagerstandorts sehr hoch, was die Eignung potentieller Stätten stark einschränkt.

In Deutschland ist die Endlagerung in tiefen geologischen Formationen vorgesehen. Für besonders geeignet hielt man bis vor kurzem tiefe Einlagerungen in Salz- oder Tonformationen oder in Granitgestein mit ausreichender Tonüberdeckung. Nach dem Bekanntwerden der skandalösen Vorgänge im Erkundungsbergwerk Asse für schwach- und mittelradioaktiven Müll muß diese Einschätzung revidiert werden. In Asse wurden schwach- und mittelradioaktive Abfälle eingelagert, darunter auch Abfälle mit Kernbrennstoffen.

Seit 1988 treten Salzlösungen aus dem Deckgebirge im Umfang von mittlerweile zwölf Kubikmetern pro Tag in den Grubenbau aus. Im Zeitraum zwischen 1995 und 2004 mußten die starken Verformungen des Deckgebirges und in den Gruben durch Verfüllung mit Salzabbaumassen erfolgen. Offenbar wurden die abgelagerten Gebinde durch Korrosion und Beschädigung für Radioaktivität durchlässig. Was immer dazu geführt hat: In diesem Jahr wurde bekannt, daß radioaktiv kontaminierte Salzlösungen auftreten, mit denen ohne Genehmigungsgrundlagen umgegangen wurde.

Salzbergwerke, mit der Gefahr von Bergstürzen und von Wassereinbruch wie in Asse und Morsleben, wie sicherlich auch in Gorleben, können nicht mehr für die Endlagerung in Frage kommen. Es ist daher ein »Glück«, daß der politische Konsens von 1979, in Gorleben ein Endlager für hochradioaktive Abfälle zu errichten, mittlerweile aufgekündigt wurde.

Fazit: Bevor bei der Entsorgung keine durchgreifenden und glaubwürdigen Fortschritte erreicht worden sind, verbietet sich nicht nur der Weiterbetrieb von AKW, sondern grundsätzlich die dauerhafte Nutzung der Atomenergie.

These 7: Zivile Atomanlagen sind die Einstiegsdroge für die militärische Nutzung; die Weiterverbreitung von Know-how und Material zum Bombenbau läßt sich nicht kontrollieren.

Die politisch geforderte Trennung zwischen militärischer und ziviler Nutzung der Atomenergie ist technologiebedingt nicht möglich. Daher dürfte sich auch in Zukunft kaum verhindern lassen, daß es weiteren Staaten gelingt, auf der Basis der zivilen Nutzung Atomwaffen zu entwickeln. Denn für die Brennstoffversorgung der AKW werden auch heute noch die für die Atombombe entwickelten Technologien genutzt. Die Nutzung der Atomenergie in Leichtwasserreaktoren ermöglicht auch die Herstellung von Kernbrennstoffen für Atombomben.

Um diesen Gefahren zu begegnen, wurde 1968 der Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet. Er verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, ihre Atomenergieaktivitäten der Kontrolle der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) zu unterstellen. Diese führt quasi Buch über die im Umlauf befindlichen Mengen an Atombrennstoffen.

Der Geburtsfehler dieses Kontrollinstruments ist die Tatsache, daß die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges und China, also die Vetomächte des UN-Sicherheitsrats, ihre für militärische Aktivitäten genutzten Anlagen dieser Einrichtung nicht unterstellt haben; sie sind zudem auch nicht der vereinbarten Abrüstungsverpflichtung gefolgt. Dennoch bedeutet diese Vertragssituation, daß die Atomwaffenstaaten die weltweite Atombrennstoffversorgung kontrollieren. Mit der politischen Folge, daß auf diese Weise auch die Preise für Atombrennstoff kontrolliert werden können und daß besondere »Schützlingsstaaten« der USA entweder heimlich, wie Israel und Pakistan, oder jetzt sogar per Vertrag mit Indien bei der Entwicklung der Atombombe unterstützt wurden.

Andererseits wurde bzw. wird Staaten wie Irak und Iran das Recht auf friedliche Nutzung der Atomenergie mit der Unterstellung aberkannt, sie entwickelten in den geplanten Atom­anlagen bombenfähiges Material. So braucht man sich nicht zu wundern, daß zahlreiche Schwellenländer den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnen, weil sie in ihm eine moderne Form des ­Kolonialismus sehen.

Schließlich bleibt zu erwähnen, daß Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy seit seinem Amtsantritt in die Atomoffensive gegangen ist und Algerien, Libyen, Dubai, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Marokko die Lieferung von Atommeilern angeboten hat.

Fazit: Das einzige Mittel, die militärischen Optionen der Atomenergie auszutrocknen, ist die weltweite Einstellung ihrer zivilen Nutzung, kombiniert mit einer Verschrottung sämtlicher Atomwaffen.

These 8: Die gesamte Produktionskette vom Uranerzabbau über die Urangewinnung und -anreicherung bis zur Energieerzeugung ist auf allen Stufen hochgefährlich, gesundheitsschädlich und im Grunde zerstörerisch.

Nicht nur in Ländern wie Australien, Brasilien und den USA wird Uranerz abgebaut; in Deutschland gab es den Abbau auch; die Sanierung der DDR-Anlagen in Thüringen hat immerhin sechs Milliarden Euro gekostet. Erst kürzlich sind Zahlen über die Radon-Geschädigten in Thüringen und in Sachsen publiziert worden. Radon ist das radioaktive Edelgas, das in Gemeinschaft mit Uranvorkommen eine, zusätzlich zu den Stäuben, wesentliche gesundheitliche Belastung vor Ort darstellt.

Das Bundesamt für Strahlenschutz hat für die nach eigenen Angaben weltweit größte Studie zu diesem Thema 59000 Bergleute der ehemaligen Uranerzbergbau-Betriebe in Thüringen und Sachsen erfaßt. 14646 von ihnen sind inzwischen mit bekannter Todesursache gestorben. Von dieser Gruppe starben 2388 an Lungenkrebs, von denen wiederum 2201 dem Edelgas Radon ausgesetzt waren. Bei diesen sei es zudem gehäuft zu Magen-, Leber- und Mundhöhlenkrebs gekommen.

Die Probleme beim Uranabbau und der Herstellung der Brennstäbe sind jedoch vielfältiger und weitreichender. Ein Reaktor braucht pro Jahr rund 30 Tonnen Brennelemente. Für deren Herstellung werden 300 Tonnen des hochgiftigen Zwischenprodukts Uranhexafluorid benötigt. Dies wiederum wird aus Tausenden Tonnen Uran­erz gewonnen.

Man bedenke: Gegenwärtig nutzt man Abbaustätten, in denen das Uran mindestens in Konzentrationen von 0,1 bis 0,5 Prozent des abgebauten Erzes (ein bis fünf Kilogramm einer Tonne Erz) vorliegt. Und dieses gemessen an anderen Rohstoffen äußerst niedrig konzentrierte Erz enthält das mit 99,27 Prozent für die Atomtechnik untaugliche U238 und lediglich 0,72 Prozent des spaltbaren U235-Isotops. Das Erz muß also nicht nur aufbereitet, sondern das U235-Isotop muß auch angereichert werden. Bei der Erzaufbereitung entstehen arsen- und uranhaltige Schlämme, die in riesigen, oft schlecht gesicherten Speicherbecken gelagert werden.

Untertage drohen den Arbeitern bei schlechter Belüftung Lungenkrebs und andere Atemwegserkrankungen, denn hier wird das schon erwähnte Radon frei. Übertage drohen dieselben und ähnliche Krankheiten, weil hier die Belastung durch radioaktive Stäube bei unzureichenden Schutzausrüstungen zu hoch ist. Aber nicht nur die Arbeiter sind von diesen Krankheiten bedroht, sondern die in der Nähe ansässige Bevölkerung ebenso. Denn nicht zu unterschätzen sind die Abfallmassen mit dem abgereicherten Uran, die ihre natürliche Radioaktivität besitzen.

Die Bevölkerung in der Nachbarschaft einer Uranmine muß noch dazu in Kauf nehmen, daß ihnen ihr Land meist widerrechtlich genommen wurde. In Kanada, Australien, Brasilien, Niger und Namibia sind es sogar Reservate der Ureinwohner, die auf der Suche nach dem strahlenden Gold geplündert werden. Durch die gigantischen Mengen radioaktiven Staubs werden deren Heimatregionen weiträumig verstrahlt, durch die Anlage der Minen wird ihnen ihr meist heiliger Boden geraubt.

In Namibia sind die beiden in der Wüste liegenden Uranminen wegen ihres gigantischen Wasserbedarfs für die Austrocknung unterirdischer Wasserläufe verantwortlich, die die Lebensgrundlage des dort lebenden Namavolkes sind. Sowohl in Namibia als auch in Malawi und Tansania beabsichtigen zirka 20 internationale Firmen, die dortigen Uranvorkommen zu untersuchen und möglicherweise auszubeuten. Der Anreiz kommt auch dadurch zustande, daß in Australien inzwischen strenge und kostenintensive Umweltauflagen für den Uranbergbau gelten, wohingegen in den afrikanischen Ländern noch nicht einmal gesetzliche Regeln für den Umgang mit radioaktivem Material existieren, geschweige denn angemessene Sozial-, Umwelt- und Kontrollstandards.

Fazit: Eine Technologie, die von Grund auf mit Menschenrechtsverletzungen verbunden ist, sollte schnellstens ausgemustert werden.

These 9: Für Uran gilt wie für alle anderen Schwermetalle und die meisten irdischen Rohstoffe, daß seine Vorräte endlich sind.

Daraus folgt die in These 1 erläuterte Konsequenz, daß mit jeder weiteren Nutzung dieser Vorräte das Ende naht; der »peak uran« ist bald erreicht. Wir können nur hoffen, daß dies niemand in der Welt zum Anlaß nimmt, erneut mit sogenannten Brutreaktoren zu experimentieren. Dies würde den Einstieg in die um vieles riskantere Plutonium-Technologie bedeuten.

Fazit: Es hilft nur schnellster Ausstieg aus der gesamten Atomtechnologie.

Die dargestellte Vielfalt der mit der Atomenergie unauflösbar verbundenen großen Risiken steht einer verantwortbaren Nutzung fundamental entgegen, so daß sie weltweit möglichst schnell überwunden werden muß.

Die Atomenergie, ja die gesamte Atomtechnologie ist von Grund auf weder zukunftsfähig, noch nachhaltig, noch hilfreich bei der Lösung der weltweiten Probleme. Daher können wir nur hoffen, daß das Damoklesschwert dieser Risikotechnologie nirgendwo und niemals niederfällt. Wir haben genügend zu tun, um die »Kassandra«-Risiken des Klimawandels (siehe Teil 1) zu minimieren. Wir müssen das Risiko einer plötzlichen gegenüber einer schleichenden Katastrophe abwägen. Gegen erstere hilft nur schnelles Abschalten der Reaktoren, gegen letztere müssen wir die Reduktion der CO2-Emissionen in einem planbaren Zeitraum organisieren.

Prof. Dr. Jürgen Rochlitz ist Gründungsmitglied der Partei Die Grünen in Rheinland-Pfalz. Er ist seit 2002 Mitglied der Kommission für Anlagensicherheit (KAS) beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Unterstützen Sie die Erklärung des Umweltinstituts München e. V. gegen Atomenergie mit Ihrer Unterschrift:
www.umweltinstitut.org/muenchner_erklaerung/Startseite.php

Quelle: jungewelt.de Teil1, Teil2

ASSE-Gegner planen Lichterkette am 26. Februar /08.01.09

Die "Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad" informierte in einer Pressemitteilung über die Entwicklung in Sachen Atommüll-Lager ASSE II im Kreis Wolfenbüttel und geplante Proteststaktionen:
Am 1. Januar 2009 übernahm das Bundesamt für Strahlenschutz den Betrieb des Atommüll-Lagers ASSE II im Kreis Wolfenbüttel. An der katastrophalen Lage des Atommülls im Bergwerk ändert das allerdings nichts. Darauf wiesen Anwohner/-innen und Initiativen mit Aktionen rund um den Jahreswechsel hin. Am 5. Januar führten sie eine Mahnwache an der ASSE II durch. Anlass war die Eröffnung der Infostelle des Betreibers.

"Ursprünglich", sagt Udo Dettmann vom ASSE-II-Koordinationskreis, "haben mal die umliegenden Kommunen vom alten Betreiber eine Infostelle gefordert, aber das war sicherlich nicht als Ersatz für andere Maßnahmen gemeint. Über die Stabilisierung des Grubengebäudes wird jetzt seit über einem Jahr geredet und die Realisierung soll frühestens im Sommer 2009 beginnen. Für die Einrichtung der Infostelle waren ganze 6 Wochen nötig. Aber schöne Worte und bunte Bilder machen den Atommüll in der ASSE II nicht sicherer."

Statt Topdown-Informationen fordern die Bürgerinitiativen eine offene Auseinandersetzung und einen offenen Optionenvergleich unter Beteiligung der Betroffenen und unabhängiger Wissenschaftler/-innen.

Im Zusammenhang mit dem Übergang der Verantwortung für die Asse vom Bundesforschungsministerium auf Umweltministerium und BfS will Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) einen Paragrafen 57 b in das Gesetz einfügen. Danach ist für das Atommülllager nur für die Schließung ein Planfeststellungsverfahren vorgesehen, für den Weiterbetrieb bis zur Stilllegung ausdrücklich nicht.

Als Protestaktion planen die ASSE-Gegner für Donnerstag, dem 26. Februar, um 19.00 Uhr eine 52 km lange Lichterkette von Braunschweig über die ASSE bis zum Schacht KONRAD.
Quelle: Rote fahne News

Wörtliche Wiedergabe der Kreistagsresolution zum Atommüll-Transport /07.01.09

Der Kreistag des Landkreises Lüchow-Dannenberg hat in seiner Sitzung am 15.12.2008 folgende Resolution zum Atommülltransport nach Gorleben im November 2008 beschlossen:

Der Kreistag geht davon aus, dass die Äußerungen der Bundesregierung und der Niedersächsischen Landesregierung anlässlich der skandalösen Vorgänge im Atommülllager Asse II und anlässlich des Endlagersymposiums in Berlin, zukünftig für höchstmögliche Sicherheit, Transparenz und Beteiligung der Bevölkerung zu sorgen, ernst gemeint waren. Der Kreistag bekräftigt nochmals seine ablehnende Haltung zu den Transporten nach Gorleben:

Dies vorausgeschickt verabschiedet der Kreistag nachfolgende Resolution:

1. Alle 2008 genutzten Transportbehälter sind im Zwischenlager Gorleben von einer unabhängigen Institution in Bezug auf Neutronenstrahlung unverzüglich nachzumessen und die Werte sind zu veröffentlichen. Der Transport von Atommüll nach Gorleben 2008 mit 11 Französischen Behältern des Typs TN 85 verstieß gegen das gesetzliche Minimierungsgebot und führte zu unnötiger radioaktiver Belastung von Bevölkerung und Begleitpersonal.
Die Wirkungsfaktoren für Neutronenstrahlung sind den wissenschaftlichen Erkenntnissen anzupassen und zu erhöhen. Für alle Transportbehälter sind vor der Zulassung Falltests in Originalgröße durchzuführen. Dementsprechend sind alle Transporte von HAW nach Gorleben auszusetzen, da diese Forderungen nicht erfüllt sind.

2. Der Kreistag verurteilt Einsatzpraktiken der Polizeikräfte, die eindeutig das Gebot der Verhältnismäßigkeit verletzten.

3. Der Kreistag kritisiert die Allgemeinverfügung für Versammlungsverbote, besonders das Fehlen einer Begründung.

4. Der Kreistag mißbilligt die falsche und diskriminierende Einschätzung von lnnenminister Schünemann und Einsatzleiter Niehörster bezüglich der Zahl gewaltbereiter Demonstranten. Der Kreistag stellt fest, dass der Atommülltransport 2008 vom bisher friedlichsten Protest begleitet wurde.

5. Der Kreistag fordert das Niedersächsische Innenministerium auf, dafür zu sorgen, dass Abgeordnete nicht bei der Ausübung ihres Mandats gehindert werden.

Der Kreistag kritisiert auf das Schärfste, dass keine der geladenen Behörden und Einrichtungen zu seiner Atomausschuss-Sitzung am 27.11.2008 einen Vertreter geschickt hat.

Die Begründungen für die Absagen widersprechen eklatant dem vom Bundesumweltminister Gabriel formulierten Postulat, in Zukunft für höchstmögliche Sicherheit und Transparenz zu sorgen.

Der Kreistag erneuert deshalb seine Einladung zu einem zeitnahen Termin in den Fachausschuss „Atomanlagen" und fordert die Behörden auf, Bedenken der Einwohner des Landkreises Lüchow-Dannenberg ernst zu nehmen und zu den offenen Fragen Rede und Antwort zu stehen.

Zur Begründung stellt der Kreistag fest: Die Messungen der Neutronen-Dosisleistung während des Atommülltransports nach Gorleben im November 2008 von Greenpeace kamen zu dem Ergebnis, dass die Neutronenstrahlung im Mittel um 45% höher lag, als während des Transports im Jahre 2005 und den heute gültigen Grenzwert zu 80% ausschöpfte.
Am Umladekran in Dannenberg wurden gemäß Pressemitteilung des NMU an lediglich drei Stichproben von 11 Transportbehältern Strahlungswerte gemessen. Es wurde nicht mitgeteilt, an welchen Stellen der Behälter die Messungen durchgeführt wurden.

Der Kreistag stellt fest, dass der Atommülltransport 2008 vom bisher friedlichsten Protest begleitet wurde und stützt sich dabei auf die übereinstimmenden Beschreibungen von Kirchenvertretern und Initiativen. Während des Castortransportes wurden von der Polizei Mittel eingesetzt, die oft nicht dem Gebot der Erforderlichkeit, der Geeignetheit und der Angemessenheit entsprachen. So wurden vielfach u.a. Handgelenke verdreht und gesundheitsgefährdende Griffe am Kopf angewandt. SEKs verfolgten und schlugen Menschen im Dunklen in den Waldgebieten außerhalb des „Verbotskorridors", Wasserwerfer wurden noch nach Passieren der Behälter eingesetzt.
Es kam zu verbalen und sexistischen Übergriffen und Nötigungen. Fast 300 in Gewahrsamnahmen von Personen, über 700 Personalienfeststellungen, 2500 Platzverweise (viele davon gegen Einheimische), die Sicherstellung von 50 Traktoren und der Einsatz von 18000 Polizeikräften zeigen das Ausmaß der Unverhältnismäßigkeit der Umstände und Maßnahmen rund um den Transport.

Der Kreistag Lüchow-Dannenberg hat wegen der atomaren Anlagen auf seinem Kreisgebiet einen Fachausschuss „Atomanlagen“ gebildet, dessen Aufgabe es ist, alle Angelegenheiten in Zusammenhang mit den Gorlebener Atomanlagen und den Atommülltransporten auf seinen Verkehrswegen transparent zu begleiten und - insbesondere die gesundheitlichen – Interessen der dortigen Bevölkerung zu wahren.
Dementsprechend hatte der Landrat zu einer Sitzung des Fachausschusses am 27.11.2008 das BfS, das NMU, das GAA, das NMI, das Eisenbahnbundesamt und den Polizeieinsatzleiter fristgerecht eingeladen, um offene Fragen und Begleitumstände zum Transport im November 2008 zu klären.

Lüchow, den 15.12.2008
Quelle: Per E-Mail des Landrates am 07.01.09