Freitag, 29. Mai 2009

Atomkraftgegner besetzen Endlagergelände in Gorleben /29.05.09

Bild links: contrAtom
Mehrere Hundert Demonstranten haben am Freitag den oberirdischen Bereich des Gorlebener Erkundungsbergwerks gestürmt.

Die Atomkraftgegner kündigten weitere Protestaktionen an: "Wir werden keine Ruhe mehr geben", sagte ein Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI).

Anlass für den Protest waren Berichte, wonach schon in den 1980er-Jahren damit begonnen wurde, den Salzstock Gorleben zum Endlager für Atommüll herzurichten. Bislang hieß es offiziell, Gorleben werde nur erkundet. Die Atomkraftgegner sprachen von einer "Erkundungslüge".

Demonstranten überwinden Mauern und Zäune

Am Mittag hatten zunächst etwa 1000 Atomkraftgegner vor dem Bergwerk gegen Gorleben als Endlager protestiert. Daran beteiligten sich auch rund 30 Landwirte mit ihren Traktoren.

Die Polizei löste die Versammlung ohne erkennbare Gründe auf und forderte die Demonstraten auf, sich zu entfernen. Die Demonstrationsteilnehmer antworteten darauf mit dem Durchbruch durch die Zaunanlagen. Parallel erklommen Aktivisten den Endlagerturm und hissten die Wendlandsonne. Die völlig überforderte Polizei konnte nur tatenlos mitansehen, wie sich Trecker, ein Radlader und viele Menschen mit Spaten und Schaufeln auf den Weg zu dem Förderturm des Salzstockes machten.

Nach Angaben der Polizei seien es 200 bis 300 Personen gewesen, die aus der Demonstration heraus, Mauer und Zäune überwanden und das Lager-Gelände stürmten. Dort besetzten sie unter anderem den Förderturm und drangen in die Förderturmhalle ein.

Am Donnerstag war bekannt geworden, dass der Salzstock in Gorleben in Teilen bereits als Endlager für hoch radioaktiven Atommüll ausgebaut wurde. Wie das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) mitteilte, wurden die Anlagen für eine mögliche spätere Endlager-Nutzung ausgelegt, falls der Salzstock sich als geeigneter Standort erweise. Deshalb seien auch höhere Kosten entstanden als bei einer bloßen Erkundung. Die Arbeiten haben bisher 1,5 Milliarden Euro gekostet haben.

Weitere Berichte und Fotos unter:
http://www.ejz.de/index.php?EJZID=c4599b6931ff58b15e59861a95d8b39c&kat=50&artikel=109121385&red=28&ausgabe=
EJZ-Fotos
http://www.castor.de/presse/biprmtlg/2009/quartal2/29b.html
http://www.contratom.de/news/newsanzeige.php?newsid=14460
http://de.indymedia.org/2009/05/251951.shtml
http://wendland-net.de/index.php/artikel/20090529/gorleben-der-dreck-muss-weg
http://www1.ndr.de/nachrichten/dossiers/atomkraft/gorleben248.html
http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/59488/1414674/polizeiinspektion_lueneburg

mp3-Stream:
http://www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio38974.html




oben: Ein Video von Graswurzel TV 5:18min. Video bei YouTube



Ein Videobeitrag aus der Tagesschau 2:03min. Video bei YouTube

Missionare der Atomkraft /26.05.09

Vor 50 Jahren wurde das "Deutsche Atomforum" zur friedlichen Nutzung der Kernenergie gegründet
Von Frank Grotelüschen

Als in den 60er-Jahren in der Bundesrepublik die ersten Kernkraftwerke gebaut wurden, hatte eine Organisation daran einen nicht unerheblichen Anteil - das Deutsche Atomforum. Dahinter verbirgt sich der Interessenverband der Nuklearindustrie und der Energieversorger. Vor 50 Jahren wurde das Atomforum gegründet.

Gorleben, 8. November 2008. Tausende Atomkraftgegner sind gekommen, um gegen einen Castor-Transport zu demonstrieren. Das zeigt: In Deutschland ist die Kernkraft höchst umstritten, sie polarisiert. Das hatte man sich in der 50er-Jahren ganz anders vorgestellt. Damals galt die friedliche Nutzung der Kernenergie als zukunftsweisend und zukunftssichernd.

"Eine Nation, die auf dem Gebiet der Atomwissenschaft und Atomwirtschaft nicht Gleichstand und Konkurrenzfähigkeit mit den übrigen Völkern aufweisen kann, wird allmählich einem Prozess der Deklassierung unterliegen!"

Das sagte einst Franz-Josef Strauß, 1955 bis 1956 Bundesminister für Atomfragen.

Deutschland wollte beim Einstieg in die Kernenergie unbedingt dabei sein. Nur: Länder wie Großbritannien, Frankreich und vor allem die USA hatten kriegsbedingt einen technologischen Vorsprung.

"Man hatte große Sorge, den Anschluss zu verpassen"

, sagt Walter Hohlefelder, Präsident des Deutschen Atomforums.

"Deswegen haben sich damals Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zusammengefunden, um das Deutsche Atomforum zur Förderung der Kernenergie in Deutschland zu gründen."

Am 26. Mai 1959 wurde die Gründungsurkunde unterschrieben - mit dem erklärten Ziel, Kernkraftwerke in Deutschland zu bauen und vor allem auch eine eigene Atomindustrie auf die Beine zu stellen.

"Es wurde großer Wert darauf gelegt, so schnell wie möglich über Forschungsreaktoren zu kommerziellen Reaktoren zu kommen."

Das Atomforum fungierte vor allem als Interessenverband der Atomindustrie. In der Öffentlichkeit warb man offensiv für die Kernkraft. Hinter den Kulissen ging es um konkrete Einflussnahme auf die Politik.

Das Atomforum hatte Erfolg: Im Juni 1961 ging in Kahl unweit von Aschaffenburg das erste Kernkraftwerk der Bundesrepublik ans Netz. Mit 15 Megawatt nur eine kleine Anlage, der Reaktorkern kam aus den USA. Bald aber folgten Meiler aus deutscher Produktion. Mit rund 1300 Megawatt zählen sie bis heute zu den größten Reaktoren der Welt.

In den 70er- und 80er-Jahren kippte die Stimmung, denn mehr und mehr Menschen fürchteten sich vor den Folgen eines Reaktorunfalls und vor langlebigem Atommüll - und demonstrierten gegen neue Meiler, Endlager und Wiederaufarbeitungsanlagen. Für diese Kritiker zählt das Deutsche Atomforum bis heute zu den Hauptgegnern.

"Das Atomforum ist eine Propagandamaschine für die Atomindustrie und scheut sich auch nicht, Halbwahrheiten zu veröffentlichen"

, sagt Heinz Smital, Atomexperte bei Greenpeace.

"Wenn man wirklich Informationen haben will, die ein bisschen spezieller sind, dann wird sofort geblockt. Es gibt ganz lapidare Auskünfte. Aber wenn's substanziell wird, erfährt man eigentlich nichts."

Dann, am 26. April 1986, geschah der nukleare Großunfall.
"Guten Abend, meine Damen und Herren. In dem sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl ist es offenbar zu dem gefürchteten Gau gekommen, dem Größten Anzunehmenden Unfall."

Das Deutsche Atomforum bemühte sich schon wenige Tage nach dem Gau, die Öffentlichkeit zu beruhigen.

"Zunächst mal muss man sagen, dass es in der Bundesrepublik keinen Reaktor diesen Typs gibt und von daher ein solcher Störfall-Ablauf bei uns schlicht und einfach ausgeschlossen ist."

Dennoch: Tschernobyl sollte in Deutschland den Ausstieg aus der Kernkraft einläuten. Zähneknirschend willigten die Mitglieder des Atomforums, also vor allem Nuklearindustrie und Energieversorger, im Jahr 2000 in den Atomkonsens ein.

Heute blickt Atomforum-Präsident Walter Hohlefelder wieder nach vorn. Staaten wie Finnland und Frankreich bauen derzeit an neuen Reaktoren. Und in Deutschland spricht mancher vom Ausstieg aus dem Ausstieg.

"Es gibt eine Aufbruchstimmung. Die Dinge haben sich seit dem Atomausstieg des Jahres 2000 verändert. Das Thema Klimawandel steht absolut im Vordergrund. Kernenergie ist CO2-frei, und deswegen kann man auf Kernenergie nicht verzichten. Das hat sich weltweit durchgesetzt. Nur in Deutschland spielen wir in dieser Frage noch eine Sonderrolle."

Eine Laufzeitverlängerung bei Kernkraftwerken von bisher höchstens 35 Jahren auf 50, vielleicht sogar 60 Jahre, so die Position des Atomforums. Von neuen Meilern ist dagegen noch nicht die Rede - zumindest offiziell.
Quelle:
Deutschlandradio

Schwarzbau Endlager Gorleben /27.05.09

Atom-Endlager
Schwarzbau Gorleben?
VON JOACHIM WILLE

Der Salzstock in Gorleben ist offenbar bereits seit Mitte der 80er Jahre illegal zu einem Atom-Endlager ausgebaut worden. Dies geht aus einer internen Bewertung des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) in Salzgitter hervor, die der FR vorliegt.

Dieses Eingeständnis ist brisant. Denn bisher gibt es für Gorleben nur Genehmigungen zur untertägigen "Erkundung", ob der Salzstock für ein Endlager geeignet ist. Das BfS ist Gorleben-Betreiber.

In dem Papier heißt es, die "bisherigen Erkundungskosten" hätten außerordentlich hoch gelegen, "was jedoch darin begründet liegt, dass hier parallel zur Erkundung bereits der Ausbau zum Endlager begonnen wurde". Das BfS wollte die Existenz des Papiers auf Anfrage offiziell nicht bestätigen. Indirekt bestätigte ein BfS-Sprecher: Die in Gorleben bislang angefallenen Kosten seien höher, als es allein für eine Erkundung im Rahmen eines Standortauswahlverfahrens notwendig gewesen wäre.

Die unterirdischen Arbeiten in Gorleben ruhen zur Zeit. Sie wurden 2000 gestoppt, nachdem Bundesregierung und Stromkonzerne sich im Atomkonsens auf ein Moratorium für das umstrittene Projekt geeinigt hatten. Die Konzerne haben in Gorleben bereits rund 1,5 Milliarden Euro investiert. Der Baustopp läuft bald aus, das Moratorium sollte maximal zehn Jahre lang gelten.

In der Bundesregierung und der Koalition ist heftig umstritten, ob Gorleben sofort weiter erkundet werden soll oder vorher eine neue vergleichende Standortsuche stattfinden soll. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) will, dass ein neues Verfahren aufgerollt wird, das Gorleben allerdings als einen möglichen Standort einbezieht. Das Bundeswirtschaftsministerium dagegen plädiert dafür, zuerst Gorleben fertig zu untersuchen und bei Eignung sofort als Endlager auszubauen.

Das BfS-Papier ist eine Stellungnahme zu einer Gorleben-Broschüre des Wirtschaftsministeriums, die den Salzstock als gut geeignet zur Aufnahme hoch radioaktiver Abfälle darstellt. Zitat: "Aus Sicht des BMWI haben sich (...) keine negativen Aspekte gegen den Salzstock ergeben. Ebenso wenig ist eine Notwendigkeit eines Standortvergleichs zu erkennen."

Das Bundesamt, das dem Gabriel-Ministerium untersteht, attackiert das Wirtschaftsministerium heftig, da es sich unzulässigerweise in die Zuständigkeit des Umweltressorts eingemischt habe. Es weist auch dessen Angabe zurück, eine Aussage über die Eignung Gorlebens könne nach Neustart der Untertage-Arbeiten schon binnen fünf Jahren getroffen werden. Realistisch seien 15 Jahre. Auch die Ergebnisse der bisherigen Gorleben-Erkundung seien noch "nicht anschließend bewertet", argumentiert das BfS . Es moniert, das Wirtschaftsministerium habe Untersuchungsergebnisse unter den Tisch fallen lassen, die "von Kritikern für die Ungeeignetheit des Standortes Gorleben angeführt werden (z. B. fehlende durchgehende Tonschicht über dem Salzstock...)". Der dichte Ton soll verhindern, das Wasser von oben in den Salzstock eindringt.

Zudem weist das BfS den in der Broschüre vermittelten Eindruck zurück, Gorleben sei in den 70er Jahren in einem transparenten Auswahlverfahren ausgesucht worden. Der Salzstock war damals einer von vier Standorten in Niedersachsen, die es "in die letzte Runde geschafft" hatten. Welche Kriterien danach den Ausschlag gaben, sei unklar, so das BfS. Kritiker monieren seit langem, Gorleben sei auch deswegen von der Landesregierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) vorgezogen worden, weil es in der Nähe der damaligen Zonengrenze in einer dünn besiedelten Region liegt - mit geringem Protestpotential, wie man irrtümlicher Weise annahm.

Das Bundesamt spricht sich in dem Papier klar für eine neues Auswahlverfahren aus. Die Kosten lägen niedriger als vom Wirtschaftsministerium befürchtet, das von "Mehrkosten in Milliardenhöhe zu Lasten der Stromverbraucher" schreibt. Tatsächlich koste das von Gabriel favorisierte Verfahren "deutlich unter 1 Mrd. Euro", inklusive untertägiger Erkundung.

In diesem Zusammenhang fällt auch die kritische Aussage des BfS-Papiers zum Charakter der Gorleben-Arbeiten, die 1979 begannen. Atomgegner hatten bereits in den 90er Jahren moniert, dass das große "Erkundungsbergwerk" einen verdeckten Ausbau zu einem Endlager darstelle. Grünen-Umweltminisiter Jürgen Trittin sprach einmal von einem ungenehmigten "Schwarzbau".

Die Bürgeriniative Lüchow-Dannenberg sieht sich durch das interne BfS-Papier bestätigt. "Die Erkundungslüge ist aufgeflogen", sagte BI-Sprecher Wolfgang Ehmke der FR. "Endlich kommt ans Licht, dass nach Abschluss der Tiefbohrungen, also Mitte der 80er Jahre, der Bau des Endlagers begonnen wurde - und zwar unter Ausschluss der Öffentlichkeit." Die Errichtung eines Endlagers ohne Eignungsaussage und ohne Planfeststellungsbeschluss sei klar rechtswidrig. Die Atomgegner fordern Minister Gabriel auf, endgültig auf den Standort Gorleben zu verzichten. Nur dadurch lasse sich das Vertrauen in einen fairen Suchprozess wiedergewinnen.
Quelle: Frankfurter Rundschau

Lesen Sie dazu:
http://www.sueddeutsche.de/politik/560/470111/text/
http://www.focus.de/politik/schlagzeilen?day=20090528&did=1069678
http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/Gorleben-Atomendlager;art122,2809531
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/973305/
http://www.stern.de/politik/deutschland/:Berichte-%FCber-Ausbau-Gorleben-Endlager/702145.html

Gorleben-Gutachter packt aus /22.04.09

Wissenschaftler von Bundesregierung unter Druck gesetzt. Linke fordert Aufklärung
Von Reimar Paul

Als der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) den Salzstock Gorleben im Jahr 1977 zum Standort für ein »Nukleares Entsorgungszentrum« (NEZ) benannte, ließ er sich weniger von fachlichen als von politischen Gründen leiten. Im dünn besiedelten Kreis Lüchow-Dannenberg, der wie ein Finger in die DDR hineinragte, würden die mehrheitlich brav CDU wählenden Leute schon nichts gegen die Atomanlagen haben – und gegen die versprochenen Arbeitsplätze schon gar nicht. Das Kalkül ging bekanntlich nicht auf. Eine Wiederaufarbeitungsanlage, Herzstück des geplanten NEZ, wurde nie gebaut. Und bis heute stellen sich im Wendland Tausende gegen Castortransporte quer.

Daß Gorleben aus geologischen Gründen nichts taugt, haben Atomkraftgegner immer wieder nachzuweisen versucht. Jetzt bekommen sie Schützenhilfe von einem der maßgeblich Beteiligten. Professor Helmut Röthemeyer, 1983 verantwortlicher Abteilungsleiter bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), schilderte in einem Zeitungsinterview seine damaligen Bedenken gegen ein Endlager in Gorleben. Bei der Auswertung der Bohrergebnisse hätten er und seine Kollegen feststellen müssen, daß das von einer eiszeitlichen Rinne durchzogene Gestein über dem Salzstock nicht in der Lage sei, »Kontaminationen auf Dauer von der Biosphäre zurückzuhalten«.

Die Wissenschaftler hätten dann auch die Schlußfolgerung ihres Gutachtens entsprechend gestalten wollen, sagte Röthemeyer. »Wegen des Erkundungsrisikos in Gorleben und aus Gründen der Akzeptanz des Standorts haben wir in den Bericht die Empfehlung hineingeschrieben, einen zweiten Standort zu untersuchen.« Vertreter des Bundeskanzleramtes und des Forschungsministeriums hätten die PTB jedoch zur Änderung ihres Gutachtens aufgefordert. »Es gab nichts Schriftliches, keine schriftliche Weisung, aber wir mußten das Gespräch klar als Weisung auffassen«, sagte Röthemeyer.

Die Partei Die Linke im niedersächsischen Landtag sprach am Dienstag von massivem politischen Druck auf beteiligte Wissenschaftler. Dieser Vorgang müsse sofort lückenlos aufgeklärt werden, fordert der umweltpolitische Sprecher Kurt Herzog. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg verlangte die Veröffentlichung der damaligen Unterlagen und Protokolle. Der Gorlebener Salzstock wird seit Ende der 1970er Jahre auf seine Eignung als Endlager für hochradioaktiven Müll untersucht. Während Union und FDP auf ein Ende des Moratoriums drängen, will Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) auch andere Standorte untersuchen lassen.

Quelle: JungeWelt