Sonntag, 19. September 2010

Großdemo in Berlin am 18.09.2010 Atomkraft: Schluss jetzt

Sitzblockade mit Atom-Alarm. Fünf große Traktoren quetschen sich durch die enge Dorotheenstraße. Die Trecker haben Dannenberger Kennzeichen und sind am Morgen aus dem niedersächsischem Wendland nach Berlin gekommen. Direkt hinter den Wendlandtreckern beginnt der Demonstrationszug. Davor stapft Uwe Hiksch.

Fünf große Traktoren quetschen sich durch die enge Dorotheenstraße. Die Trecker haben Dannenberger Kennzeichen und sind am Morgen aus dem niedersächsischem Wendland nach Berlin gekommen. Direkt hinter den Wendlandtreckern beginnt der Demonstrationszug. Davor stapft Uwe Hiksch.

Der Endvierziger von den Naturfreunden Deutschland diskutiert mit dem Einsatzleiter über einem Google-Maps-Ausdruck, wo die ganzen Demonstranten hin sollen, die hinter den beiden auf die Strecke drängen.

'Wir haben der Polizei ja gesagt, dass wir mehr werden, als erwartet. Die haben uns aber nicht geglaubt', sagt Hicksch. Demonstranten, die mit einem der drei Sonderzüge aus Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Baden-Würtemberg angereist sind, nennen die Waggons 'überfüllte Sardinendosen'. Mehr als 200 Reisebusse aus dem gesamten Bundesgebiet seien gemeldet worden, sagt Jochen Stay von der Organisation 'ausgestrahlt'.

Etwa 30.000 Demonstranten hatten die Veranstalter angemeldet, mit 50.000 vorab gerechnet. Während die Traktoren bereits zwischen Bundestag und Kanzleramt an der abgesperrten Reichstagswiese vorbeituckern, steht das Ende des Zuges noch vor dem Hauptbahnhof, dem Anfang des gut drei Kilometer langen Rundkurses. Am Ende werden die Veranstalter von 100.000 Demonstrationsteilnehmern sprechen, die Polizei immerhin von 40.000 bis 50.000.

Für Hiksch, der seit den 70er Jahren in der Anti-Kernkraft-Bewegung aktiv arbeitet, ist die Demonstration ein großer Erfolg. 'Es ist eine schöne, große, bunte und lustige Demonstration. Es sind unterschiedlichste gesellschaftliche Gruppen da, so wie wir uns das vorgestellt haben', freut sich der gebürtige Bayer zwischen zwei Gesprächen mit dem ebenfalls bayerischen Einsatzleiter der Bundespolizei. Sogar die Zusage, den Lautsprecherwagen der Polizei nutzen zu können, ringt er dem Polizisten ab. 'Für die gerechte Sache setze ich auch Polizeiwagen ein', sagt er mit Augenzwinkern, bevor er über das Polizeimikrofon die Einkreisung des Kanzleramtes dirigiert.

Hiksch meint, an der Anti-Atom-Bewegung komme niemand in Deutschland politisch vorbei. Neben den Wendländischen Bauern und 68ern sind vor allem junge Menschen an diesem Spätsommersamstag auf der Straße. Die Oppositionsparteien und Gewerkschaften marschieren mit, und am Ende des Zuges haben sich drei Trucks von Berliner Elektro-Clubs angeschlossen. 'Atomstrom wegbassen', haben sie auf Aufkleber und Transparente geschrieben.

Auf die Stille folgt der Alarm

Nach einer Stunde Aufmarsch, Diskussion und Lautsprecheransagen ist es soweit. Die Menschen stehen rund um das Regierungsviertel aufgereiht. Sogar 600 'Umzingler' um das Kanzleramt wurden zugelassen. Dann beginnt eine symbolische Sitzblockade auf nassem Asphalt. Für einige Momente ist es still auf der Brücke über die Spree, direkt neben dem Bundestag, und dem Rest der Strecke. Demonstranten sitzen auf dem Boden, halten sich zum Teil an den Händen. Das Regierungsviertel ist umzingelt. Hiksch schaut zufrieden. Genauso hatte er sich das vorgestellt.

Dann beginnt der 'Atom-Alarm': Eine Minute lang schreien, trillern, pfeifen und tröten die Demonstranten aus vollen Kehlen. Ein ohrenbetäubener Lärm auch von Trommeln und Vuvuzelas tönt über das Regierungsviertel. 'Eine super Aktion', kommentiert Hiksch, 'gute Stimmung und gleichzeitig entschlossen gegen Atomenergie'. Ob allerdings der breite Protest des Tages und die kommenden Demonstrationen in München, Stuttgart und gegen den Castor-Transport nach Gorleben noch etwas ändern werden, bleibt mehr als fraglich.


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Ein Film von http://www.graswurzel.tv 5.05min
Schnitt: Jonathan Happ, Kamera: Jonathan Happ


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Bericht: Matthias Deiß, RBB [tagesthemen, 22:35 Uhr 18.09.2010] 2min

Weitere Links mit Berichten und zahlreichen Fotos:

Besuch von der Zivilstreife /17.09.10

Atom-Widerstand
Besuch von der Zivilstreife

Wie ein Rundschau-Artikel über den Atom-Widerstand eine verdeckte Aktion der Polizei im Wendland auslöste.

Der silberne Golf-Variant mit dem amtlichen Kennzeichen SAW-CM 198 patrouillierte Mitte August im Schritttempo über die Dorfstraße von Clenze-Kussebode. Hinter der Seitenscheibe erschien ein Kameraobjektiv. Der Wagen mit den zwei Männern fuhr das langgezogene Hofgrundstück ab, wendete und wiederholte die Aktion.

„Das war sehr merkwürdig“, wunderte sich Mathias Edler, Greenpeace-Experte für Atommüll. Er wertet in dem wendländischen Örtchen für die Umweltschutzorganisation Behördenakten zur Endlagerfrage aus und betreibt nebenbei eine kleine Brauerei. „Die haben mein gesamtes Gelände gefilmt.“ Die Männer im Auto waren weder Diebe auf der Suche nach Beute noch Mitarbeiter des Straßenbilderdienstes Google-Street-View. Es waren Zivilbeamte der Staatsschutzabteilung der Polizeiinspektion Lüneburg/Lüchow-Dannenberg, die sich zur Tarnung, offenbar im Wege der Amtshilfe, ein Nummernschild aus Salzwedel im Nachbar-Bundesland Sachsen-Anhalt zugelegt hatten.

Auslöser der Polizeiaktion war offenbar der Artikel „Hochgradig aktiv“ in der Frankfurter Rundschau über die Anti-Atom-Bewegung im Wendland. In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Landtagsfraktion hat Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) die Aktion gegen potenzielle Gegner des für den 6. November geplanten Castor-Transports nach Gorleben jetzt bestätigt: „Vor dem Hintergrund eines Artikels in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau vom 4. Juni, wonach sich in Clenze auf dem Weg zum Büro eines im Artikel beschriebenen Greenpeace-Aktivisten eine Betonpyramide befinden soll, wurde der Ort am 19. August von Polizeibeamten aufgesucht. Die im Text genannte Betonpyramide wurde im öffentlichen Verkehrsraum festgestellt und in Augenschein genommen, da vergleichbare Betonpyramiden in der Vergangenheit bereits als Tatmittel zur Straftatenbegehung eingesetzt worden sind.“

Minister sieht Gewaltpotenzial

Bei der letzten Atommüll-Fuhre ins Wendland 2008 hatten sich Castor-Gegner in derartigen Pyramiden angekettet und damit den Transport kurz vor Erreichen des Zwischenlagers in Gorleben für einige Stunden aufgehalten. „Vor diesem Hintergrund wurden Lichtbilder (keine Filmaufnahmen) der vorgefundenen Betonpyramide gefertigt“, rechtfertigte Schünemann den Besuch der Zivilstreife. „Personenbezogene Daten wurden im Rahmen dieser Maßnahme nicht erhoben.“

Edler vermutet darin gleichwohl den Versuch, den friedlichen Widerstand im Wendland pauschal zu kriminalisieren. „Die Gegenseite arbeitet auf eine Schlacht hin.“ Die Polizei hätte sich doch offen, also in Uniform und im Streifenwagen, über die zur Spendenbox umfunktionierte Betonpyramide erkundigen können. Niedersachsens Grünen-Fraktionsvizechefin Miriam Staudte stellt einen Zusammenhang mit anderen verdeckten Aktionen der Sicherheitsbehörden her. So habe das Bundesamt für Verfassungsschutz versucht, die Tochter eines Landwirts als Informantin anzuwerben. „Solche Bespitzelungen sind überhaupt nicht akzeptabel.“ Die Castor-Proteste bedrohten den Staat nicht.

Der CDU-Innenminister sieht dagegen wachsendes Gewaltpotenzial in der Anti-Atom-Bewegung: „Man muss damit rechnen, dass es brutaler wird.“ Da müsse man eben schon im Vorfeld tätig werden: „Bei besonderen Gefahrenlagen und bestimmten Erscheinungsformen der Kriminalität ist auch die Durchführung verdeckter Maßnahmen zulässig.“

Castortransport startet am 5. Nov 2010 in la Hague /16.09.10

Neuer Castor-Transport im November

Am 6. November soll nach Informationen einer Bürgerinitiative im niedersächsischen Wendland der nächste Castor-Transport ins Zwischenlager Gorleben rollen. Das Innenministerium will den Termin nicht kommentieren. Atom-Gegner rufen zu Protesten auf.

Die Atom-Gegner im niedersächsischen Wendland erwarten den nächsten Castor-Transport mit nuklearem Abfall ins Zwischenlager Gorleben am 6. November. „Der Zug mit elf Castorbehältern wird am 5. November im französischen Cap de la Hague starten“, teilte die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) am Donnerstag mit. Die Gorleben-Gegner planen deshalb nach eigenen Angaben ihre Kundgebung in Dannenberg am 6. November. Das niedersächsische Innenministerium wollte den Termin nicht kommentieren. Heute besucht der Bundestags- Untersuchungsausschuss das mögliche Atommülllager.

Ein Bündnis aus Anti-Atom-Gruppen, Umweltverbänden, Gewerkschaften und Kirchenvertretern werde die Bäuerliche Notgemeinschaft und die Bürgerinitiative unterstützen, sagte der Sprecher der Initiative, Wolfgang Ehmke: „Gorleben ist schon lange kein regionales Problem mehr, hier manifestiert sich die verfahrene Atompolitik von Schwarz-Gelb, sie produziert nur Müll, von dem am Ende keiner weiß, wohin.“ Gorleben werde als Atommüll-Endlager wegen des Wasserkontakts und des Einschlusses von Gas als Atommülldeponie ausscheiden müssen.

Unterdessen hat der Endlagerbeauftragte der hannoverschen Landeskirche, Pastor Eckhard Kruse, den Widerstand gegen eine weitere Erkundung des Salzstocks in Gorleben bekräftigt. „Sollte die Bundesregierung ihre Pläne zur Enteignung wahr machen, werden wir juristisch dagegen vorgehen“, sagte der Gartower Pastor. Gartow gehört zu den vier Kirchengemeinden, die Salzrechte in Gorleben besitzen. Der stellvertretende Landesbischof Hans-Hermann Jantzen habe die Unterstützung der Landeskirche zugesagt.

Nach einem zehnjährigen Erkundungsstopp will die Bundesregierung die Erforschung des Salzstocks ab Oktober wieder aufnehmen. Der größte Grundbesitzer, Andreas Graf von Bernstorff, und die vier Kirchengemeinden sollten bereits Anfang der 1990er Jahre enteignet werden, sagte Kruse. Damals sei die Bundesregierung gescheitert. „Wir werden weiteren Erkundungen erst zustimmen, wenn die Bedingungen der Kirche erfüllt werden“, kündigte der Pasor an. Dazu gehöre eine ergebnisoffene Suche nach alternativen Standorten. (dpa/epd)

Kirche wehrt sich gegen mögliche Enteignung in Gorleben - Propst sieht Grundbesitz als Unterpfand /14.09.10

Kirche wehrt sich gegen mögliche Enteignung in Gorleben - Propst sieht Grundbesitz als Unterpfand

Hannover/Berlin (epd). Die hannoversche Landeskirche will ihre Kirchengemeinden im Streit gegen eine mögliche Enteignung ihrer Grundstücke in Gorleben unterstützen. "Wir haben mit Verwunderung die Ankündigungen der Bundesregierung zur Kenntnis genommen", sagte der stellvertretende Landesbischof Hans-Hermann Jantzen am Dienstag dem epd in Hannover. "Das können und werden wir nicht einfach so hinnehmen." Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) plant, Grundbesitzer zu enteignen, wenn sie sich gegen eine weitere Erkundung des Salzstocks in Gorleben als atomare Endlagerstätte wehren.

In der ostniedersächsischen Region sind neben zahlreichen Landbesitzern auch vier evangelische Kirchengemeinden von einer Enteignung bedroht. "Wir haben den Gemeinden Rechtsbeistand zugesagt, damit sie sich wehren können", sagte Jantzen, der auch Regionalbischof im Sprengel Lüneburg ist. "Ich bedauere, dass sich die Bundesregierung in eine Sackgasse hat manövrieren lassen. Es scheint so, als habe sich die Atomenergie-Wirtschaft auf ganzer Linie durchgesetzt."

Der evangelische Propst des Kirchenkreises Lüchow-Dannenberg, Stephan Wichert-von Holten, sagte dem epd, die Menschen im Wendland fühlten sich brüskiert und verunsichert. "So geht man nicht mit Menschen um", sagte der Theologe. Die Bundesregierung habe ihren Willen klar bekundet. Allerdings sei noch niemand mit den Kirchengemeinden in Verbindung getreten. "Daher müssen wir erst einmal abwarten."

Die Kirchengemeinden sähen das Grundgesetz auf ihrer Seite, betonte Wichert-von Holten. "Eigentum verpflichtet. Das Kirchenland ist unser Unterpfand für eine transparente Atompolitik." Die Kirche habe mehrfach festgestellt, dass Menschen überfordert seien mit dieser besonderen Technologie.

Die Landeskirche hat Jantzen zufolge bereits im Frühjahr das Gespräch mit dem Bundesumweltminister gesucht. "Doch leider hatte der Minister bislang noch keine Zeit für uns". Die Bundesregierung plant, ab Oktober den Salzstock weiter zu erforschen. Nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz ist keinesfalls sicher, ob er sich als Endlager für Atommüll eignet.

In den vergangenen zehn Jahren waren die Erkundungen gestoppt worden. Etliche Grundbesitzer und die Kirchengemeinden hatten bereits vor 20 Jahren ihre Zustimmung verweigert. Deshalb konnte bislang nur ein Teil des Salzstocks untersucht werden.

Copyright: epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen

Die Zwischenlagerung von Atommüll ist hoch gefährlich /15.09.10

Nachrüsten des Provisoriums
Die Zwischenlagerung von Atommüll ist hoch gefährlich
Von Alexander S. Kekulé

Der Inventarbericht zum Atommüll in der Asse ruft selbst bei hart gesottenen Nuklearexperten ein Schaudern hervor. Und es könnten auch weitere nicht deklarierte und hoch gefährliche Stoffe in dem Nukleargrab lauern.

Der Inventarbericht zum Atommüll in der Asse ruft selbst bei hart gesottenen Nuklearexperten ein Schaudern hervor. Das vergangene Woche veröffentlichte Papier bestätigt, dass in dem nur für leicht- und mittelradioaktive Abfälle genehmigten Versuchslager jahrelang hoch gefährlicher Atommüll versenkt wurde, darunter 28,1 Kilogramm Plutonium. Beim mittelaktiven Abfall ist die Menge elfmal höher als ursprünglich angenommen: Statt der deklarierten 1293 Spezialfässer, die in einer besonderen Kammer lagern sollten, wurden 14 779 Gebinde geortet, die in acht der 13 unterirdischen Salzkammern zwischen dem leicht radioaktiven Müll herumliegen. Da die Radioaktivität mit der Zeit abnimmt, sind davon heute noch 8465 Fässer als mittelaktiv einzustufen.

Der Bericht vermerkt dazu, dass „durch die Ablieferer gegen die Annahmebedingungen verstoßen wurde“ – offenbar ging es in der Asse zu wie bei der neapolitanischen Müllmafia. Die anfangs üblichen „Fassbegleitkarten“ sind verloren gegangen und „konnten daher nicht auf Plausibilität geprüft werden.“ In späteren Zeiten verwendete Begleitscheine liegen zwar vor, für das korrekte Ausfüllen waren jedoch alleine die Absender verantwortlich. Die Autoren des Inventarberichts empfehlen deshalb, sich nicht auf die Angaben zu verlassen. Im Klartext heißt das: Es könnten auch weitere nicht deklarierte und hoch gefährliche Stoffe in dem Nukleargrab lauern.

Ursprünglich sollte die Asse das Pilotprojekt für die Endlagerung des hochradioaktiven Abfalls aus deutschen Kernkraftwerken sein – diese Generalprobe ist grandios gescheitert. Jetzt stellt sich die Frage, wie es um die Endlagerung für das richtig gefährliche Zeug steht.

In Gorleben, dem einzigen erkundeten Endlagerkandidaten, besteht seit 2000 Forschungsstopp. Unter dem niedersächsischen Salzstock soll eine gefährliche Erdgasblase liegen, darüber ist angeblich die Decke nicht stabil. Weil die Landbesitzer im Wendland murren, will die Bundesregierung die Enteignung wieder im Gesetz verankern. Der offizielle Zeitplan, 2035 mit der Endlagerung zu beginnen, ist trotzdem illusorisch.

Im aktuellen Energiekonzept der Bundesregierung kommt das Wort „Endlager“ nicht vor. Doch die darin angekündigte Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke bedeutet eine Zunahme des hochradioaktiven Atommülls um 25 Prozent auf insgesamt 21 600 Tonnen. Der strahlende und giftige Abfall muss für mindestens 200 000 Jahre sicher aus der Biosphäre entfernt werden – rein rechnerisch reicht die Strahlung aus, um alle höheren Lebensformen der Erde auszulöschen. Statt einer Agenda für das Jahr 202010 gibt es bislang jedoch nur ein Provisorium: Die so genannte Zwischenlagerung. Hoch radioaktive Nuklearabfälle heizen sich ständig auf, deshalb spricht man neuerdings von „wärmeentwickelnden Abfällen“. Dabei handelt es sich um abgebrannte Brennstäbe aus Kernkraftwerken und um in Glaskapseln eingeschmolzene Rückstände aus der Wiederaufarbeitung in Frankreich und Großbritannien.

Das rund 400 Grad heiße Material lagert in drei zentralen und zwölf dezentralen Zwischenlagern, die direkt neben den Kernkraftwerken errichtet wurden. Die Mehrzahl der Zwischenlager besteht aus einfachen Stahlbetonhallen, in denen die Abfallbehälter dicht an dicht stehen. Diese Stahlzylinder, etwa der Marke Castor, halten zwar dem Aufprall eines Kleinflugzeuges oder 30 Minuten bei 800 Grad problemlos Stand. Bei einem Angriff mit panzerbrechenden Waffen oder dem gezielten Absturz eines Passagierflugzeuges könnten die Castoren jedoch zu Bruch gehen und ihren radioaktiven Inhalt freisetzen, wie neuere Berechnungen ergaben. Auch können die Temperaturen bei einem Kerosinbrand durchaus 1100 Grad erreichen, was die Behälter angeblich 15 Minuten lang aushalten. Möglicherweise wird ein Feuer jedoch, etwa aufgrund Explosionsgefahr und ausgetretener Radioaktivität, nicht so schnell unter Kontrolle gebracht. Dann weiß niemand, nach wie vielen Stunden die Castoren bersten.

Wie es derzeit aussieht, wird die Zwischenlagerung ein extrem langlebiges Provisorium sein. Eine sicherheitstechnische Nachrüstung dieser Anlagen ist deshalb unverzichtbar.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

Samstag, 18. September 2010

Parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Gorleben und Dannenberg /16.09.10

Fotos von PubliXviewinG: PUA Gorleben im Wendland

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Parlamentarischer Untersuchungsausschuss Gorleben

Lüchow (Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.) 14.09.2010: Der Deutsche Bundestag hat auf Antrag der Abgeordneten der SPD, der Linken und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen am 26. März 2010 einen Untersuchungsausschuss zu Gorleben eingesetzt. Das Gremium unter Vorsitz der Abgeordneten Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) soll die Umstände klären, unter denen die Regierung von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl im Jahr 1983 entschieden hatte, sich ausschließlich auf die untertägige Erkundung des Salzstock im niedersächsischen Gorleben zu beschränken, obwohl die federführende Behörde, die Physikalisch-Technische

Bundesanstalt, aus den Ergebnissen der obertägigen Erkundung die Schlussfolgerung gezogen hatte, dringend alternative Standorte zu untersuchen.

Am Donnerstag (16.09.10) kommen die 15 Mitglieder aller Fraktionen zu einem Ortstermin ins Wendland, um sich ein Bild vom Untersuchungsgegenstand zu machen. Dazu gehört eine Besichtigung des sogenannten Erkundungsbergwerks. Anschließend wollen die Parlamentarier Gespräche mit Kommunalpolitikern führen.

Auf Einladung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg stellen sich die Obleute aller Fraktionen auf einer öffentlichen Veranstaltung den Fragen des Publikums. Zugesagt haben Dr. Maria Flachsbarth als Ausschussvorsitzende, Angelika Brunkhorst (FDP), Reinhard Grindel (CDU), Dorothée Menzner (Linke), Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) und Ute Voigt (SPD). Die Veranstaltung beginnt um 17 Uhr im Dannenberger "Schützenhaus".
Quelle: greenpeace magazin

Kein Segen für Landenteignung /13.09.10

Geplantes Endlager Gorleben
Kein Segen für Landenteignung

Die Kirche will Enteignungen zur Untersuchung des Salzstocks Gorleben nicht hinnehmen. Und die Linke fordert Aufklärung über Erdgas im Umfeld des geplanten Atomlagers.
VON NICK REIMER

BERLIN taz | Die evangelische Kirche hat am Montag Widerstand gegen die geplante Grundstücksenteignung am Salzstock in Gorleben angekündigt. "Wir werden uns das nicht einfach gefallen lassen", sagte der Superintendent im evangelischen Kirchenkreis Lüchow-Dannenberg, Stephan Wichert von Holten. Weil sich Kirche und der Waldbesitzer Graf Andreas von Bernstorff seit 20 Jahren weigern, dem Bund Rechte für die Erkundung des Salzstocks Gorleben als Atommülllager abzutreten, konnte bislang nur eine Hälfte des Stocks untersucht werden.

Deshalb plant die schwarz-gelbe Bundesregierung nun, das Atomgesetz so umzuändern, dass künftig Enteignungen möglich sein sollen. "Bei derzeitiger Rechtslage könnte die Weigerung nur eines einzigen Grundstücksinhabers dazu führen, dass die Erkundungen nicht im erforderlichen Ausmaß vorgenommen werden können", erklärt eine Sprecherin des Bundesumweltministeriums. Deshalb sollen in das neue Atomgesetz wieder Enteignungsvorschriften aufgenommen werden. Rot-Grün hatte diese 2002 aus dem Gesetz gestrichen.

Unterdessen scheint das Geheimnis um eine Bohrturmexplosion vor 41 Jahren gelüftet: Am 25. Juni 1969 waren Arbeiter des VEB Erdöl und Erdgas offenbar ähnlich arglos mit den Sicherheitsvorschriften umgegangen wie die Arbeiter jüngst auf der BP-Ölplattform "Deepwater Horizon". Im brandenburgischen Lenzen, nur fünf Kilometer nordöstlich von Gorleben, hatten DDR-Geologen Erdgas gefunden, das gefördert werden sollte. Allerdings gab es in rund 3.000 Metern Bohrtiefe Probleme mit einem unter hohem Druck stehenden Gemenge aus Erdgas, Gasoline und Salzlauge: Es kam zur Explosion, ein Arbeiter starb, mehrere wurden schwer verletzt.

Die Linke hat nun im Gorleben-Untersuchungsausschuss des Bundestags die Herausgabe der Akten zu diesem Bohrunfall gefordert. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hatte die Unterlagen aus der DDR übernommen, die allerdings unter einem Sperrvermerk stehen. Nach der Privatisierung wurde Gas de France Eigentümer des VEB Erdöl und Erdgas, und der sieht sein Betriebsgeheimnis bedroht. Dorothée Menzner, Energie-Expertin der Linken: "Die Weitererkundung in Gorleben muss gestoppt und die Fragen zu den Gasvorkommen müssen vollständig geklärt werden." Die Existenz von Erdgas im und unter dem Salzstock würde dessen Eignung zusätzlich in Zweifel stellen.
Quelle: taz.de

Das neue Atomgesetz - Enteignungen geplant /12.09.10

BI: Das neue Atomgesetz - Enteignungen geplant

Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) geht mit der Berliner Regierung hart ins Gericht: "Nicht nur, dass Gorleben trotz der bekannten geologischen Einwände als Endlagerstandort durchgesetzt werden soll, jetzt sollen sogar noch Enteignungen ins Atomgesetz aufgenommen werden. Die schwarz-gelbe Koalition faselt von Dialog und Transparenz, aber handelt zutiefst undemokratisch und bürgerfern. Das wird die ohnehin aufgeladene Stimmung im Atomstreit und im Wendland vor dem nächsten Castor-Transport noch weiter anheizen", prophezeit BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.

Für die Errichtung von Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle und die Standorterkundung "ist die Enteignung zulässig", heißt es nach Presseinformationen im Entwurf zum neuen Atomgesetz, den das Bundeskabinett am 28. September beschließen will. Die Möglichkeit der Enteignung hatte Rot-Grün abgeschafft.

Bis Ende September wird das Niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) über den Antrag des Bundes entscheiden, den Uralt-Rahmenbetriebsplan aus dem Jahr 1982 fortzuschreiben, um ab 1. Oktober die Ausbauarbeiten unter Tage im Salzstock wieder aufnehmen zu können.

Sperrgrundstücke, d.h. Salzrechte von Gorleben-Gegnern, könnten den weiteren Ausbau eines Atommüllendlagers jedoch stoppen. Pachtverträge, die Grundeigentümer mit Salzrechten an das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) abgetreten haben, laufen im Jahr 2015 ab.

Formale Beteiligungsrechte hat es in der langjährigen Auseinandersetzung um Gorleben als Endlagerstandort nie gegeben, dazu wurde trickreich ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren umgangen und das Bergrecht angewandt, denn dieses sah in seiner Altfassung keine Öffentlichkeitsbeteiligung vor, erinnert die BI." Das ist auch der Grund, warum der verbrauchte Rahmenbetriebsplan aus 1982 in die Verlängerung gehen soll, denn nach einer Novelle des Bergrechts wäre die Öffentlichkeit zumindest im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu beteiligen.

Stattdessen krönt Schwarz-Gelb das einseitige Auswahlverfahren und die undemokratische Durchsetzung Gorlebens noch mit der Vorbereitung von Enteignungen, während Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) litaneihaft weiter von Dialog und Ergebnisoffenheit spricht."

Die Gorleben-Gegner wollen an einem Samstag, vermutlich am 2. Oktober, nach dem - erwartet positiven - Bescheid des LBEG mit einem "Unruhetag" gegen das Ende des Gorleben-Moratoriums protestieren. Im November wird mit dem 12. Castor-Transport nach Gorleben gerechnet. "Wir werden am 18. September in Berlin demonstrieren und uns im Herbst beim Castor-Transport zu Tausenden querstellen, damit klar wird, Atomkraft und Gorleben sind politisch nicht mehr durchsetzbar", sagte Ehmke.
von asb, 2010-09-12 16:11
Quelle: Wendland-net

Aktionsform Massenblockade. Der neue Ungehorsam /10.09.10

Aktionsform Massenblockade
Der neue Ungehorsam

Heiligendamm, Dresden, Stuttgart – immer mehr Bürger wagen es, sich an Blockaden zu beteiligen. Auch die Anti-Akw-Bewegung wird profitieren. Wie kommt das?
VON KONRAD LITSCHKO

Es ist der Sommer 2007, als Tausende beschließen, im mecklenburgischen Heiligendamm die mächtigsten Regierungschefs der Welt zu umzingeln. Busseweise reisen sie an: Gewerkschafter, Autonome, Muttis, Alte. "Block G 8" lautet ihr Motto. Blockaden gegen neoliberale Globalisierung. Die Bilder: bunte Demonstranten-Schlangen, die durch Kornfelder ziehen. Vorbei an Polizei und Straßensperren, direkt vor den Zaun, hinter dem sich die Oberhäupter verschanzen. Es ist ein Sieg, mindestens ein symbolischer.

Und es ist der Startpunkt, an dem ein neuer ziviler Ungehorsam Einzug ins Bürgerliche hält. Nur wenige Wochen nach Heiligendamm blockieren Jenaer Einwohner mit ihrem SPD-Oberbürgermeister Albrecht Schröter ein Neonazi-Festival in der Stadt. In den folgenden Jahren vermiesen Massenblockaden in Köln, Dresden und Berlin rechte Aufmärsche. Studenten stürmen symbolisch Banken. Imker rupfen bei Feldbefreiungen Genmais aus der Erde. Und in Stuttgart versperren selbst Ärzte und Architekten die Baustellenzugänge zum neuen Großbahnhof.
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Diesen Esprit will sich jetzt auch die Anti-Atom-Bewegung zunutze machen. Bei der Großdemonstration in der kommenden Woche in Berlin soll eine fünfminütige Sitzblockade symbolisch auf den neuen Ungehorsam verweisen. Wenn dann im November der nächste Castor von der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague ins niedersächsische Zwischenlager Gorleben rollt, wird es ernst. Die "größte Anti-Atom-Manifestation in der Geschichte des Wendlands" kündigt die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg an. Große Sitzblockaden soll es geben. Außerdem wollen die Veranstalter eine neue Grenze testen: Ist der Bürger auch bereit, massenhaft Steine aus Gleisabschnitten zu entfernen? Die Kampagne Castor Schottern ruft dazu auf. Hunderte oder tausende Menschen sollen so den Atommüll-Transport stoppen.

"Es gibt einen Trend zur Blockade", konstatiert Protestforscher Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin. "Viele bürgerlich Orientierte trauen sich heute Dinge, die sie vor zehn Jahren noch nicht gewagt hätten." Schleichend habe sich ein Wandel vollzogen hin zur Aufmüpfigkeit. Der Deutsche führe nicht mehr nur aus, was der Berufspolitiker beschließt, sagt Rucht. "Er hinterfragt mehr, geht öfter auf die Straße." Zivilen Ungehorsam, auch mit bürgerlicher Beteiligung, hat es in Deutschland schon früher gegeben: Mutlangen, Brokdorf, Startbahn West. Der neue Widerstand der Mitte aber ist anders. Weil er sich nicht aus seiner Radikalität speist, sondern aus der Kraft der Masse. Weil er nicht mehr gegen das Gesetz arbeitet, sondern mit dem Gesetz. Ziviler Ungehorsam, so heißt es in einem Strategiepapier des Jenaer Aktionsnetzwerks, habe "den Charakter einer nachdrücklichen Aufforderung" zur Beseitigung schwerwiegender politischer Mängel. Er sei damit "eine Form des aktiven Verfassungsschutzes". Der Bürger ermächtigt sich zum Korrektiv der regierenden Politik. Vielleicht nicht legal, aber legitim, heißt seine Divise. Noch nicht legal.

Es sei im Grunde der Aktionskonsens von Heiligendamm, der bis heute Gültigkeit besitze, sagt Henning Obens. Der 31-Jährige war 2007 "Block G 8"-Aktivist, engagiert sich heute bei "Avanti", dem undogmatischen Autonomen-Flügel. Der aktuelle Widerstand ziele nicht mehr auf Schlachten ab, sondern auf Verlässlichkeit und ein berechenbares Aktionsniveau, so Obens. Oberster Konsens: keine Eskalation, keine Gewalt - auch das unterscheidet Jena von Brokdorf. Keine Aufspaltung in "gute" und "böse" Demonstranten. Der massenhafte Gesetzesübertritt wird im Vorfeld öffentlich angekündigt und geprobt. Bisher hält der Konsens: Auch Autonome setzen sich mit in die Massenblockaden - friedlich. Es gebe ein "neues Vertrauen" zwischen Bürgerlichen und Radikalen, bemerkt Obens. "Viele Bürgerliche haben gemerkt, dass traditionelle Proteste verpuffen. Mit den Blockaden gibt es Exempel, dass Widerstand effektiv etwas ändert."

Dem neuen Protest genügt es nicht mehr, nur zu mahnen - er will die Missstände gleich selbst beseitigen. Dafür geht er weit: Blockaden können vor Gericht als Nötigung geahndet werden. Trotzdem, bemerkt Protestforscher Rucht, habe die "scharfe Kriminalisierung" des zivilen Ungehorsams abgenommen. "Damit verbreitet sich das Gefühl, dass man nicht mehr so viel riskiert." Auch weil sich längst Prominente an die Spitze der Blockaden setzen: Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse in Berlin, Schauspieler Walter Sittler in Stuttgart, Liedermacher Konstantin Wecker in Dresden. Aber setzt der massenhafte zivile Ungehorsam - per definitionem das letzte Mittel, wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft sind - nicht auf Inflation und damit auf den Verlust seiner Warnfunktion? Steht da nunmehr Symbolik vor strukturellem Wandel? Avanti-Aktivist Henning Obens verneint. Man artikuliere ja weiterhin klare Forderungen. "Und Bewegungen können von ihren Erfolgen nur profitieren. Der kollektive Ungehorsam hat unsere Handlungsspielräume deutlich erweitert."

Dass die bürgerliche Bereitschaft zum gewaltfreien Aufstand auch zum massenhaften Anti-Atom-Schottern reicht, daran hat zumindest Bewegungsforscher Dieter Rucht seine Zweifel. "Es hat eine andere Qualität, sich auf eine Straße zu setzen oder aktiv Steine aus einem Gleisbett zu entfernen." Anti-Atom-Aktivist Jochen Stay verweist dagegen auf die lange Tradition zivilen Ungehorsams im Wendland: Treckerblockaden, Gleisbesetzungen, angekündigte Schienendemontagen. "Die Anti-Atom-Bewegung war noch nie so stark wie heute", bemerkt Stay. Inzwischen sei die Protesterfahrung groß. Damit steige auch der Anteil derer, die bereit seien, den Schritt zum Widerstand zu gehen.

Die Zahlen geben Stay Recht. 120.000 Protestierer kamen im April zu einer Menschenkette gegen die schwarz-gelben Atompläne. Zehntausende wollen am kommenden Samstag mit einer Großdemonstration in Berlin das Regierungsviertel umzingeln. Dass Schwarz-Gelb letzte Woche Laufzeitverlängerungen um acht bis vierzehn Jahre verkündet, wird der Mobilisierung Auftrieb geben. Viele, die in den siebziger und achtziger Jahren zuletzt gegen Atompolitik auf die Straße gingen, seien jetzt wieder dabei, sagt Jochen Stay. Und Junge dazu.

Auch der G-8-Blockierer Henning Obens fährt diesmal wieder ins Wendland, erstmals seit 1997. "Es geht wieder um was, die Klimafrage ist einer der zentralen gesellschaftlichen Konflikte." Und ja, er könne sich auch vorstellen, "mitzuschottern". Es spricht viel dafür, dass er dabei nicht allein bleiben wird. Dass die Masse auch im Wendland von ihrem neu entdeckten Ungehorsam Gebrauch machen wird.

Freitag, 17. September 2010

Video: Laufzeitverlängerung, weniger Sicherheit für Altreaktoren /9.09.10

Etikettenschwindel Laufzeitverlängerung
Weniger Sicherheit für Altreaktoren

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Ein TV-Beitrag des WDR Monitor vom 9. Sept. 10, 9:50min.
Bericht: Jan Schmitt, Markus Schmidt

Sonia Seymour Mikich: "Die Laufzeitverlängerung - sie ist wahrscheinlich der größte Erfolg einer Industrielobby jemals in Deutschland. Beim Atomkompromiss vom Sonntag schwärmte Kanzlerin Merkel von der "Revolution", Minister Westerwelle von der "epochalen Bedeutung", Minister Röttgen vom "weltweit einzigartigen Konzept." Die eigene heiße Luft ließ die Regierung ganz hoch abheben. Fakt ist, die Dinosaurier-Technologie darf weitermachen. Aber, aber, die deutschen AKWs sind doch die sichersten der Welt! Und hat die Regierung den Betreibern nicht zusätzlich teure Auflagen vorgegeben? Jan Schmitt und Markus Schmidt enthüllen, wie sich E.on, Vattenfall, EnBW und RWE freuen dürfen über milde Sicherheitsvorgaben. Spart ihnen viel Geld."

Und das sind die Fakten: Keines der 17 deutschen Kernkraftwerke bietet baulichen Schutz vor Terroranschlägen aus der Luft mit Passagierflugzeugen. Keines der 17 deutschen Kernkraftwerke bietet im Falle einer Kernschmelze Schutz vor Verstrahlung der Umwelt. Und alle 17 deutschen Kernkraftwerke wären heute - nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik - nicht mehr genehmigungsfähig. Wollte man sie auch nur annähernd auf den aktuellen Stand bringen, wären Investitionen in Höhe von 20 Milliarden Euro notwendig. Das hat das Bundesumweltministerium selbst errechnet. Wie notwendig diese Investitionen in die Sicherheit wären, belegen Zahlen des Bundesamtes für Strahlenschutz. Die Strahlenschützer haben Störfälle in den deutschen Atomanlagen untersucht.
Quelle: WDR Monitor

AKW-Gegner wollen Schienen schottern /8.09.10

Protest gegen Castor-Transport
AKW-Gegner wollen Schienen schottern

Ein Bündnis aus 40 linken Gruppen will das Gleisbett für den Castor-Transport unbenutzbar machen. Mit diesem bewussten Rechtsbruch wollen sie "der Atomlobby den Boden entziehen".
VON MARTIN KAUL

BERLIN taz | Nachdem die Regierung ihre Atompläne verkündet hat, nimmt der Anti-AKW-Widerstand auch in der außerparlamentarischen Opposition neue Formen an. Neben den zahlreichen bereits angekündigten Anti-Atom-Protesten in den kommenden Wochen rufen nun rund 40 linke Gruppen aus ganz Deutschland dazu auf, beim Castor-Transport im November mit massenhaften Gleissabotagen entschlossenen zivilen Ungehorsam zu leisten.

In einer gemeinsamen Erklärung heißt es: "Mit unserem Schottern wollen wir der Atomlobby jenen Boden entziehen, auf dem sie ihren Müll gegen den Willen der Bevölkerung durch die Lande prügeln lässt. Das Loch im Bahndamm wird öffentlich sichtbar machen: Es gibt keine gesellschaftliche Basis, die diese Transporte als wesentlichen Bestandteil für den Weiterbetrieb von Atomanlagen trägt." Ziel der Aktion seien lediglich Gleisabschnitte, die ausschließlich zum Castor-Transport und nicht auch zu anderem Schienenverkehr benutzt würden.

Dass AtomkraftgegnerInnen bei Castor-Transporten vereinzelt das Gleisbett stürmen, ist nicht neu. Neu hingegen ist, dass der Rechtsverstoß kollektiv und öffentlich organisiert wird. "Wir wissen, dass diese Aktion nicht vom Bürgerlichen Gesetzbuch gedeckt ist. Aber sie ist eine notwendige und legitime Handlung, um der menschengefährdenden Atomtechnologie Einhalt zu gebieten", sagte etwa Tadzio Müller, einer der SprecherInnen der Kampagne.

Getragen ist der Schottern-Aufruf von einem breiten Bündnis. Zu den AktivistInnen zählen zahlreiche Gruppen aus dem Spektrum der Interventionistischen Linken sowie die Linksjugend Solid, aber auch AktivistInnen wie Alexis Passadakis aus dem Attac-Koordinierungskreis, Monty Schädel, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen oder der Gewerkschafter Peter Schrott, stellvertretender Ver.di-Vorsitzender im Landesbezirk Berlin/Brandenburg. Neben dem Liedermacher Hannes Wader unterstützen auch Wissenschaftler wie die Politologen Ulrich Brandt aus Wien, Peter Grottian aus Berlin und der Philosoph Michael Brie den Aufruf. Gemeinsam wollen sie mit ihrem Namen auf die Legitimität dieser Protestform hinweisen.

Anders als bei Sitzblockaden auf Straßenkreuzungen dürfte die Staatsgewalt beim Castor-Transport insbesondere Respekt vor den wurffähigen Schottersteinen haben, die oft massenhaft in den Gleisbetten im Wendland liegen. Hässliche Szenen von Steinschlachten in Waldgebieten kann aber die Anti-Atom-Bewegung nicht gebrauchen. "Bei den Aktionen in der Vergangenheit haben Zehntausende von AktivistInnen Mut und Entschlossenheit bewiesen, sich nicht von der Polizei provozieren zu lassen, sondern unbeirrt und entschlossen ihr Aktionsziel zu verfolgen", sagte Mischa Aschmoneit von der Schotter-Kampagne.
Quelle: taz.de

Die Zwischenlager werden randvoll /8.09.10

Entsorgung von Atommüll
Die Zwischenlager werden randvoll
Alexander Mäder

Stuttgart - Wenn Castorbehälter unter Polizeischutz nach Gorleben transportiert werden, dann werden sie nicht unter Tage im Salzstock gelagert, sondern in einer großen Halle, dem Transportbehälterlager. Von den fünf bis sechs Meter hohen und jeweils etwa 120 Tonnen schweren Tonnen sind bisher 91 dort untergebracht. 420 Stellplätze sind vorhanden. Das Lager Ahaus nahe der niederländischen Grenze ist noch einmal so groß.

Genügt der Platz für den Atommüll, der nun durch die Laufzeitverlängerung zusätzlich anfällt? Ja, wenn man die zwölf dezentralen Zwischenlager hinzuzählt, die in der Nähe von Atomkraftwerken in ganz Deutschland errichtet worden sind. Zusammengenommen bieten die Lager Platz für fast 21.800 Tonnen strahlender Schwermetalle. Das Bundesamt für Strahlenschutz rechnet nach dem Atomkompromiss vom Sonntag mit rund 21600 Tonnen.

Zwischenlager nicht für die Ewigkeit

Doch erledigt ist die Entsorgung damit keineswegs, denn die Zwischenlager sind nicht für die Ewigkeit gebaut. Die beiden Lager in Baden-Württemberg in Philippsburg und Neckarwestheim, die zusammen 300 Castorbehälter aufnehmen können, sind für 40 Jahre genehmigt worden. Die Kommunen haben sich bereits dagegen verwahrt, dass die Frist verlängert wird. Auch die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) hat die Zwischenlagerung als "zweite Wahl" bezeichnet und dringt auf ein Endlager.

Hinzu kommt, dass neben dem hochradioaktiven auch schwachradioaktiver Müll anfällt: Früher waren es durchschnittlich 4250 Kubikmeter im Jahr. Dieser Müll umfasst keine Brennelemente, sondern vor allem abgenutzte Bauteile aus Atomkraftwerken. Derzeit gibt es rund 60-mal so viel schwach- wie hochradioaktiven Abfall. Er wird im Schacht Konrad bei Salzgitter endgelagert werden; die Anlage soll in vier Jahren betriebsbereit sein.

Um zu verdeutlichen, welches Zusatzproblem durch die längeren Laufzeiten auf das Land zukommt, vergleichen Umweltschützer die Abfallmengen vor und nach dem Atomkompromiss. Bisher hat das Bundesamt für Strahlenschutz bis zum Ende der Atomenergie mit 17.600 Tonnen radioaktiver Schwermetalle gerechnet. Nun werden es 25 Prozent mehr. Die Deutsche Umwelthilfe rechnet vor, dass nun bis 2040 jedes Jahr rund 400 Tonnen hochradioaktiver Müll anfallen. Und Greenpeace verweist darauf, dass sich der Atommüll, der von heute an noch anfallen wird, durch die längeren Laufzeiten verdreifacht.

Ziviler Ungehorsam ist Teil der Demokratie /24.08.10

Ziviler Ungehorsam ist Teil der Demokratie
Vielleicht nicht legal, aber legitim

KOMMENTAR VON MARTIN KAUL

Bei der Bewertung gesellschaftlicher Fragen ist es manchmal nötig, zwischen juristisch legalen und moralisch legitimen Abwägungen zu unterscheiden. Fragen wir also: ist es legitim, in Folge moralischer Abwägungen auch eine Straftat zu begehen? Die Antwort ist: kommt darauf an. Kann nun aber das Schottern von Gleisbetten beim Castor-Transport legitim sein? Ich meine: ja.

Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt die Atomkraft ab. Vor dem Hintergrund einer skandalösen Vorgeschichte ungeklärter Fragen und vertagter Antworten - etwa zur Endlagerfrage - gründet diese Ablehnung nicht auf einem Bauchgefühl, sondern ist rational und begründet. Bei der Entscheidung für Gorleben wurde getäuscht, bei der Suche nach Lagermöglichkeiten gewartet - und noch immer ist keine Lösung in Sicht. Stattdessen diskutiert die Bundesregierung lediglich darüber, um wie viele Jahrzehnte sie die gefährlichen AKWs weiter strahlen lassen will, obwohl es längst Alternativen gibt.

Da zeugt es von einem gesunden Demokratieverständnis, wenn BürgerInnen bereit sind, auch persönliche Risiken in Kauf zu nehmen, um der Bundesregierung Beine zu machen, ihrer Verpflichtung nachzukommen und eine Lösung für das Problem zu finden. Dazu zählen auch die Pläne, die Gleisbetten beim Castor-Transport friedlich und massenhaft vom Schotter zu befreien. Solange gewährleistet bleibt, dass der Protest gegen die Castor-Transporte friedlich bleibt und sich die Gewalt zu keinem Zeitpunkt gegen Polizeibeamte, sondern ausschließlich gegen den Schotter richtet, können solche Aktionen legitim sein, auch wenn es sich dabei - streng juristisch betrachtet - um Straftaten handeln könnte.

Die Abwägung, ob solche Protestformen sinnvoll und gerechtfertigt sind, muss jeder im konkreten Einzelfall moralisch für sich selbst treffen. Eine Gesellschaft lebt von denkenden Einzelnen. Das gilt auch für zivilen Ungehorsam.



 






Zur Website Castor Schottern http://www.castor2010.org/