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Lüchow-Dannenberg, 8. Februar 2011
OFFENER BRIEF AN DEN BUNDESMINISTER FÜR UMWELT, NATURSCHUTZ UND REAKTORSICHERHEIT, HERRN DR. NORBERT RÖTTGEN
Sehr geehrter Herr Minister!
Wir freuen uns, dass Sie der Einladung des Kreistages nach Lüchow-Dannenberg folgen. Aber warum kommen Sie erst jetzt, nachdem die Bundesregierung alle Entscheidungen getroffen hat?
Wir in Lüchow-Dannenberg wollen mit Ihnen und Ihrer Regierung über eines der größten Probleme der Menschheit reden: Über hochradioaktiven Atommüll, der für Jahrtausende tödlich strahlt.
Bereits seit 30 Jahren bemühen wir uns um Gespräche, als Bürger, Kommunalpolitiker und engagierte Kritiker. In unzähligen Runden, vom Bürgerdialog Kernenergie bis zum Forum Endlagerdialog. Ständig haben wir den Dialog mit Politiker/innen, Konzernführungen und Wissenschaftler/innen gesucht.
Sie aber bieten uns lediglich einen „Dialog“ an, der „die Arbeiten im Salzstock Gorleben begleiten“ soll. Während dort die Baumaschinen bereits Fakten schaff en. In Ihrem Auftrag.
Ein solcher Dialog kann nichts anderes sein als eine Alibiveranstaltung, die den Weg zur Durchsetzung eines Atommülllagers in Gorlebens nur garnieren soll. Einen Weg, der schon 1977 eingeschlagen wurde, und der sich als gefährliche Sackgasse erwiesen hat. Diesen Weg gehen wir nicht mit.
Herr Bundesumweltminister, wir wollen eine offene und transparente Debatte über das Atommüllproblem. In ganz Deutschland. Keinen regionalen Scheindialog.
Die schwere Havarie des Atommüllendlagers im Salzstock Asse hat uns leider Recht gegeben und sämtliche Experten der Atomkraftbefürworter innerhalb kurzer Zeit widerlegt.
Was Sie sagen.
Sie, Herr Minister, sagen: „Wir müssen über die Gräben hinweg ins Gespräch kommen und dafür sorgen, dass keine weiteren Gräben entstehen.“
Was Sie tun.
Statt aus dem Asse-Desaster Konsequenzen zu ziehen, reisst Ihre Regierung ohne jede Not neue Gräben auf – gerade in Gorleben.
- Sie verlängern die Laufzeiten für Atomkraftwerke und vermehren damit allein die endzulagernden hochradioaktiven Abfälle um 500 Castorbehälter.
- Sie ordnen per Sofortvollzug den Weiterbau eines Endlagers in Gorleben an, ungeachtet aller geologischen Mängel des Salzstocks, und führen damit die Linie jener „Experten“ fort, die auch das Desaster in der Asse zu verantworten haben.
- Sie bemühen dazu einen alten Rahmenbetriebsplan aus dem Jahr 1982, um die im heute geltenden Bergrecht vorgeschriebene Öffentlichkeitsbeteiligung zu umgehen.
- Sie ändern das Atomgesetz, um Grundbesitzer über dem Gorlebener Salzstock enteignen zu können.
- Sie haben längst eine Sicherheitsanalyse für ein Endlager Gorleben in Auftrag gegeben – mit „Experten“, die das Asse-Desaster und den Irrweg Gorleben maßgeblich mit zu verantworten haben.
Wie wollen Sie nach diesem atompolitischen Rundumschlag im Stil der 1980er Jahre „ernsthaft und ehrlich“, ja „ergebnisoffen“ über Gorleben reden?
Wie soll der von Ihnen angemahnte „gegenseitige Respekt“ und „vertrauensvolle Dialog“ entstehen, wenn Sie mit juristischen Tricks erst die Öffentlichkeit aussperren und dann von „maximaler Transparenz“ sprechen?
Gorleben ist nicht Stuttgart21
Herr Dr. Röttgen, ein Atommüllendlager ist kein Bahnhof! Wir lehnen ein Mediationsverfahren à la Stuttgart21 mit einem “Dialogbeauftragten” ab.
Das fehlende Deckgebirge des Salzstocks, die Wasserwegsamkeiten, die vorhandenen Laugen- und Gaseinschlüsse lassen sich nicht wegmoderieren. Die politisch motivierte Standortauswahl, die fortwährende Anpassung der Sicherheitskriterien an die vorgefundenen geologischen Mängel des Salzstocks und die Nichtbeteiligung der Öffentlichkeit in den letzten 30 Jahren lassen sich nicht wegverhandeln!
Wir sehen das Ende des Standortes Gorleben als Voraussetzung an für den Neubeginn eines verantwortlichen Vorgehens in der ungelösten Atommüllfrage. Sie, Herr Dr. Röttgen, sagen, die Bürger des Landkreises Lüchow-Dannenberg hätten “einen Anspruch darauf, dass die seit Jahrzehnten ungelöste Standortdiskussion um Gorleben endlich beantwortet wird”. Wir sagen: Alle Bürger in Deutschland haben einen Anspruch darauf, dass diese falsche Entscheidung endlich korrigiert wird.
Sie, Herr Minister, sagen: “Sicherheit steht für uns kompromisslos an allererster Stelle.”
Wir sagen: Ein in erster Linie an Sicherheit orientiertes Vorgehen beginnt mit dem Ende der Atommüllproduktion und einem schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomkraft.
Unser Angebot:
Wir sind bereit, unsere Erfahrungen und unser Wissen aus dem gescheiterten Projekt in Gorleben in eine neue nationale Atomdebatte einzubringen. Sie kann sich nur dann sachgerecht und angemessen mit dem Atommüllproblem befassen, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllt:
- Alle Entscheidungen, die seit Beginn der Endlagervorbereitungen willkürlich in Deutschland getroffen worden sind, müssen entsprechend des heutigen Standes von Wissenschaft und Technik überprüft und neu bewertet werden: Wirtsgestein, Rückholbarkeit, Verzicht auf eine systematische vergleichende Endlagersuche an mehreren Standorten, Sicherheitsanforderungen und vieles mehr.
- Die Arbeiten der Untersuchungsausschüsse zur Asse und zu Gorleben müssen abgeschlossen sein. Erst wenn die Berichte vorliegen und Erkenntnisse und Entscheidungsfindung der Ausschüsse nachvollziehbar sind, können sie den notwendigen Beitrag zu den Grundlagen für das weitere Vorgehen mit dem Atommüllproblem liefern. In einem ersten Schritt sind sämtliche Akten zur Endlagerung aus allen beteiligten Ministerien, Forschungseinrichtungen und Firmen schonungslos zu veröffentlichen.
- Angesichts der schockierenden Skandalgeschichte des Endlagers Asse, das als Prototyp für das Endlager im Salzstock Gorleben betrieben wurde, halten wir es für unabdingbar, die Kompetenz und Glaubwürdigkeit der Beteiligten, die zu Asse und zu Gorleben Verantwortung tragen, zu überprüfen. Die Verantwortlichen müssen auch straf- und zivilrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden.
- Die Empfehlungen des Arbeitskreises Endlager für eine Standortsuche sind vor dem Bekanntwerden der Havarie im Atommüllendlager Asse formuliert worden. Sie müssen auf der Grundlage der Ergebnisse der Punkte 1-3 überprüft werden.
- Die Instrumente und Regeln einer nationalen Debatte zum Umgang mit dem Atommüll werden zwischen Regierung, Parlamenten und Bürgern in einem transparenten Verfahren gemeinsam festgelegt.
Herr Minister, heben Sie den Sofortvollzug zum Weiterbau des Endlagers in Gorleben auf!
Nehmen Sie die Enteignungsgesetze gegen Grundeigentümer zurück! Reden Sie nicht von Verantwortung – handeln Sie verantwortlich!
GORLEBEN SOLL LEBEN!
Lüchow-Dannenberg, 8. Februar 2011
Jürgen Schulz Landrat des Landkreises Lüchow-Dannenberg (parteilos)
Martin Donat stellv. Landrat, Vorsitzender des Ausschusses Atomanlagen, Katastrophenschutz und Öffentliche Sicherheit (GLW)
Klaus-Peter Dehde Fraktionsvorsitzender SPD im Kreistag
Wolfgang Wiegreffe Fraktionsvorsitzender UWG im Kreistag Bürgermeister der Gemeinde Trebel
Kurt Herzog Fraktionsvorsitzender GLW im Kreistag Mitglied des Landtages (Die Linke)
Elke Mundhenk Fraktionsvorsitzende Bündnis‘90/Die Grünen im Kreistag
Boris Freiherr von dem Bussche Fraktionsvorsitzender FDP im Kreistag
Asta von Oppen Rechtshilfegruppe Gorleben Bäuerliche Notgemeinschaft Lüchow-Dannenberg
Kerstin Rudek Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg
Rudi Sproessel DGB Landesverband Niedersachsen/Sachsen-Anhalt Kreisgruppe Lüchow-Dannenberg
Martin Schulz Arbeitsgem. Bäuerliche Landwirtschaft Lüchow- Dannenberg
Eckart Krüger BUND Lüchow-Dannenberg
Dorothee Helm NABU Lüchow-Dannenberg
Jochen Stay .ausgestrahlt
Rebecca Harms Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament
Johanna Voß Mitglied des Bundestages (Die Linke)
Andrea Schröder-Ehlers Mitglied des Landtages (SPD)
Miriam Staudte Bündnis‘90/Die Grünen Landtagsfraktion Wahlkreis „Elbe“ (Lüneburg/Lüchow-Dannenberg)