Samstag, 14. Juli 2007

stern.de/ Stoppt den Atom-Wahnsinn!


Von Kester Schlenz
Pannen, Vertuschungen, Beschwichtigungen - die Störfälle in deutschen Atomkraftwerken sind schlimm. Noch schlimmer aber ist das Verhalten der Betreiber, die uns in die Wahrheit nach und nach in kleinen Brocken servieren und Skandale durch Gesundbeterei aus der Welt schaffen wollen. Ein Verhalten, das zum Himmel schreit.

Sie spielen mit unserem Leben. Sie handeln verantwortungslos. Sie vertuschen, verheimlichen und informieren nur auf massiven Druck die Behörden und die Öffentlichkeit. Und wenn sie endlich in Berlin vorsprechen, bringen sie die relevanten Mitarbeiter, die das Chaos bezeugen könnten, gar nicht erst mit. Der Vattenfall-Konzern handelt ganz im Stile der Russen, denen wir den schlimmsten Reaktor-Unfall der Welt zu verdanken haben. Warum eigentlich geht kein Aufschrei durch dieses Land? Warum ist die Empörung nicht größer? Was muss noch passieren, um einzusehen, dass wir der Atom-Lobby und ihren Sicherheits-Mantren auf den Leim gegangen sind?

Sind deutsche AKWs wirklich sicher? Bei uns kann das nicht passieren, hieß es immer. Wir haben neueste Technologie und Top-Personal. Deutsche AKWs seien sicher. Wer soll das noch glauben? Angesichts solcher Szenarien: In Krümmel brennt ein Transformator-Haus, entgegen den Beteuerungen der Betreiber ist auch der Reaktor betroffen. Ein Mitarbeiter torkelt schließlich mit Gasmaske durch den von Rauchschwaden vernebelten Leitstand. Es kommt zum Ausfall einer Wasserpumpe und zum unplanmäßigen Öffnen mehrer Ventile von Hand. Der Reaktor wird hektisch herunter gefahren und abgeschaltet. Später findet man Dioxin in den Luftfiltern der Anlage.

Gestern sickerte zudem durch, dass sich angeblich teilweise bis zu zwanzig Mitarbeiter während des Brandes im Leitstand des Kraftwerkes befanden hätten. Vier wären normal gewesen. Überzeugende Gründe für Love Parade im Hirn des Reaktors konnte Vattenfall bisher nicht liefern. Gerüchte, es habe sich um eine Betriebsfeier gehandelt, wurden scharf zurück gewiesen. Wäre aber ein lustig-makabre Vorstellung: zwanzig zugedröhnte Mitarbeiter machen Party im Reaktor und drehen "aus Scheiß" ein paar Ventile auf. Eine absurde Vorstellung? Nun,ja...gerade wurde bekannt, dass Mitarbeiter eines schwedischen Kernkraftwerkes, das ebenfalls von Vattenfall betrieben wird, im Dienst betrunken waren. Das ist um so dramatischer, weil Vattenfall ähnliche Vorgänge schon im letzten Jahr einräumen musste. Glückwunsch zur Sicherheitskultur!

Überfordertes Personal. Doch hier bei uns passiert ebenfalls genug: Auch das Kernkraftwerk in Brunsbüttel wird nach einem Kurzschluss abgeschaltet. Beim Wiederanfahren des Reaktors kommt es zu einer ungewollten Absperrung des Reaktorwasser-Reinigungssystems. Ein krasser Bedienungsfehler von offensichtlich überfordertem Personal in einer Routine-Situation. Wie würden diese Leute sich im Falle eines ernsten Störfalls verhalten?

Letzter Stand im Atom-Chaos: der Vatttenfall-Konzern gibt zu, dass in einem sicherheitsrelevanten Bereich des Krümmel-Reaktors nicht die geforderten Spezial-Dübel verwendet wurden, sondern Standard-Produkte. Wie darf man sich das vorstellen? Dass beim Bau des Reaktors Leute zum Obi-Baumarkt geschickt wurden, um eine Packung Dübel zu kaufen? Schon im letzten Jahr in Schweden, bei einer Reaktor-Panne des AKWs Forsmark, waren wir dank Vattenfall so nahe an einer Kernschmelze wie noch nie. 2006 ist es in 17 deutschen Atomkraftwerken zu 126 Pannen gekommen.

Zynisch, dass angesichts dieser krassen Vorfälle, Sicherheitsmängel und Versäumnisse konservative Politiker eine Laufzeit-Verlängerung von AKWs und sogar Neubauten fordern. Der Kampf gegen den Klimawandel rechtfertigt nicht jede Sauerei. Bis heute ist die Entsorgung des Atommülls ungeklärt. Die Atomkraft ist bei einer sauberen Einbeziehung aller Abriss- und Entsorgungskosten mitnichten billig, sondern unverhältnismäßig teuer, und die Uran-Vorräte gehen weltweit zur Neige.

Atomkraftwerke sind zudem nicht gegen Terroranschläge - etwa durch abstürzende Flugzeuge - geschützt. Außerdem hat Greenpeace in einer Studie nachgewiesen, dass bei Beibehaltung des Atomausstiegs mit dem Ausbau alternativer Energien der Energie-Wandel durchaus zu schaffen ist, ohne den Ausstoß von Treibhausgasen zu vergrößern. Aber der Block aus konservativen Politikern und Energie-Konzernen ist mächtig.

Auf dem Energie-Gipfel in Berlin wurden schon mal die Weichen in Richtung Ausstieg aus dem Ausstieg gestellt. Auch der Bau neuer Reaktoren ist kein Tabu mehr. Die nächste Bundestagswahl ist nicht mehr weit. Eine schwarz-gelbe Koalition wird alle Weichen in Richtung Atomkraft stellen. Das "linke" Lager wird den endgültigen Ausstieg und die Energiewende propagieren: endlich mal ein Wahlkampf-Thema, bei dem es klare Positionen gibt. Soll der Wähler entscheiden. Es geht in gewisser Weise um Leben und Tod.
http://www.stern-verlag.de/politik/deutschland/:Kommentar--Stoppt-Atom-Wahnsinn!-/592918.html