Ziel erreicht: 100 Prozent Ökostrom
Von REIMAR PAUL
Gorleben. Schon die Bewohner der "Republik Freies Wendland" hielten es mit den erneuerbaren Energien. Hunderte Umweltschützer besetzten vor 31 Jahren im Gorlebener Wald aus Protest gegen Bohrungen im Salzstock eine Lichtung und und errichteten ein Dorf aus Holz und Lehm. Neben Gärten, Gewächshäusern und Schweineställen durften dabei auch ein mit Windkraft betriebener Tiefbrunnen und eine Solar-Warmwasseranlage zum Duschen nicht fehlen.
Auch später ließen es die Lüchow-Dannenberger und ihre auswärtigen Unterstützer nicht beim Demonstrieren gegen die geplanten und später zum Teil auch gebauten Atomanlagen bewenden. "Wir wollten auch zeigen, wie man es anders und besser machen kann", erinnert sich Widerstandsveteranin Lilo Wollny. Die 84-Jährige, die damals in der Küche der "Republik Freies Wendland" half, dort die Essensspenden der Bevölkerung verwaltete und 1986 auf Listenplatz eins der niedersächsischen Grünen für vier Jahre in den Bundestag einzog, setzte sich seit Anbeginn dafür ein, das Wendland zu einer Modellregion für Alternativenergien zu entwickeln. Ein solches Vorhaben, mahnte Wollny, dürfe nicht an die großen Stromkonzerne delegiert werden. Der Start in eine selbst organisierte atom- und kohlestromfreie Zukunft war allerdings zäh und holperig. Es dauerte bis 1996, dass auf dem Jeetzeler Berg bei Lüchow die erste Bürger-Windkraftanlage namens Wendolina in Betrieb ging. Drei Jahre später formulierten Vereine und Bürgerinitiativen aus dem Wendland das ehrgeizige Ziel, bis 2015 eine Stromversorgung ausschließlich durch regenerative Energien auf die Beine zu stellen.
"Es ging zuletzt aber alles viel schneller als gedacht", erzählt Sabine Carnap, die Vorsitzende des Vereins "Wenden-Energie". Denn bereits jetzt kann sich das Wendland zu 100 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen versorgen. Die im Landkreis Lüchow-Dannenberg aufgestellten Windräder, Fotovoltaik- und Biogasanlagen produzieren jährlich rund 300 Millionen Kilowattstunden Strom. Diese Menge entspricht etwa dem Stromverbrauch im Kreisgebiet, wie aus Zahlen des Versorgers E.ON-Avacon hervorgeht. 2010 habe man sogar schon überschüssigen Öko-Strom ins Netz gespeist und "exportiert", sagt Carnap.
Dass das 100-Prozent-Ziel erreicht wurde, ist seit 30. April amtlich. An diesem Tag hatten "Wenden-Energie" sowie die meist genossenschaftlich oder als Verein organisierten Betreiber von Windrädern und Biogasanlagen aus der Region zu einem Tag der erneuerbaren Energie eingeladen. Den dort vorgetragenen Referaten zufolge sind Bioenergie, Solarstrom und Windkraft vor allem in den vergangenen drei Jahren rasant angewachsen.
So waren bis Ende des Jahres 2010 im Kreis Lüchow-Dannenberg etwa 630 Fotovoltaikanlagen mit einer Leistung von insgesamt zehn Megawatt, 24 Biogasanlagen mit 15 Megawatt sowie 71 Windkraftanlagen mit 108 Megawatt Leistung am Netz. Sabine Carnap nennt auch zwei kleine Wasserkraftwerke, die in der Statistik noch gar nicht erfasst seien.
Rund zwei Drittel aller wendländischen Haushalte werden inzwischen mit regional erzeugtem Strom versorgt. In dem Dorf Jameln gibt es eine Biogastankstelle. In Püggen arbeitet eine Biogasanlage auf ökologischer Grundlage, die Häuser des Dorfes werden über ein Nahwärmenetz beheizt. In Gorleben produziert eine mittelständische Firma komplette Energiezentralen für Biogasanlagen, die in der ganzen Welt eingesetzt werden. Die Dannenberger Grundschule heizt mit Holzhackschnitzeln, die im Gartower Forst aus Durchforstungsholz gewonnen werden.
Neue Perspektiven
"Wir haben es geschafft, neue Perspektiven und neue regionale Wertschöpfung in den Bereichen Strom, Wärme und Verkehr zu realisieren", sagt die Ingenieurin Daniela Weinand vom Vorstand der Bioenergie-Region Wendland-Elbetal. Sie ist überzeugt, dass die 100-prozentige Versorgung mit erneuerbarer Energie nicht nur für die Umwelt Vorteile bringt, sondern auch eine nachhaltige Entwicklungschance für "unseren ländlich geprägten Raum" ist. Die Stromrebellen sehen ihr Projekt auch als ein Beispiel für nachhaltige Kreislaufwirtschaft, die das Geld in der Region hält. Ihr Ehrgeiz ist nach Erreichen des 100-Prozent-Ziels längst nicht gestillt. Sie wollen künftig noch weit mehr regenerativ erzeugten Strom ins Netz einspeisen und auf diese Weise etwas von der Solidarität zurückgeben, die sie im Widerstand gegen die Atomanlagen aus dem ganzen Land erfahren haben. Schon gibt es Pläne für eine große Solarstromanlage bei der Biomosterei Voelkel oder zum "Repowering"auf dem Jeetzeler Berg, dem Ersetzen der alten Windräder durch neue und leistungsstärkere.
In der auch bundesweit boomenden Erneuerbaren-Energie-Branche gilt Lüchow-Dannenberg längst als eine Art "Silicon Valley". Zusammen mit Bildungseinrichtungen im Kreis bietet die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg den innovativen Masterstudiengang Erneuerbare Energien an. Ein Schwerpunkt sind Exkursionen und Praxis-Seminare zu den Anlagen in der Region Lüchow-Dannenberg.
Quelle: http://www.weser-kurier.de
Von REIMAR PAUL
Gorleben. Schon die Bewohner der "Republik Freies Wendland" hielten es mit den erneuerbaren Energien. Hunderte Umweltschützer besetzten vor 31 Jahren im Gorlebener Wald aus Protest gegen Bohrungen im Salzstock eine Lichtung und und errichteten ein Dorf aus Holz und Lehm. Neben Gärten, Gewächshäusern und Schweineställen durften dabei auch ein mit Windkraft betriebener Tiefbrunnen und eine Solar-Warmwasseranlage zum Duschen nicht fehlen.
Auch später ließen es die Lüchow-Dannenberger und ihre auswärtigen Unterstützer nicht beim Demonstrieren gegen die geplanten und später zum Teil auch gebauten Atomanlagen bewenden. "Wir wollten auch zeigen, wie man es anders und besser machen kann", erinnert sich Widerstandsveteranin Lilo Wollny. Die 84-Jährige, die damals in der Küche der "Republik Freies Wendland" half, dort die Essensspenden der Bevölkerung verwaltete und 1986 auf Listenplatz eins der niedersächsischen Grünen für vier Jahre in den Bundestag einzog, setzte sich seit Anbeginn dafür ein, das Wendland zu einer Modellregion für Alternativenergien zu entwickeln. Ein solches Vorhaben, mahnte Wollny, dürfe nicht an die großen Stromkonzerne delegiert werden. Der Start in eine selbst organisierte atom- und kohlestromfreie Zukunft war allerdings zäh und holperig. Es dauerte bis 1996, dass auf dem Jeetzeler Berg bei Lüchow die erste Bürger-Windkraftanlage namens Wendolina in Betrieb ging. Drei Jahre später formulierten Vereine und Bürgerinitiativen aus dem Wendland das ehrgeizige Ziel, bis 2015 eine Stromversorgung ausschließlich durch regenerative Energien auf die Beine zu stellen.
"Es ging zuletzt aber alles viel schneller als gedacht", erzählt Sabine Carnap, die Vorsitzende des Vereins "Wenden-Energie". Denn bereits jetzt kann sich das Wendland zu 100 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen versorgen. Die im Landkreis Lüchow-Dannenberg aufgestellten Windräder, Fotovoltaik- und Biogasanlagen produzieren jährlich rund 300 Millionen Kilowattstunden Strom. Diese Menge entspricht etwa dem Stromverbrauch im Kreisgebiet, wie aus Zahlen des Versorgers E.ON-Avacon hervorgeht. 2010 habe man sogar schon überschüssigen Öko-Strom ins Netz gespeist und "exportiert", sagt Carnap.
Dass das 100-Prozent-Ziel erreicht wurde, ist seit 30. April amtlich. An diesem Tag hatten "Wenden-Energie" sowie die meist genossenschaftlich oder als Verein organisierten Betreiber von Windrädern und Biogasanlagen aus der Region zu einem Tag der erneuerbaren Energie eingeladen. Den dort vorgetragenen Referaten zufolge sind Bioenergie, Solarstrom und Windkraft vor allem in den vergangenen drei Jahren rasant angewachsen.
So waren bis Ende des Jahres 2010 im Kreis Lüchow-Dannenberg etwa 630 Fotovoltaikanlagen mit einer Leistung von insgesamt zehn Megawatt, 24 Biogasanlagen mit 15 Megawatt sowie 71 Windkraftanlagen mit 108 Megawatt Leistung am Netz. Sabine Carnap nennt auch zwei kleine Wasserkraftwerke, die in der Statistik noch gar nicht erfasst seien.
Rund zwei Drittel aller wendländischen Haushalte werden inzwischen mit regional erzeugtem Strom versorgt. In dem Dorf Jameln gibt es eine Biogastankstelle. In Püggen arbeitet eine Biogasanlage auf ökologischer Grundlage, die Häuser des Dorfes werden über ein Nahwärmenetz beheizt. In Gorleben produziert eine mittelständische Firma komplette Energiezentralen für Biogasanlagen, die in der ganzen Welt eingesetzt werden. Die Dannenberger Grundschule heizt mit Holzhackschnitzeln, die im Gartower Forst aus Durchforstungsholz gewonnen werden.
Neue Perspektiven
"Wir haben es geschafft, neue Perspektiven und neue regionale Wertschöpfung in den Bereichen Strom, Wärme und Verkehr zu realisieren", sagt die Ingenieurin Daniela Weinand vom Vorstand der Bioenergie-Region Wendland-Elbetal. Sie ist überzeugt, dass die 100-prozentige Versorgung mit erneuerbarer Energie nicht nur für die Umwelt Vorteile bringt, sondern auch eine nachhaltige Entwicklungschance für "unseren ländlich geprägten Raum" ist. Die Stromrebellen sehen ihr Projekt auch als ein Beispiel für nachhaltige Kreislaufwirtschaft, die das Geld in der Region hält. Ihr Ehrgeiz ist nach Erreichen des 100-Prozent-Ziels längst nicht gestillt. Sie wollen künftig noch weit mehr regenerativ erzeugten Strom ins Netz einspeisen und auf diese Weise etwas von der Solidarität zurückgeben, die sie im Widerstand gegen die Atomanlagen aus dem ganzen Land erfahren haben. Schon gibt es Pläne für eine große Solarstromanlage bei der Biomosterei Voelkel oder zum "Repowering"auf dem Jeetzeler Berg, dem Ersetzen der alten Windräder durch neue und leistungsstärkere.
In der auch bundesweit boomenden Erneuerbaren-Energie-Branche gilt Lüchow-Dannenberg längst als eine Art "Silicon Valley". Zusammen mit Bildungseinrichtungen im Kreis bietet die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg den innovativen Masterstudiengang Erneuerbare Energien an. Ein Schwerpunkt sind Exkursionen und Praxis-Seminare zu den Anlagen in der Region Lüchow-Dannenberg.
Quelle: http://www.weser-kurier.de