Mittwoch, 8. Dezember 2010

Castor-Protest unterwegs ins Seebad Lubmin /4.12.10

Gorleben kennt jeder. Andere Castor-Transporte provozieren kaum Demos. In Lubmin an der vorpommernschen Ostseeküste könnte sich das nun ändern. VON MARTIN KAUL

Alles ist so schön hier in Lubmin. Die Kliffküsten, die malerischen Kiefernwälder, der feinkörnige Sand, die sanften Wellen. Lubmin ist immer eine Reise wert. Denn abseits von Lärm, Stress und Hektik, unberührt vom Massentourismus erwarten komfortable Hotels und gemütliche Pensionen ihre Gäste. Und ganz in der Nähe ein Atommüll-Zwischenlager, das noch immer kaum entdeckt ist. Lubmin. Wieso nur interessiert sich kaum jemand für die abgelegenste Atommüllhalde Deutschlands?

Wann immer hier ein Castor anrollte - Deutschland verschlief es. Als 2001 der bislang vorletzte Atommüll nach Lubmin transportiert wurde, passierte kaum etwas. Als 2007 der Reaktordruckbehälter aus dem Ex-DDR-Atomkraftwerk in Rheinsberg anrollte, demonstrierten gerade einmal 160 Menschen.

Doch nun könnte der Protest auch in Lubmin wachsen: Erstmals wird dort auch Strahlenschrott gelagert, der nicht aus der DDR stammt. Ende dieser Woche soll aus dem verschlafenen Rentnerdomizil in Mecklenburg-Vorpommern ein Ziel für politische Aktionsreisen im großen Stil werden. Atomkraftgegner wie Felix Leipold erwarten am Samstag um 13 Uhr mehrere tausend Menschen zu einer Demonstration in Greifswald - und in den folgenden Tagen Sitzblockaden und kreative Aktionen gegen den für den 15. und 16. Dezember avisierten Castor-Transport ins oberirdische Zwischenlager Lubmin.

Nach dem Großereignis im Wendland, wo vor einem Monat bis zu 50.000 Menschen gegen den Castor-Transport demonstriert haben, will die Protestgemeinde das Brachland entdecken. Denn ganz in der Nähe des Ostseebades schlummert eines der größten Atommülllager Deutschlands.

65 gefüllte Castor-Behälter sind dort derzeit geparkt, bis ein Endlager für sie gefunden ist. Und das kann dauern. Mit der Dezember-Lieferung aus dem französischen Cadarache werden vier weitere Castoren mit Kernbrennstäben aus bundesdeutschen Einrichtungen erwartet. Anfang nächsten Jahres werden in Lubmin fünf weitere Castoren aus dem Forschungszentrum Karlsruhe eintreffen. Darin befindet sich sogenannte Atomsuppe. Das ist eine radioaktive Lösung, die für Transport und Lagerung in Glaskügelchen umgewandelt wurde.

Bernd Ebeling weiß, was Atomsuppe ist. Er ist einer der Protestpioniere von Lubmin. Der 44-jährige Wasserbauingenieur aus dem westdeutschen Uelzen war 2001 schon da. Und 2007 auch wieder. Damals kamen sie zu viert aus dem Wendland angereist. Heute schicken die AktivistInnen von dort einen ganzen Bus mit DemonstrantInnen auf die Reise. Sie unterstützen den Ostprotest mit Personal, mit Infrastruktur und Spenden. Aus dem Rest der Republik kommen weitere 15 Reisebusse.

Denn am Ende eines der bewegungsreichsten Protestjahre der deutschen Atomkraftgegnerschaft ist das eingetreten, was Aktivist Jochen Stay den "Heiligendamm-Effekt" nennt: Zwar sind die HauptprotagonistInnen der Anti-Atomkraft-Bewegung fix und fertig - doch die Proteste gehen auch ohne sie weiter. Nach der bundesweiten Großdemonstration in Berlin im September und den Mammutprotesten von Gorleben haben sich die Aktivitäten vieler lokaler Gruppen verselbständigt. In über 40 deutschen Städten gibt es inzwischen Montagsspaziergänge gegen Atomkraft. "Vor einem Vierteljahr hätte ich gesagt: Nach Lubmin kommen 200 Leute. Heute rechnen wir mit tausenden. Es ist eine Dynamik entstanden, die wir so nicht erwartet hätten", sagt Stay.

So ergibt sich in Lubmin - beflügelt von einer beispiellose Anti-Atom-Welle - nun erstmals die Möglichkeit, mit den Protesten gegen das dortige Zwischenlager auch bundesweit wahrgenommen zu werden. Felix Leipold, Pressesprecher der Initiative "Lubmin nix da", geht davon aus, dass in der kommenden Woche hunderte Atomkraftgegner bleiben, um die Gegend rund um Lubmin beim Castor-Transport mit Protest zu bevölkern.

Axel Vogt findet das nicht witzig. Der ehrenamtliche Bürgermeister der Gemeinde Lubmin hat harte Geschütze aufgefahren und will in Zukunft gegen jene vorgehen, die weiter behaupten, das Zwischenlager bei Lubmin gehöre zu Lubmin.

Erst im November beschloss seine Gemeindevertretung, "rechtliche Schritte gegen Medien und Personen des öffentlichen Interesses zu unternehmen, sofern nicht korrekt vom Zwischenlager Nord berichtet wird und auf die namentliche Verknüpfung mit dem Seebad Lubmin verzichtet wird". Früher hat seine Gemeinde ganz gut von dem hässlichen Koloss gelebt: Ehe Lubmin zum Synonym eines Zwischenlagers wurde, betrieb man auf dem gleichen Gelände eines der zwei einzigen Atomstandorte der DDR.

Damals war das ein Arbeitsplatzgarant und im Kalten Krieg ein Symbol des fortschrittlichen Kommunismus. Längst sind die Atomreaktoren stillgelegt, was bleibt, ist der DDR-Müll, ergänzt um die Atomsuppe. Neben den Schienenstrecken, Kliffküsten, Kiefernwäldern, dem feinkörnigen Sand. Und den sanften Wellen.

Der Termin: Der nächste Castortransport mit Atommüll soll ins norddeutsche Lubmin rollen. Für Samstag, den 11. Dezember, um 13 Uhr rufen daher Anti-Atom-Initiativen zu einer zentralen Demonstration in Greifswald auf. In den Folgetagen wollen sie mit Sitzblockaden und kreativen Aktionen gegen den Castortransport vorgehen, der von Atomkraftgegnern ab dem 15. Dezember erwartet wird.

Das Zwischenlager: Es befindet sich auf dem Gelände eines ehemaligen DDR-Atomkraftwerkes. In den Hallen werden derzeit 65 Castoren gelagert, 4 kommen im Dezember dazu, 5 voraussichtlich Anfang 2011. Nach Angaben des bundeseigenen Betreibers, der Energiewerke Nord, sollen dann keine Castoren mehr in das Lager kommen, 80 passen hinein.

Polizei versprüht 2190 Dosen Pfefferspray bei Castor-Protest/ 1.12.10

Hamburg — Die Bundespolizei hat bei ihren Einsätzen gegen Atomkraftgegner im Gebiet um Gorleben anlässlich des Castortransports im November 2190 Dosen Pfefferspray versprüht. Das gehe aus einem Schreiben des Bundesinnenministeriums an die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke hervor, hieß es im "Hamburger Abendblatt". Demnach sei nach dem Einsatz von den beteiligten Bundespolizeiabteilungen "ein Ersatzbedarf" von 2190 Sprühgeräten angezeigt worden. "Schon alleine die Dimension dieses Reizgaseinsatzes zeigt, welcher Polizeigewalt die Demonstranten ausgesetzt waren", sagte Jelpke dem "Hamburger Abendblatt". Das sei nicht verhältnismäßig.

Auch der FDP-Abgeordnete Erwin Lotter forderte in einem Brief an Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), den Einsatz von Alternativen zum Pfefferspray zu prüfen, die "medizinisch wie praktisch weniger komplikationshaft" seien. In dem Brief bezieht sich Lotter auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das die Linke in Auftrag gegeben hatte.

Demzufolge reagiert der Körper auf Pfefferspray mit heftigen Symptomen, auch bleibende körperliche und seelische Schäden seien nicht auszuschließen. Als Arzt könne er dies nicht ignorieren, erklärte Lotter. Mit Rücksicht auf Demonstranten und Polizisten sehe er eine sachliche Klärung durch das Innenministerium "dringend geboten".
Quelle: AFP

Transport von Ahaus nach Russland vorerst abgesagt /1.12.10

Der Transport von 18 Castor-Behältern mit stark strahlendem Atommüll von Ahhaus nach Russland wird vorerst nicht stattfinden. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte, man prüfe noch, ob in Russland eine sichere Verwertung stattfinden könne. Bei dem Atommüll handelt es sich um 951 bestrahlte Brennelemente aus einem DDR-Forschungsreaktor.
Der umstrittene Transport von Atommüll aus einem früheren DDR-Forschungsreaktor nach Russland wird vorerst nicht starten. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte am Mittwoch im Bundestag, man prüfe sehr sorgfältig, ob in Russland eine sichere Verwertung stattfinden könne. Diese Prüfung sei noch nicht abgeschlossen. Der SPD-Abgeordnete Matthias Miersch berichtete aus dem Umweltausschuss, das entsprechende deutsch-russische Abkommen sei wegen Sicherheitsbedenken noch nicht unterzeichnet worden. Atomkraftgegner waren zuletzt davon ausgegangen, dass der Transport bereits Mitte Dezember das nordrhein-westfälische Zwischenlager Ahaus verlässt.

Dabei handelt es sich um 951 bestrahlte Brennelemente aus dem ehemaligen DDR-Forschungsreaktor Rossendorf in Sachsen, die ursprünglich einmal von der Sowjetunion geliefert worden waren. Sie sollen nach einem russisch-amerikanischen Abkommen von Russland zurückgenommen und in die Wiederaufarbeitungsanlage Majak transportiert werden. Der stark strahlende Abfall lagert seit 2005 in 18 Castor-Behältern in Ahaus.

Umweltschützer beklagen Sicherheitsmängel in Majak und eine Verstrahlung der dortigen Umgebung. Sie hatten deshalb verlangt, den Atommüll in Deutschland zu behalten. Auch Röttgen hatte Vorbehalte wegen der Sicherheit in Majak geäußert.

Sicherheitsbedenken der Opposition

SPD-Umweltexperte Miersch berief sich auf Informationen der parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Katherina Reiche, im Umweltausschuss. Röttgen habe „den Transport von Atommüll aus Deutschland nach Russland gestoppt und die Unterzeichnung des Regierungsabkommens abgesagt“, erklärte Miersch. Damit erkenne er die Sicherheitsbedenken der Opposition endlich an. Die SPD fordere jetzt ein transparentes Verfahren zur Prüfung der Sicherheitsstandards.

Für die Ausfuhr des strahlenden Mülls, der in drei Castor-Transporten nach Russland gebracht werden soll, sind etliche Genehmigungen nötig. Eine Transportgenehmigung für die Fahrt durch Deutschland hat das Bundesamt für Strahlenschutz bereits im September erteilt. Sie ist befristet bis April. Auch das BfS hatte aber kritisch angemerkt, das Vorhaben werfe „übergeordnete Fragen hinsichtlich des Strahlenschutzes“ auf.

Daneben ist eine Ausfuhrgenehmigung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erforderlich, die noch nicht erteilt ist. Das dem Wirtschaftsministerium unterstellte BAFA gab zunächst keine Stellungnahme ab. Die zuständige Transportfirma Nuclear Cargo + Service (NSC) in Hanau wollte sich auf dapd-Anfrage ebenfalls nicht äußern.

OVG Münster stärkt Demonstrationsrechte: Filmen von Atomtransport-Demo war rechtswidrig /29.11.10

Im Vorfeld der geplanten Castor-Transporte von Ahaus nach Majak, von Jülich nach Ahaus sowie von Frankreich nach Greifswald hat das OVG Münster erstmals der Polizei in Sachen Videobeobachtung klare Grenzen aufgezeigt und die Demonstrationsrechte deutlich gestärkt. In einem jetzt veröffentlichten Beschluss des 5. Senats des Oberverwaltungsgerichts unter OVG-Präsident Dr. Bertrams erklärte das OVG das polizeiliche Filmen einer Demonstration gegen Urantransporte im Juni 2008 für rechtswidrig (Aktenzeichen 5A 2288/09). Damals hatte die Polizei in Münster mit einem Kamerawagen während der gesamten Demonstration die Teilnehmer frontal von vorne gefilmt.

Konkret wies das OVG den Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen zurück, gegen einen ähnlichen Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom August 2009 (Aktenzeichen 1K 1403/08 Münster) die Berufung zuzulassen. »Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Videobeobachtung der Versammlung (...) rechtswidrig war,« heißt es im jetzigen OVG-Beschluss. »Der konkrete Einsatz der Kameraübertragung (war) geeignet, bei den Versammlungsteilnehmern das Gefühl des Überwachtwerdens mit den damit verbundenen Unsicherheiten und Einschüchterungseffekten zu erzeugen,« stellt das OVG unmissverständlich klar.

Zudem kritisiert das OVG, dass »auch ohne Speicherung eine intensive, länger andauernde und nicht nur flüchtige Beobachtung selbst einzelner Versammlungsteilnehmer auf einem Monitor im Fahrzeuginnenraum möglich (war),« und folgert daraus, »Bürger hätten aus Sorge vor staatlicher Überwachung von der Teilnahme an der Versammlung abgeschreckt werden können (...), weil sie nicht übersehen können, ob ihnen daraus Risiken entstehen können.«

Die Anti-Atomkraft-Initiativen, die die Klage des Demonstrations-Anmelders gegen die Videobeobachtung unterstützt hatten, sehen sich voll bestätigt. »Dies ist bundesweit das erste OVG-Urteil zu polizeilicher Videobeobachtung auf Demonstrationen. Immer wieder filmt die Polizei auf Demos, ohne dass Teilnehmer erkennen können, was mit den Aufnahmen nachher passiert. Wir fordern nun als Konsequenz NRW-Innenminister Jäger auf, die Polizei-Kameras auf Demonstrationen abzuschalten und die Versammlungsfreiheit gemäß den OVG-Vorgaben zu schützen,« erklärte Felix Ruwe von der BI »Kein Atommüll in Ahaus«.
Quelle: http://www.redglobe.de