Sonntag, 27. Juni 2010

Fotos: Campact Ballonaktion am AKW Krümmel /26.6.10

Fotos von PubliXviewinG: Campact Ballon-Aktion am AKW Krümmel, 26. Juni
Die Bilder können honorarfrei verwendet werden. Belegexemplar oder Angabe des Links erbeten. Bitte verwenden Sie als Copyrightvermerk den in den IPTC-Daten genannten Namen. Für Texte verwenden Sie bitte das Agenturkürzel pxv


Rund 300 Menschen zogen am 26.6.10 mit den Schläuchen und ausgestattet mit Folienschneidern, Plakaten und Schildern vor das Kraftwerk. Vorneweg gingen Menschen in Skelettkostümen und überbrachten "Schöne Grüße vom tödlichen Nachbarn". Dort, direkt vor der westlichen Ecke des Reaktors, war bereits ein 25 breiter Kreis auf der Straße aufgezeichnet: der Umfang des Radioaktivitätszeichens. Lage für Lage, von außen beginnend, wurden die Schläuche in dem Kreis verteilt - immer abwechselnd schwarz, gelb, schwarz, gelb usw. Von oben, von einer der Hebebühnen, wirkte das Ganze lange nicht wie ein Radioaktivitätszeichen - doch langsam, Stück für Stück, füllte sich auch das letzte Segment, zogen noch zwei drei ganz kurze, mit schwarzen Ballons gefüllte Schläuche als Kern in die Mitte, rückten die einzelnen Schläuche enger zusammen. Und plötzlich sah man es ganz deutlich: ein riesiges, 25 Meter breites Radioaktivitätszeichen mitten auf der Straße direkt vor dem AKW.
Zum Hintergrund der Aktion: http://www.campact.de

Samstag, 26. Juni 2010

Mathias Edler: Gorleben, eine willkürliche Entscheidung /22.06.10

Mathias Edler prüft Akten, die die Entscheidung für den Endlagerstandort Gorleben dokumentieren. Prüfergebnisse sind verschwunden und es war eine politische Entscheidung, sagt der Atomexperte.

Wie ergebnisoffen war die Standortauswahl zugunsten Gorlebens in den 70er Jahren?

MATHIAS EDLER: Von Anfang an nicht ergebnisoffen. Das haben die Akten deutlich gezeigt. Im ersten Auswahlverfahren, einer Studie der Kewa (Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungsgesellschaft) im Auftrag der damaligen Bundesregierung wurden 200 mögliche Standorte für ein nukleares Entsorgungszentrum in ganz Deutschland untersucht. Gorleben war da - aus geologischen Gründen - schon nicht mehr dabei.

Warum?

EDLER: Damals gab es die "Kali-Salz-Kommission". Dort trafen sich ost- und westdeutsche Geologen. Die Ostdeutschen haben zum Atomlager im Salzstock in Gorleben gesagt: ,geht nicht. In den Salzstöcken, die sich von Gorleben aus jenseits der damaligen Grenze fortsetzten, kam es oft zu Einbrüchen.

Wie kam Gorleben trotzdem in die engere Wahl?

EDLER: An den drei von der Kewa-Studie auserkorenen "Siegerstandorten" - alle in Niedersachsen - kam es zu massiven Protesten der Landbevölkerung. Ernst Albrecht führte seit Anfang 1976 in Niedersachsen eine CDU-Minderheitsregierung. Und eine konservative Partie wie die CDU gewinnt gegen das Landvolk in ländlichem Niedersachsen keine Wahl. Mit Einverständnis des Bundes führte das Land dann ein eigenes Auswahlverfahren durch. Nur Ministerien waren beteiligt, keine nachgeordneten Behörden, es war nicht transparent. Geologische Prüfungen spielten nur eine geringe Rolle. Das Verfahren - Auswahl der Standorte, Entwicklung der Standortkriterien und Festlegung der möglichen Standorte dauerte Ende 1976 ganze drei Wochen. Gorleben kam im November 1976 ins Spiel. Am 22. Februar 1977 fiel dann die Entscheidung für den Standort im Wendland. Sie war politisch und willkürlich.

Warum gerade Gorleben?

EDLER: Für Gorleben sprach aus Sicht der Landesregierung die geringe Siedlungsdichte im Wendland, es gab nur einen Landeigentümer im Bereich des Salzstocks und die Region war die strukturschwächste in Westdeutschland, die erwarteten 3000-4000 Arbeitsplätze sind da ein Argument.

Gab es geologische Gründe, ist Gorleben sicherer als andere Standorte?

EDLER: Nein. Bohrungen in den 80er Jahren ergaben, dass die den Salzstock bedeckende Tonschicht nicht dick und nicht wasserdicht genug ist. Die Ergebnisse wurden aber aus Prüfberichten wieder entfernt, um eine erneute Standortdiskussion zu verhindern.

Seit 33 Jahren wird in Gorleben jetzt gebohrt und geforscht, warum gibt es keine Alternativen?

EDLER: Nach der Entscheidung für Gorleben war das Interesse der Energieversorger weg. Um ihre Atomkraftwerke weiter zu betreiben und Genehmigungen für den Bau weiterer zu bekommen, brauchten sie einen Entsorgungsnachweis. Den konnten sie Mitte 1977 führen, da die Antragstellung auf den Bau eines Endlagers dazu ausreichte. Es ergibt sich aus den Akten: die Standortvorauswahl hatte nur das Ziel, den Betreibern den Genehmigungsantrag nach dem Atomgesetz zu ermöglichen. Mit dem Antrag war die Sache juristisch erledigt. Und ergebnisoffen ist es bis heute nicht: Die Schächte und Tunnel werden längst ausgebaut. Eine Anlage zur endlagerfähigen Verpackung steht schon, 91 Castorbehälter stehen in einer Zwischenlagerhalle, direkt über dem Salzstock.

Warum hält Bundesumweltminister Röttgen an Gorleben bis heute fest?

EDLER: Gorleben und die Endlagerung ist die Achillesferse der Atomindustrie. Wer keine Lösung der Endlagerfrage präsentieren kann, kann auch nicht auf gesellschaftliche Akzeptanz für eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken hoffen. 1977 diente Gorleben als Entsorgungsnachweis, heute, 33 Jahre später, soll es eine Lösung der Endlagerfrage vortäuschen.
Quelle: http://www.swp.de

Lesen Sie hierzu auch: Greenpeace: Geheime Akten über Gorleben /13.4.10

Umfangreiche Grünschnittarbeiten an der Castor-Bahnstrecke LG-DAN /19.06.10

Proteste wegen «radikaler» Grünschnittarbeiten an der Castorstrecke

Aus Protest gegen umfangreiche Grünschnittarbeiten an der Castor-Bahnstrecke zwischen Lüneburg und Dannenberg haben Umweltschützer einen Streckenabschnitt in der Nacht zum Samstag vorübergehend blockiert. Die letzte Zugfahrt des Abends sei nicht behindert worden, dennoch habe die Polizei 50 Demonstranten vorübergehend festgenommen, teilte die Bürgerinitiative (BI) Lüchow-Dannenberg mit. Die Bundespolizei in Bremen bestätigte den Einsatz auf Anfrage, dementierte jedoch die Zahl der Festgenommenen. Es seien lediglich von 20 Personen die Personalien festgestellt worden, da sie sich auf die Gleise gesetzt und die Schnittarbeiten behindert hätten, hieß es.

Die Proteste richteten sich nach Angaben der BI dagegen, dass die Deutsche Bahn auf der Strecke mit einer «radikalen Rückschnittmaßnahme» begonnen habe. Damit sollten vermutlich erste Vorbereitungen für den nächsten Castor-Transport im November getroffen werden. Die Atommülltransporte rollen auf dieser Bahntrasse ins Wendland.

Die Rückschnittaktion erfolge mitten in der Brut- und Setzzeit und greife «erheblich und ohne Not» in einen wertvollen Lebensraum ein, kritisierte BI-Sprecher Wolfgang Ehmke. Der niedersächsische Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (LBU) wollte noch am Samstag Anzeige gegen die Deutsche Bahn AG wegen Verstoßes gegen das Naturschutzgesetz erstatten. Die von der Bahn mit den Grünarbeiten beauftragte Firma vertagte nach Angaben der Bürgerinitiative zunächst den Arbeitseinsatz.
Quelle: http://www.ad-hoc-news.de

Sachverstaendige bestaetigen politische Willkuerentscheidung fuer Gorleben /17.06.10

Pressemitteilung vom 17.06.2010 | 15:49
Pressefach: SPD-Bundestagsfraktion

Landkreis statt Salzstock - Sachverstaendige bestaetigen politische Willkuerentscheidung fuer Gorleben

Zur heutigen (17.06.10) Sachverstaendigen-Anhoerung im 1.Untersuchungsausschuss Gorleben erklaert die Obfrau der SPD-Bundestagsfraktion Ute Vogt:

Die Befragung der Sachverstaendigen Henning Roesel und Dr.Detlev Moeller haben bislang folgendes ergeben:

1. Der Sachverstaendige Dr. Moeller brachte gleich zu Beginn seiner Ausfuehrungen die Debatte ueber die Standortwahl fuer Gorleben auf den Punkt: "Es zaehlte der Landkreis, nicht der Salzstock. Das heisst: Politik statt Geologie. Moeller fuehrte weiter aus, dass das Tagebuch des ehemaligen Landesministers Walther Leisler Kiep eindeutig zeige, dass die Entscheidung fuer Gorleben feststand, bevor Wissenschaftler und Experten gehoert wurden.

2. Der Sachverstaendige Roesel stellte fest, dass die Bundesregierung den Standort Gorleben nicht als 1. Wahl favorisiert habe. Es habe "grosse Bedenken" gegeben.

3. Roesel bestaetigte ebenfalls, dass der Bau der Schaechte des sogenannten Erkundungsbergewerks Gorleben seit Beginn so vorgenommen wurde, wie es fuer ein Endlager notwendig war. Das war keine Erkundung, sondern der Beginn des Endlagerbaus. Den Vorwurf eines "Schwarzbaus" konnte Roesel damit nicht entkraeften.

4. Beim Thema Eigentumsrechte wurde festgestellt, dass die Erkundung nicht an Hand geologischer Gesichtspunkte vorgenommen werden konnte, sondern entlang vorhandener Eigentumsrechte
(Salzrechte) vorgenommen werden musste. Es gibt etwa 130 Eigentuemer oberhalb des Gorlebener Salzstocks. Wenn Eigentuemer kein vertraglich geregeltes "Nutzungsrecht" mit der Betreibergesellschaft abgeschlossen haben, wird um ihr Grundstueck "herumerkundet". Laut Aussage der rechtlichen Sachverstaendigen Roesel ist eine Enteignung von Eigentuemern nach heutigem Recht nicht mehr moeglich.

5. In Gorleben wurden bereits 1977 bei der Planfeststellung Antraege nach Bergrecht und Atomgesetz gestellt. Nach dem Sachverstaendigen Roesel war der Antrag nach Atomgesetz fachlich notwendig und "zwingend geboten". Das Atomgesetz wird heute - vom aktuellen Umweltminister Norbert Roettgen - bewusst umgangen, um eine Buergerbeteiligung auszuschliessen.
Quelle: http://www.pressrelations.de

BAM kritisiert GNS: nicht genehmigtes Schweißverfahren für Castoren? /15.06.10

Neues Schweißverfahren
Streit um Castor-Sicherheit
Um abgebrannte Brennelemente einlagern zu können, braucht es Behälter, die der Hersteller Castor getauft hat. Um den neuen Prototyp für über 100 solcher Castoren ist jetzt Streit entbrannt: Es soll ein nicht genehmigtes Schweißverfahren angewendet worden sein.
Von Joachim Wille

Die zuständige Genehmigungsbehörde, die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin, attackiert den Hersteller der Atom-Behälter scharf. Sie habe "begründeten Anlass zur Sorge", dass das Essener Atom-Entsorgungsunternehmen GNS "keine qualitätsgesicherte Fertigung" garantiere.

Bei der Fertigung eines Castor-Bauteils habe es "mehrere grobe Verstöße" gegen Richtlinien zur Qualitätssicherung gegeben, moniert die BAM in Briefen an die GNS, die der FR vorliegen. Die Behörde und der ebenfalls beteiligte TÜV stellte wegen des Konflikts die Gutachtertätigkeit in dieser Sache vorübergehend ein.

Bei dem Streit geht es um den Prototyp zur Produktion von über 100 neuen Castoren vom Typ V/19, in denen abgebrannte Brennelemente nach ihrer Entladung aus den hiesigen Atomkraftwerken eingelagert werden sollen. Hersteller ist die Essener Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS), die die Entsorgung der deutschen Kernkraftwerke durchführt und unter anderem die Zwischenlager in Gorleben und Ahaus betreibt. Für die jetzt anlaufende Fertigung ist eine neue Zulassung erforderlich, die vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Salzgitter und der BAM erteilt wird. Die BAM muss dafür die Sicherheit und die Herstellungsprozeduren des Behälters überprüfen.

Konkret moniert die BAM das Verfahren, in dem die so genannten Tragkörbe für das radioaktive Material gefertigt wurden. Diese "Körbe" – zusammengeschweißte Gerüste aus Spezialstahl – fixieren die stark strahlenden Brennelemente im Castor-Innern. Sie sollen die Brennelemente zum Beispiel bei einem Transportunfall vor Beschädigung schützen und müssen die in ihnen entstehende Wärme an die Behälterwand ableiten. Dabei kommt es auch darauf an, dass die Schweißverbindungen sachgemäß ausgeführt werden.

Das BAM kritisiert in einem Schreiben, die Herstellerfirma habe ein nicht zulässiges Schweißverfahren benutzt. Die Genehmigung habe nur für einen älteren Castor-Typ gegolten, inzwischen sei das "Design" des Tragkorbs und die benutzte Stahlart verändert worden. Die Behörde stellte nach einer Vor-Ort-Überprüfung fest, es gebe "ein vorsätzliches Umgehen von Schritten zu einer qualitätsgesicherten Fertigung durch die GNS".

Was die GNS daraufhin zu ihrer Verteidigung vorbrachte, besänftigte die BAM-Experten nicht. Sie schreiben in ihrer Antwort: "Die von Ihnen dargelegte Beschreibung des Sachverhaltes bestätigt unsere Auffassung, dass GNS nicht in der Lage ist, den Prozess der ,zulassungsvorlaufenden Fertigung´ sicher zu beherrschen."

GNS-Bereichsleiter Jens Schröder bestätigte der FR, dass die BAM die Fertigungsprozedur des Tragkorbs kritisch bewertet habe: "Es gab unterschiedliche Fachmeinungen." Das sei in solchen Genehmigungsverfahren aber "nicht unüblich". Er zeigte sich jedoch verwundert über die "Emotionalität", in der der BAM-Brief abgefasst sei. Inzwischen sei der Konflikt ausgeräumt, man habe die Vorwürfe entkräften können.

Eine Sprecherin der BAM wollte keine Stellungnahme zu Details abgeben, da es sich um ein "laufendes Verfahren" handele. Die BAM-Experten seien jedoch generell "nicht zimperlich", wenn es um die Durchsetzung von Sicherheitsvorschriften gehe.

Schröder sagte, er schließe "absolut aus", dass das von der BAM monierte Schweißverfahren bei den Castoren in der Praxis irgendwelche Sicherheitsprobleme verursachen könnte. Zudem sei sichergestellt, dass in der späteren Castor-Serienfertigung der Behälter nur Verfahren benutzt würden, die der endgültigen BAM-Zulassung entsprächen.

Kritisch bewertet der Atomexperte Wolfgang Neumann vom Umwelt-Beratungsbüro Intac in Hannover den Fall. Wegen des Castor-Prototyps sei zwar "keine Gefahr im Verzug", da die Tragkörbe noch nicht im Einsatz seien. "Die Standards der Qualitätssicherung einzuhalten, ist aber extrem wichtig. Sie muss zuverlässig funktionieren", sagte er der FR. Er halte es für bedenklich, dass bei der GNS nun erneut Probleme aufgetaucht seien.
So habe die BAM 2008 bei einem anderen Castor-Typ moniert, die GNS habe für Sicherheitsnachweise unzulässigerweise "frei gewählte Parameter in Rechenmodelle" eingefügt.

Neumann verwies darauf, dass dem Tragkorb als Castor-Bauteil hohe Bedeutung zukomme. Wenn Schweißnähte des Gestells unter Belastung, etwa beim Transport, rissen, könnten sich die Brennelemente im Behälter "verkeilen", erläuterte er. Unter Umständen werde es dann sehr schwierig, sie wieder herauszuholen.
Quelle: http://www.fr-online.de

Montag, 14. Juni 2010

Verletzte und Festnahmen bei Anti-Atomkraft-Protesten in Gorleben /6.06.10

Umweltschützer kündigen «heißen Herbst» im Wendland an

Gorleben (ddp). Bei Anti-Atomkraft-Protesten in Gorleben sind am Wochenende mehrere Atomkraftgegner festgenommen und verletzt worden. Demonstranten hätten am Samstag versucht, den Zaun um das Gorlebener Erkundungsbergwerk zu beschädigen, sagte ein Polizeisprecher. Beamte seien daraufhin «mit körperlicher Gewalt» gegen Demonstranten vorgegangen. Drei Personen wurden festgenommen. Sie seien im Verlauf des Tages wieder frei gekommen, sagte Rechtsanwalt Martin Lemke.

Umweltschützer berichteten von einem «völlig überzogenen» Einsatz der Polizei mit Schlagstöcken und Pfefferspray. «Schon das Anbringen von Transparenten wurde von der Polizei unterbunden, es kam bei Nichtigkeiten wie Rütteln am Zaun zu Festnahmen», erklärte die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Nach ihren Angaben wurden zwölf Atomkraftgegner bei dem Einsatz verletzt.


Die Demonstration am Samstag richtete sich gegen die Endlagerpläne von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) und längere AKW-Laufzeiten. An einer Kundgebung und einer anschließenden symbolischen Umzingelung des Endlagerbergwerks beteiligten sich nach Angaben von Bürgerinitiativen rund 1000 Menschen. Die Polizei sprach von 400 bis 500 Teilnehmern. Röttgen hatte das Moratorium für die Erkundung des Salzstocks kürzlich aufgehoben.

BI-Sprecher Wolfgang Ehmke nannte die Atomkraft «eine Dinosaurier-Technologie, die wir schon vor 30 Jahren überwunden glaubten». Bereits in der «Republik Freies Wendland» habe es Sonnenkollektoren und Windräder gegeben. Im Frühsommer 1980 hatten Umweltschützer im Gorlebener Wald ein Hüttendorf errichtet und die «Republik Freies Wendland» ausgerufen. Auch sonnenbeheizte Duschen wurden damals errichtet.

Niedersachsens Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel zeigte sich «optimistisch, dass der Endlagerstandort Gorleben kippt». «Es wird immer deutlicher, mit wie viel Lug und Trug der Standort ausgesucht wurde», sagte Wenzel am Rande der Kundgebung der Nachrichtenagentur ddp. Bis heute würden berechtigte geologische Einwände gegen Gorleben unterdrückt.

Die BI-Vorsitzende Kerstin Rudek kündigte einen «heißen Herbst» und «Massenproteste» gegen den nächsten Castortransport ins Gorlebener Zwischenlager an. «Wir werden da sein, wo sie uns nicht haben wollen, und wir werden viele sein», sagte sie. Die Umweltschützer befürchten, dass weitere Atommülltransporte Gorleben auch als Endlager festschreiben.

Am Freitag hatten atomkraftkritische Landwirte das Richtfest für eine neue Schutzhütte im Gorlebener Wald gefeiert. Der Bau in Sichtweite des Endlagerbergwerks solle künftig Anlaufstelle für Atomkraftgegner sein, erklärte die Bäuerliche Notgemeinschaft. Zudem gab es am Wochenende Ausstellungen, Filme und eine Podiumsdiskussion über die «Republik Freies Wendland».
Quelle: http://www.open-report.de

Foto oben: http://www.publixviewing.de
weitere Fotos unter: http://www.publixviewing.de und http://www.subkontur.de

Wendland ist überall /4.06.10

30 Jahre Räumung der "Freien Republik Wendland": Am 4. Juni 1980 rückten 6.500 Polizisten an, mit Hubschraubern und Bulldozern. Doch die Idee ist daran nur gewachsen.
VON MARTIN KAUL

FREIE REPUBLIK WENDLAND taz | Heute ist hier nur noch nichts mehr. Es regnet auf diesen unscheinbaren Rostdeckel im Asphalt, unter dem damals alles begann. Hier, wo sich vor dreißig Jahren die Träume und Hoffnungen von tausenden Menschen zu einer besonderen Kraft bündelten, ermüdet sich heute auf ein paar Quadratmetern die Langeweile einer noch leicht verunstalteten Natur. Fritz Tietke macht ein paar Schritte auf dem letzten bisschen Teer, guckt um sich. Ringsumher wachsen heute Bäume. Nach Utopie sieht es hier nicht aus.

Tietke ist ein Kind dieses Rostdeckels. Hier lernten sich seine Eltern lieben. Hier begründeten sie den Hauch einer neuen Republik. Das war vor 30 Jahren. Fritz Tietke ist heute 28.


Er trägt ein schwarzes Polohemd mit hochgeschlagenem Kragen, darüber eine Regenjacke. "Ich bin eigentlich unpolitisch", sagt der Systemadministrator, "was wir hier tun, ist doch nur selbstverständlich." Mit "wir" und "hier" meint er eine Widerstandsgemeinschaft, die sich Wendland nennt. Vor 30 Jahren sollte ihre Freie Republik beseitigt werden. Und seitdem gibt es sie erst recht.

Der Traum ist aus

Am 4. Juni 1980 rückten 6.500 Polizisten an, mit Hubschraubern und Bulldozern, und mähten ein Projekt zugrunde, bei dem Menschen ihre Zukunft handfest definierten. Sie reisten zu tausenden ins Wendland, im damals CDU-geprägten Niedersachsen, bauten über 100 Hütten, entwarfen und gruben einen U-Bahn-Schacht, wenngleich die U-Bahn fehlte. Sie stellten "Wendepässe" aus und bauten einen Schutzturm. "Turm und Dorf könnt ihr zerstören, aber nicht unsere Kraft, die es schuf" stand auf einem Banner daran.

Ihr Traum: ein alternatives Leben ohne atomare Bedrohung. Ihr Ziel: die Besetzung des Bohrlochs 1004, ein Loch, das wichtig war. Hier sollte im Juni 1980 eine Tiefbohrung stattfinden, um ein neues Zwischenlager für Atommüll zu erkunden. Die Wendländer befürchteten, dass unter ihren Füßen für tausende von Jahren Atommüll entsorgt werden sollte. Heute, 30 Jahre später, bleibt dieser Schacht in Gorleben noch immer schwer umkämpft: Alles deutet darauf hin, dass gegen alle wissenschaftlichen Gutachten ein Endlager politisch zum Fakt gemacht werden soll.

Heute steht Fritz Tietke am Bohrloch 1004. Trotz Wind und Regen hält er die Fahne hoch, seine 86-jährige Großmutter, seine Eltern, seine Freundin - alle halten mit. Im Juni, wenn das Gelb des Rapses noch weht, dann duftet vor dem Haus der Tietkes mild der Flieder. Und nebenan, da strahlt der Sondermüll. "Damals gab es im Wendland noch keinen Raps", sagt die Großmutter. Was ist geblieben von der Utopie, die damals im Wendland entstand?

Wendland ist überall

Die Fahne der Tietkes ist noch immer die der Freien Republik. Und diese Republik ist größer, als es vielleicht je denkbar war. Denn die Geschichte der Anti-Atom-Proteste ist die - auch frustrierende - Erfolgsgeschichte einer Bewegung, deren Erfolg in Millimetern gemessen wird. Während in Zeiten der globalen Finanzkrise etwa die antikapitalistische Bewegung kaum hörbare Antworten artikuliert, sind die Atom-GegnerInnen so stark wie nur selten zuvor. 120.000 Menschen kamen erst Ende April zu der größten Protest-Menschenkette zusammen, die es in Deutschland je gegeben hat. Das Wendland ist heute überall.

Fritz Tietke ist ein Gesicht dieses Erfolgs. Wieder im Trockenen, sitzt er auf dem Sofa im Haus seiner Eltern, isst Butterkuchen. Oma Tietke hat ihn gebacken, so wie vor 30 Jahren schon. "Ich finde an dem, was ich tue, nichts Besonderes", sagt Tietke junior. "Ich bin auch nicht groß engagiert. Ich lasse mir nur einfach nicht alles gefallen." Es ist ein Pragmatismus, der verstörend wirkt. Wie kann einer, der bei jedem Castor-Protest in der ersten Reihe steht, der erst im September letzten Jahres aus Protest mit dem Trecker die 232 Kilometer bis nach Berlin gefahren ist, der dabei ist, wenn die Bauern Castor-Blockaden planen, der den Akku aus dem Handy nimmt, wenn Wichtiges zu besprechen ist, wie also kann sich so jemand für nicht engagiert halten?

"Ich habe eigentlich keine Utopie", sagt Tietke. Eine U-Bahn wollte er noch nie bauen. "Ich bin sicher kein Autonomer, ich bin gewaltfrei. Wenn es irgendwo kracht, gehe ich weg." Doch mit dem Krach des Widerstands kennt sich die Familie Tietke aus: Fritz Vater stand zweimal vor Gericht, er hat vor 30 Jahren eines der Tiefbohrlöcher mit Gülle befüllt. Einmal hat er mit seinem Trecker die Bohrfahrzeuge aufgehalten. 83.000 Mark betrug die Strafe damals. Als 2003 dutzende Bauern einen Castor-Transport über Stunden erfolgreich aufhielten, waren die Tietkes auch dabei, natürlich. Der Widerstand ist längst selbstverständlich geworden im Wendland. Die Tietkes sind nur ein kleiner Teil dieser Notgemeinschaft. Und ihre Wut wächst immer weiter.

Vielleicht hat sie ihr Utopisches verloren. "Wir müssen heute nicht mehr um Anerkennung kämpfen. Unser Anliegen wird von der überwiegenden Mehrheit automatisch geteilt", sagt Fritz Mutter Monika. 30 Jahre nach der Gründung der Freien Republik ist der Landrat im Wendland nicht mehr der Feind. Heute ist er der Schirmherr jener symbolischen Schutzhütte, die zum Jahrestag der Räumung die nicht gewichene Gefahr der atomaren Resterampe anmahnt. Die Bürgerinitiative bucht im großen Stil Werbeflächen, auf denen zum Widerstand aufgerufen wird. Der Protest ist professionell geworden, der Widerstand Alltag. Nicht nur die Tietkes halten hier die Fahne hoch.


Sicher: Aus der U-Bahn ist noch immer nichts geworden. Turm und Dorf wurden zerstört. Aber eines ist gewachsen: die Kraft, die es schuf. Heute ist hier mehr denn je.
Quelle: http://www.taz.de