Samstag, 29. Dezember 2007

Ein AKW-Comeback zwecks Klimaschutz bleibt in der EU umstritten /29.12.07

Gelesen bei Frankfurter Rundschau http://www.fr-online.de:80/in_und_ausland/politik/aktuell/?sid=d9292282ce64de7bc9ea1e25556164bd&em_cnt=1264569

Atom-Spaltung
Ein AKW-Comeback zwecks Klimaschutz bleibt in der EU umstritten
VON JOACHIM WILLE

Braucht man die Atomkraft - auch, um das Klima zu retten? Wenn man die Bürger der Europäischen Union fragt, eher nicht. Eine von der Brüsseler Kommission in Auftrag gegebene Studie erbrachte Anfang des Jahres: Vorbehaltlose Unterstützung für die Atomenergie äußerten nur 20 Prozent der EU-Bürger, mehr als 40 Prozent sind gegen sie, und gut ein Drittel ist unentschlossen. Eindeutiger ist die Lage bei den erneuerbaren Energien. Rund 70 Prozent sprachen sich dafür aus.

Kein Wunder also, dass das Atomthema auch die Regierungen in der EU spaltet. Nur dreizehn der 27 Staaten betreiben AKW. 145 Meiler sind in der Union am Netz, sie liefern rund 30 Prozent des Stroms und etwa 15 Prozent des gesamten Energieverbrauchs.

Die Atom-Spitzenreiter sind Frankreich (78 Prozent Anteil an der Stromversorgung), Litauen (70) und die Slowakei (57). Deutschland liegt dagegen im Mittelfeld der Atomkraft-Länder (26), während Staaten wie Griechenland, Portugal, Polen oder Österreich nie Atomkraftwerke gebaut haben. Italien ist nach dem Unfall in Tschernobyl komplett aus der Atomnutzung ausgestiegen. Daraus ergeben sich heftige Konfliktlinien innerhalb der EU, weil zum Beispiel die Regierung in Paris will, dass ihr geliebtes Atom bei den klimafreundlichen erneuerbaren Energien mitgezählt wird.

Die EU-Kommission versucht, sich in dem Konflikt nicht die Finger zu verbrennen. Ob Einstieg, Ausstieg, Ausstieg aus dem Ausstieg - das sei "eine Frage, die die öffentliche Meinung in einigen EU-Staaten sehr polarisiert", sagt Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Ergo: "Es ist Sache der Mitgliedsstaaten zu entscheiden, ob sie Atomenergie haben wollen oder nicht." Das EU-Parlament, konservativ dominiert, zeigt sich da weniger zurückhaltend. Es verabschiedete im Oktober einen Bericht, der Vorteile für Klimaschutz und Versorgungssicherheit durch Atomkraft postuliert. Bei einem Ausstieg, so das Verdikt, seien die Klimaziele nicht erreichbar.

Experten, die das gesamte Energiesystem - Elektrizitität plus Wärmeversorgung und Prozessenergie in der Industrie - betrachten (also nicht nur die Kohlendioxid-Bilanz der reinen Stromproduktion), sehen das jedoch ganz anders. "Die Atomkraft ist dann nicht CO2-frei", erläutert Uwe Fritsche vom Öko-Institut. Sie habe, wenn man die zusätzlich nötige fossile Heizenergie berücksichtige, eine ähnliche CO2-Bilanz wie ein Gas-Kraftwerk, bei dem auch die entstehende Wärme etwa in der Industrie oder Nahwärmenetzen genutzt wird (Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen). Kohlekraftwerke schneiden hier deutlich schlechter ab, Wind-und Wasserkraft sowie Biomasse-Anlagen aber noch einmal deutlich besser.

Betrachtet man, wie Investitionen im Energiesektor am effizientesten eingesetzt werden sollten, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren, sind Gas-KWK-Anlagen am günstigsten. Wind und Biomasse liegen im Mittelfeld. Dann erst folgt die sehr kapitalintensive Atomenergie.

Das dürfte auch der Grund sein, warum von der viel beschworenen Renaissance der Atomkraft in Europa bis auf ein paar Ausnahme-Projekte noch wenig konkret zu sehen ist. Der erste Neubau eines AKW in Westeuropa startete 2005 in Finnland, Frankreich zog 2007 nach. In beiden Fällen wäre das ohne kräftige Unterstützung durch den Staat, etwa Bürgschaften oder Sonderkredite, gar nicht möglich. Allerdings diskutiert inzwischen auch Großbritannien neue Reaktoren. AKW-Pläne werden zudem in einigen der neuen EU-Staaten im Osten gewälzt, in den baltischen Staaten, in Polen, der Slowakei und Slowenien. Was davon finanzierbare Realität ist, muss sich erweisen.