Mittwoch, 16. April 2008

Französischer Umweltschützer soll Geheimnisse verraten haben /01.04.08

Von Karin Burghofer
Das AKW vom neuen Typ Europäischer Druckwasser-Reaktor (EPR), das eigentlich gegen alle Risiken gefeit sein sollte, scheint gefährliche Schwachstellen aufzuweisen. Weil der Sprecher des französischen Antiatom-Netzwerks Reseau Sortir du Nucleaire, Stephane Lhomme, ein entsprechendes Geheimgutachten zu Flugzeugabstürzen auf Atomkraftwerke veröffentlicht hat, droht ihm nun eine empfindliche Freiheitsstrafe.

Der französische Inlands-Geheimdienst DST hatte erst vor einer Woche Lhomme nach zehn Stunden Haft wieder auf freien Fuß gesetzt. Es sei möglich, daß er demnächst wegen Geheimnisverrats vor Gericht gestellt werde, hieß es jedoch. Lhomme war durch die für Spionageabwehr zuständige DST am letzten Dienstag einbestellt worden, weil bei ihm vor einem Jahr ein als „vertrauliche Verteidigungssache“ eingestuftes Dokument gefunden worden war. In dem Papier wird festgestellt, daß auch die neuen französischen EPR-Atomkraftwerke einem Absturz eines Linienflugzeuges nicht standhalten würden. Auch John H. Large, ein britischer Experten für Nuklearsicherheit, kritisierte, daß man bei den Sicherheitsfragen von falschen Annahmen ausgeht.

Der EPR zeichnet sich offiziell gegenüber früheren Reaktortypen vor allem durch ein verändertes Sicherheitskonzept aus. Nach Ansicht der Hersteller Siemens und Areva führt dieses Konzept zu einer etwa 10 mal geringeren Eintrittswahrscheinlichkeit für Unfälle sowie einem besseren Störfallmanagement gegenüber heutigen Druckwasserreaktoren. Eine 100-prozentige Sicherheit kann es jedoch für technische Systeme nie geben. Der erste EPR im finnischen Olkiluoto war ursprünglich für 2009 geplant, jedoch verzögert sich die Inbetriebnahme aufgrund von Auslegungsänderungen ständig, so daß die Inbetriebnahme derzeit frühestens 2011 stattfinden wird. Zudem sind die Baukosten bereits jetzt um 700 Millionen Euro höher als ursprünglich geplant.

Da die Atomlobby in der EU sehr mächtig ist, wird eine offene Diskussion der Sicherheitsprobleme offensichtlich nicht gewünscht. Fünf Jahre Gefängnis und Geldstrafe von 75.000 Euro drohen daher eventuell Lhomme. Denn bei der französischen Justiz ist vieles möglich. Der neue Reaktortyp ist neben Olkiluoto auch in Frankreich unweit der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague geplant. „Die Affäre um die Geheimhaltung brisanter öffentlicher Sicherheitsbelange zeigt beschämend die Gradwanderung zwischen Atomkraftnutzung und demokratischer Rechte mündiger Bürger.“, faßte ein Sprecher der atomkritischen Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannenberg (BI) zusammen. „Statt unseren Freund und Mitstreiter Stephane Lhomme zu kriminalisieren, sollte die öffentlich nachvollziehbare kritische Auseinandersetzung mit den riskanten Fakten der Atomenergienutzung betrieben werden.“, so der Sprecher. Im Bereich der BI liegt das umstrittene atomare Zwischen- und Endlager Gorleben.
Quelle:
Berliner Umschau