Freitag, 29. Mai 2009

Gorleben-Gutachter packt aus /22.04.09

Wissenschaftler von Bundesregierung unter Druck gesetzt. Linke fordert Aufklärung
Von Reimar Paul

Als der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) den Salzstock Gorleben im Jahr 1977 zum Standort für ein »Nukleares Entsorgungszentrum« (NEZ) benannte, ließ er sich weniger von fachlichen als von politischen Gründen leiten. Im dünn besiedelten Kreis Lüchow-Dannenberg, der wie ein Finger in die DDR hineinragte, würden die mehrheitlich brav CDU wählenden Leute schon nichts gegen die Atomanlagen haben – und gegen die versprochenen Arbeitsplätze schon gar nicht. Das Kalkül ging bekanntlich nicht auf. Eine Wiederaufarbeitungsanlage, Herzstück des geplanten NEZ, wurde nie gebaut. Und bis heute stellen sich im Wendland Tausende gegen Castortransporte quer.

Daß Gorleben aus geologischen Gründen nichts taugt, haben Atomkraftgegner immer wieder nachzuweisen versucht. Jetzt bekommen sie Schützenhilfe von einem der maßgeblich Beteiligten. Professor Helmut Röthemeyer, 1983 verantwortlicher Abteilungsleiter bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), schilderte in einem Zeitungsinterview seine damaligen Bedenken gegen ein Endlager in Gorleben. Bei der Auswertung der Bohrergebnisse hätten er und seine Kollegen feststellen müssen, daß das von einer eiszeitlichen Rinne durchzogene Gestein über dem Salzstock nicht in der Lage sei, »Kontaminationen auf Dauer von der Biosphäre zurückzuhalten«.

Die Wissenschaftler hätten dann auch die Schlußfolgerung ihres Gutachtens entsprechend gestalten wollen, sagte Röthemeyer. »Wegen des Erkundungsrisikos in Gorleben und aus Gründen der Akzeptanz des Standorts haben wir in den Bericht die Empfehlung hineingeschrieben, einen zweiten Standort zu untersuchen.« Vertreter des Bundeskanzleramtes und des Forschungsministeriums hätten die PTB jedoch zur Änderung ihres Gutachtens aufgefordert. »Es gab nichts Schriftliches, keine schriftliche Weisung, aber wir mußten das Gespräch klar als Weisung auffassen«, sagte Röthemeyer.

Die Partei Die Linke im niedersächsischen Landtag sprach am Dienstag von massivem politischen Druck auf beteiligte Wissenschaftler. Dieser Vorgang müsse sofort lückenlos aufgeklärt werden, fordert der umweltpolitische Sprecher Kurt Herzog. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg verlangte die Veröffentlichung der damaligen Unterlagen und Protokolle. Der Gorlebener Salzstock wird seit Ende der 1970er Jahre auf seine Eignung als Endlager für hochradioaktiven Müll untersucht. Während Union und FDP auf ein Ende des Moratoriums drängen, will Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) auch andere Standorte untersuchen lassen.

Quelle: JungeWelt