Freitag, 16. Januar 2009

Atomkraft schöngeredet. 9 Thesen gegen Atomenergie /16.01.09

Neun Thesen gegen Atomenergie:
AKW nutzen allein den Betreibern, ansonsten schaden sie der Umwelt, der Gesundheit und dem Staatshaushalt
Von Jürgen Rochlitz

Ist Atomenergie zu verantworten? Dieser Frage soll in neun Thesen nachgegangen werden. Allerdings brauche ich nicht die Spannung bei dieser Frage zu erhöhen, indem ich verschweige, daß ich zur ersten Generation der Grünen gehöre; für diese Partei im Mannheimer Gemeinderat, im baden-württembergischen Landtag und im Bundestag meine naturwissenschaftliche Sicht von Ökologie vertreten habe. Als Chemiker habe ich ganz in diesem Sinne schon früh die Auffassung vertreten, daß zur Energiegewinnung nur solche Methoden zum Einsatz kommen sollten, die nicht für den kriegerischen Gebrauch als Waffen geeignet sind. Das Thema ist heute aktueller denn je, gerade weil es von der sogenannten Finanzkrise, dem Wetterleuchten für den realexistierenden Kapitalismus, überschattet wird.

Da die CDU plant, die Atomenergie zum Wahlkampfthema zu machen, muß über Pro und Kontra diskutiert werden. CDU/CSU werden nicht müde zu verbreiten, der unter der SPD-Grünen-Regierung (1998–2005) ausgehandelte Atomausstieg müsse rückgängig gemacht werden. Aus ihrer Sicht entfällt nach dem Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (­IPCC, Zwischenstaatlicher Ausschuß für Klimaänderungen bei den Vereinten Nationen) von 2007 die Geschäftsgrundlage für den Ausstieg. Dieser warnt besonders eindringlich vor den Folgen einer unzureichenden Klimaschutzpolitik. Aber er wiederholt eigentlich nur alte Forderungen auf der Basis neuester klimatologischer Ergebnisse, nämlich die Notwendigkeit zur Reduktion der Treibhausgase um zirka 80 Prozent bis 2050. Da aber fast alle Regierungen weltweit seit 1992, seit dem Jahr des Klimagipfels in Rio de Janeiro, fast nichts zur entsprechenden Reduktion beigetragen haben, beginnt nun eine überstürzte Hektik.

Nachdem dann noch die atomunkritische Internationale Energieagentur (IEA) vor einer Abhängigkeit von russischem Erdgas gewarnt hatte, forderte eine Phalanx aus konservativen Politikern und Strommanagern längere Laufzeiten für die deutschen AKW. Nach der Explosion der Öl- und Gaspreise werden diese Forderungen populistisch aufgeblasen. Schließlich stehen Wahlen vor der Tür, und der normale Wähler durchschaut nicht so schnell, daß seiner teuren Autonutzung nicht mit einer längeren Laufzeit von AKW abgeholfen wird.

Die Atomlobby ist jedenfalls angesichts der Reaktorpläne in Asien und Brasilien in euphorischer Stimmung, wie sich auf der Jahrestagung »Kerntechnik« im Juni 2008 zeigte. Gerd Rosenkranz, Pressesprecher der Deutschen Umwelthilfe e. V., gab dieser Euphorie einen gehörigen Dämpfer: »Es ist noch nie in einem deregulierten Strommarkt ein neues Kernkraftwerk gebaut worden. Alle halten die Hand auf, der Staat soll Subventionen geben oder Abnahmepreise garantieren.« Das heißt: Wettbewerbsfähig ist die Technik also auch nach 50 Jahren nicht.

Ohne die gigantischen Subventionen in Forschung und Entwicklung und dann in die laufende Technik wäre der Bestand an AKW weltweit nicht zustande gekommen. Auf der anderen Seite ist es bemerkenswert, daß trotz dieser Subventionen die erneuerbaren Energien einen derart spektakulären Aufschwung genommen haben. »Bei der Energieversorgung geht es der Menschheit wie beim Klimaschutz: Weil sie jahrzehntelang bequem weitermachte wie bisher, ist die Krise jetzt nicht mehr abzuwenden – das Gebot der Stunde heißt ›Anpassung‹.

Also müssen mangels Alternativen die Restlaufzeiten der AKW notgedrungen verlängert werden. Das löst das Energieproblem aber genausowenig, wie ein höherer Deich das Erdklima rettet. Und es birgt die Gefahr, daß sich alle wieder für ein paar Jahrzehnte zurücklehnen – weil es bequem ist und der Strom ja sowieso aus der Steckdose kommt«, schreibt Alexander S. Kekulé, Mitglied in der »Schutzkommission beim Bundesminister des Innern«, am 9.7.2008 im Berliner Tagesspiegel.

Statt weitere Untätigkeit auf der Basis eines angeblich – mit AKW – gelösten Energieproblems zuzulassen, sollten jene Fakten beachtet werden, die schließlich in dieser oder jener Form beim Atomenergie-Ausstiegsbeschluß in Deutschland und beim Verzicht weiterer Länder auf Atomkraft auch Pate gestanden haben. Sie wurden dankenswerterweise im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom Diplomingenieur Eike Schwarz im Artikel »Streitfall Kernenergie« sehr sachkundig dargestellt, so daß ich hierauf häufig zurückgreifen konnte (www.eurosolar.de/de/images/stories/pdf/Schwarz_SZA_%204_2007.pdf).

These 1: Atomkraftwerke sind nicht zum Zweck des Klimaschutzes gebaut worden. Sie sollen den Betreibern zu besonders hohen Profiten verhelfen.

Vor allem, wenn die Kosten für die Reaktoren mehr oder weniger abgeschrieben sind, ist dies ihr alleiniger Zweck. Insbesondere die älteren Meiler, die in Deutschland nach dem Ausstiegsbeschluß von 2002 vom Netz gehen sollen, sind für die Energieversorgungsunternehmen reine Gelddruckmaschinen.

Die Behauptung »Atomkraftwerke arbeiten CO2-frei« ist ein in der Debatte häufig zu hörendes Märchen. Bei der Berücksichtigung der für den Uranabbau und die Brennelementeherstellung benötigten Energie kommt eine Studie des Öko-Instituts auf eine Emission von 31 bis 61 Gramm CO2 pro Kilowattstunde je nach Urangehalt des Ausgangsrohstoffs. Ein kleines Gaskraftwerk mit Kraftwärmekopplung kommt auf ähnliche Werte. Für eine Windanlage müssen 23 Gramm pro Kilowattstunde gerechnet werden, 1000 Gramm sind es bei der Verstromung von Kohle. Allein schon aus Kosten- und Effizienzgründen empfiehlt es sich, zum Klimaschutz dezentrale Gas- und Biogaskraftwerke mit Kraftwärmekopplung zu bauen, nicht aber Atomkraftwerke.

Sollte aus politischen Gründen die Atomenergie einen signifikanten Beitrag zur Begrenzung der CO2-Emissionen leisten, müßte ihr heutiger Anteil von 17 Prozent weltweit an der Stromerzeugung mindestens gehalten werden. Was bedeutet das? Die Stromerzeugung in Deutschland basiert auf den Säulen Atomenergie (26 Prozent), Braunkohle (24 Prozent) und Steinkohle (21 Prozent). Aber auch Erdgas und erneuerbare Energien tragen zu je zwölf Prozent substantiell zur Stromerzeugung bei. Es werden zwölf AKW mit 17 Reaktoren und einer installierten elektrischen Gesamtleistung von 21 Gigawatt betrieben. Dadurch werden im Vergleich zur konventionellen Stromerzeugung jährlich 150 Millionen Tonnen CO2 vermieden, was etwa 17 Prozent der deutschen CO2-Emissionen entspricht. Weltweit waren Ende 2006 210 Atomkraftwerke mit 435 Kernreaktoren in 31 Ländern mit einer Gesamtleistung von rund 367 Gigawatt in Betrieb. 29 Reaktorblöcke befinden sich noch im Bau, davon zehn seit mehr als 15 Jahren.

Die IEA schätzt, daß sich der weltweite Strombedarf bis 2030 wenigstens verdoppeln wird. Wenn dabei mindestens der heutige Anteil der Atomenergie an der weltweiten Stromerzeugung zur Begrenzung der CO2-Emissionen beibehalten werden soll, müßten in diesem Zeitraum zirka 450 weitere Atomreaktoren gebaut werden. Damit Atomkraft einen noch wirksameren Beitrag zum Klimaschutz leisten könnte, müßten bis 2050 nach IEA gar 1300 neue AKW ans Netz gehen – angesichts der folgenden Fakten ein Horrorszenario: Der Bedarf an Kernbrennstoff für diese insgesamt fast 900 Atomreaktoren bis 2030 wäre so groß, daß die bei heutigem Verbrauch auf etwa 50 bis 70 Jahre geschätzten Vorräte dann schon nach etwa 35 Jahren erschöpft wären. Wollte man zur Reduktion der CO2-Emissionen noch die Niedertemperaturwärmeversorgung für Raumheizung und Warmwasserversorgung mit Hilfe von Strom und der Atomkraft bewältigen, würden zusätzliche 340 Atomkraftwerke mit 1300 Megawatt zur Bereitstellung der dazu nötigen 38 Prozent des Endenergieverbrauchs benötigt.

Die von einigen »Visionären« geplanten vielen kleineren Atomheizwerke in der Nähe der Verbrauchsschwerpunkte verbieten sich schon allein aus Kosten- und Sicherheitsgründen. Die Alternativen Wärmedämmung, effiziente Energienutzung und Solarkollektoren sind mit Abstand kostengünstiger.

Der »Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltfragen« der Bundesregierung beschrieb in einem Bericht den Klimawandel als »Kassandra«-Risikotyp – eine Gefahr, die in Zukunft sicher eintritt – und die Atomkraft als »Damokles«-Risikotyp – eine ständige Gefahr, bei der niemand den Zeitpunkt der drohenden Katastrophe vorhersagen kann. Die Wissenschaftler sahen keinen Sinn darin, zur Verringerung des »Kassandra«-Risikos ein steigendes »Damokles«-Risiko in Kauf zu nehmen. Zur Bekämpfung des Klimawandels empfehlen sie risikoarme Maßnahmen wie Energiesparen und vermehrten Einsatz regenerativer Energien. Die weitere Entwicklung dieser risikoärmeren Maßnahmen würden durch den Zubau von leistungsstarken und zentralistischen AKW massiv behindert.

Fazit: Atomstrom zum Klimaschutz ist ungeeignet und nicht zukunftsfähig.

Andererseits können die Stromkonzerne bei der Verlängerung der Laufzeiten um acht auf 40 Jahre, mit zusätzlichen Gewinnen von 65 Milliarden Euro rechnen (bei einem Strompreis von nur sieben Cent pro Kilowattstunde).

These 2: Atomstrom ist keinesfalls billig, weil er hoch subventioniert wurde und wird. Zudem wird er politisch billiggerechnet, weil wesentliche Folgerungen aus dem System seiner Erzeugung wie angemessene Haftpflichtversicherungen und Besteuerungen politisch und mate­riell nicht gezogen werden.

Die Atomenergie ist aufgrund ihrer hohen Systemkosten, die sich weitgehend aus den in allen Stufen ihrer Nutzung notwendigen außerordentlich hohen Sicherheitsanforderungen ergeben, auch bei Berücksichtigung des gestiegenen und weiter steigenden Ölpreises, für eine umfassende Energieversorgung mit Abstand zu teuer.

Der in Finnland im Bau befindliche weltweit wichtigste AKW-Prototyp wurde mit drei Milliarden Euro kalkuliert; nach weit über einem Jahr Rückstand bei der Fertigstellung wird mit doppelt so hohen Kosten gerechnet. In den USA gab es in den letzten Jahren sieben Anträge für den Bau neuer AKW. Ein möglicher Betreiber hat seinen Antrag zurückgezogen, weil die Aktionäre mit einem Preis zwischen zwölf und 18 Milliarden US-Dollar nicht einverstanden waren. Der französische Druckwasserreaktor in Flamanville wird sicherlich auch deutlich teurer als geplant. Wegen Fehlern beim Mischen des Betons traten Risse im Fundament auf, außerdem gab es Probleme beim Schweißen des Stahlmantels und der Schutzhülle. Daraufhin legte die französische Atomaufsicht die Baustelle im Sommer 2008 für zwei Monate still.

Da Atomkraftwerke grundsätzlich hochzentralisierte Energiesysteme für die Grundlast darstellen, also für die Netzbelastung, die während eines Tages in einem Stromnetz nicht unterschritten wird, weisen sie alle Nachteile dieser Zentralisierung auf. Sie besitzen geringe Flexibilität bei der Anpassung am sich verändernden Bedarf; zwangsläufig werden für sie große Transport- und Reservekapazitäten vorgehalten. AKW sind also konventionelle Grundlastkraftwerke mit entsprechenden Verteilnetzen. Sind diese Kapazitäten erst einmal geschaffen, geht es betriebswirtschaftlich um ihre Vollauslastung.

Ein Festhalten an der Atomenergie ist daher die zentrale Barriere für einen effizienten Umgang mit Energie und die Nutzung erneuerbarer Energien. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist Frankreich: Obwohl das Land mehr als fünfmal längere Küsten mit stabileren Windverhältnissen verfügt als Deutschland, wird dort kaum Strom aus Windkraft erzeugt.

Schließlich sorgen politische Rahmenbedingungen dafür, daß Atomstrom nicht unendlich teuer wird. Es werden keinerlei Steuern und Abgaben auf den Atombrennstoff erhoben – ganz im Gegensatz zu den übrigen Energierohstoffen. Die Haftungsregelungen sind so gestaltet, daß der Staat im wesentlichen für einen größten anzunehmenden Unfall mit Tausenden Toten und künftig unbewohnbaren Landstrichen einsteht – wie 1986 in Tschernobyl. Bei einem katastrophalen Unfall stehen von seiten der Betreiber zur Schadensregulierung 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung; das sind bei möglichen eine Million Betroffenen lediglich 2500 Euro pro Geschädigten.

Von der Gesamthaftungssumme sind lediglich 256 Millionen Euro durch Haftpflichtversicherungen abgedeckt; der große Rest von 2,244 Milliarden Euro wird durch eine Solidarvereinbarung der Muttergesellschaften der AKW-Betreiber abgedeckt. Wenn man an die finanziellen Auswirkungen des 1500 Kilometer entfernten Unfalls in Tschernobyl in Höhe von rund einer halben Million Euro auf Deutschland erinnert, werden die derzeit für einen Unfall zur Verfügung stehenden Summen zu Peanuts. Die Betreiber der AKW und die Nutzer ihres Atomstroms, also wir Bürgerinnen und Bürger, könnten die eigentlich fällige Haftpflichtversicherung für ein solches, möglicherweise seltenes, aber keineswegs auszuschließendes Ereignis nicht tragen.

Selbst für einen weniger dramatischen Atomstörfall wird nicht vorgesorgt. Die Kliniken im näheren Umkreis der AKW Biblis A und B, auch der nicht weit davon entfernten Philippsburg I und II, sind überhaupt nicht dafür eingerichtet, plötzlich eine größere Zahl von Strahlenverletzten aufzunehmen. Man kann nur vermuten, daß für solche Fälle eine Billiglösung vorgezogen wird: durch Einsatz von Polizei, Bundeswehr und Feldlazaretten.

Fazit: Ein größter anzunehmender Unfall ist eigentlich unbezahlbar.

These 3: Durch das frühzeitige Abschalten der älteren Atommeiler entsteht keine Versorgungslücke, wie sie von der Atomlobby herbeigeschrieben wird.

Der angebliche Engpaß ist angesichts des anhaltenden Exportüberschusses deutschen Stroms von 19,8 Milliarden Kilowattstunden im Jahr 2007 und 14,4 Milliarden allein im ersten Halbjahr 2008 bestenfalls ein Beleg für die gelungene PR der Atomlobby. Es muß zudem zur Kenntnis genommen werden, daß seit 1991 der Primärenergieverbrauch um drei Prozent zurückgegangen ist. Das Bruttoinlandsprodukt stieg im gleichen Zeitraum um 46 Prozent. Die frühere Kopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch ist daher aufgelöst. Die alten Märchen von den ausgehenden Lichtern, die einen weiteren Zubau von AKW in den 70er Jahren begründen sollten, gehören endgültig der Vergangenheit an.

Die träge Atomenergie ist angesichts der tages- und jahreszeitlichen Schwankungen von Stromnachfrage und -angebot nicht in der Lage, flexibel auf den unterschiedlichen Bedarf zu reagieren. Dabei mangelt es nicht an zukunftsfähigen Alternativen, die mit diesem Sachverhalt besser umgehen können: Eine Kombination von erneuerbaren Energien einschließlich grundlastfähiger Biomasse und Geothermie, dezentrale Blockheizkraftwerke und hocheffiziente Gas- und Dampfturbinen, verbunden mit intelligenten Steuerungs- und Speichertechnologien.

Schließlich fehlt noch der Startschuß für eine breite Effizienzrevolution beim Stromverbrauch: eingliedrige Strompreise (keine Spaltung in Grund- und Arbeitspreis), zeitvariable lineare Strompreise (also abhängig von der jeweiligen Tageslast) und Kennzeichnungspflichten und Effizienzvorschriften für alle Geräte und Apparate.

Die Sicherheit einer wirtschaftlichen Entwicklung hängt direkt mit der deutschen Importabhängigkeit von Uran, Kohle, Öl und Gas zusammen. Eine frühzeitige Unabhängigkeit wenigstens von Uranimporten würde der aktuellen kriegsfreudigen Regierung die Beteiligung an den möglichen Verteilungskonflikten auf diesem Sektor ersparen. Daher ist eine wachsende dezentrale und alternative Versorgung vorrangig auf Basis der heimischen Energieträger Wind, Biomasse, Solar, Wasser und Erdwärme unumgänglich.

Jedes Festhalten an dem Fossil Atomenergie bedeutet eine Verlangsamung des Übergangs zu diesen zukunftsfähigen Energieträgern und führt schließlich doch zu einer Versorgungslücke, nämlich dann, wenn die Uranvorräte zu schwinden beginnen. Im übrigen behindert das Festhalten an der Atomenergie auch die Entwicklung der Potentiale zur effizienteren Nutzung und Einsparung von Strom.

Jedenfalls belegen auch die dem Bundeswirtschaftsministerium – das im übrigen am lautesten die Stromlücke an die Wand malt – vorliegenden Studien, daß wegen hoher geplanter Kohlekraftwerkskapazitäten und wegen des beträchtlichen Zuwachses an Biomassekraftwerken keine Erzeugungsengpässe zu erwarten sind. Im Gegenteil: »Politische Diskussionen und die Ungewißheit über den Kernenergieausstieg (...) wirken generell investitionshemmend«, so in der Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung formuliert.

Fazit: Die Atomlobby versucht mit der Lüge von der Versorgungslücke, eine angeblich notwendige Renaissance der Atomenergie herbeizureden; dies darf nicht aufgehen.

These 4: Laufende Atomkraftwerke sind im Normalbetrieb gefährlich und emittieren gesundheitsschädliche Stoffe.

Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen und aller Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung sind radioaktive Emissionen in geringem Umfang unvermeidlich bzw. anders ausgedrückt: Eine Nullemission ist technisch zu aufwendig und damit zu teuer. Die Bundesregierung läßt dazu ausführen: »Über das Risiko niedriger radioaktiver Strahlenbelastung ist immer noch so wenig bekannt, so daß es verfrüht wäre, die Kernenergie schon jetzt weltweit auszubauen.«

Ein AKW nutzt zwar die Atomenergie grundsätzlich immer in geschlossenen Kreisläufen, doch die entstehenden radioaktiven Edelgase und das flüchtige radioaktive Jod müssen aus dem Kreislauf entfernt werden. Schließlich kann über Sicherheitsventile und Leckagen radioaktiv kontaminierter Dampf austreten. Auch bei Wartungsarbeiten können die radioaktiv kontaminierten Kreisläufe geöffnet werden. All die sich im Containment, einem Sicherheitsbehälter, ansammelnden radioaktiven Gase und Dämpfe werden über Filter nur teilweise zurückgehalten, eine restliche Emission wird kontrolliert durch den dafür vorgesehenen Schornstein an die Außenluft abgegeben.

Die Beurteilung der Schädlichkeit derartiger Emissionen ist wissenschaftlich umstritten. Zum einen gibt es bisher noch keine über mehrere menschliche Generationen reichenden Erkenntnisse darüber, wie diese an sich geringen Strahlenbelastungen langfristig auf Menschen und die Biosphäre wirken. Zum anderen stehen die Experten, die über derartige Auswirkungen meinungsbildend urteilen, in der Regel beruflich der Atomenergiewirtschaft nahe; ihr wissenschaftliches Erkenntnisinteresse und ihr berufliches Interesse wird daher gegeneinander abgewogen.

Dies tritt besonders kraß in Erscheinung bei der Beurteilung der signifikanten Häufigkeit von Leukämien im Umkreis von Atomkraftwerken. Dazu muß in Erinnerung gerufen werden, daß zur Auslösung von Mutationen und toxischen Veränderungen von Zellkernen lediglich ein einziges Strahlenquant (Teilchen der radioaktiven Strahlung) pro Zelle ausreicht. Allein auf dieser Basis ist den niedrigen Dosen im Umkreis von AKW eine besondere Beachtung zu schenken.

Auch wenn zwischen den berechneten Strahlendosen im Umkreis von AKW im bestimmungsgemäßen Betrieb und den bei Kindern aufgetretenen Leukämiefällen bisher noch kein direkter Zusammenhang gefunden worden sein soll, kann ein solcher weder bei den deutschen AKW noch weiteren 17 internationalen Studien zufolge gänzlich ausgeschlossen werden. So bleibt das traurige Faktum, daß das Risiko für Kinder unter fünf Jahren, an Leukämie zu erkranken, zunimmt, je näher ihr Wohnort an einem AKW liegt. Das Strahlenrisiko ist bei Kleinkindern besonders hoch, und das Wissen um die Wirkung von im Körper aufgenommenen Radionuklide ist unzureichend.

Aber auch über den Abwasserweg kann erhöhte Radioaktivität freigesetzt werden: So liefen im Juli aus dem AKW Tricastin in Südfrankreich 30000 Liter radioaktiver Uranlösung aus. Ein Teil davon gelangte in zwei Flüsse: Bei Avignon mußte die Verwendung von Wasser untersagt werden, verboten wurden die Bewässerung von Feldern, Angeln und Wassersport. Schließlich sei daran erinnert, daß die beiden Atommeiler Brunsbüttel und Krümmel, die im vergangenen Jahr wegen Zwischenfällen (Trafobrände, falsch gesetzte Dübel usw.) abgeschaltet wurden, immer noch nicht am Netz sind.

Fazit: Auch weit unterhalb der Schwelle eines katastrophalen Unfalls birgt die AKW-Technik gesundheitliche Risiken, die nur durch einen Stopp dieser Technik vermieden werden können.

These 5: Atomkraftwerke stellen ein unkalkulierbares, unvertretbares und überhaupt nicht versicherbares Risiko dar.

In der Zweiten Enquêtekommission des Bundestags zum Thema »Schutz des Menschen und der Umwelt« wurde vom Bremer Nachhaltigkeitsforscher Arnim von Gleich und mir eine modifizierte »Fünfte Nachhaltigkeitsregel« eingefordert und in einem Minderheitenvotum formuliert: »Gefahren und unvertretbare Risiken für die menschliche Gesundheit, für den natürlichen Bestand der Arten und ihre Diversität sowie für die Umwelt als Ganzes sind zu vermeiden.« An dieser Forderung hat sich auch nach zehn Jahren nichts geändert; sie ist vielmehr die empirische Erfahrung aus den Unfällen von Tschernobyl 1986 in der Ukraine und Three Mile Island bei Harrisburg in Pennsylvania, USA (1979).

Der öffentliche Streit geht um die Begriffe »sicher« und »Risiko«. Unter Risiko ist das Produkt aus Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit zu verstehen. Die Atomanlagen sollen so gestaltet sein, daß die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Atomunfalls möglichst klein ist und das Schadensausmaß vorgegebene Grenzwerte nicht überschreitet. Durch den Unfall in Tschernobyl ist bewiesen, daß bei einem Unfall mit Kernschmelze das Schadensausmaß gigantisch und kontinental sein kann. Da hilft uns die Einhaltung einer geringen Eintrittswahrscheinlichkeit nicht viel. Denn diese Größe sagt nichts über den Eintrittszeitpunkt aus. Das heißt, ein solcher Unfall kann jederzeit, auch heute eintreten.

Unter diesen Aspekten können wir ein Atomkraftwerk nicht als sicher betrachten, selbst wenn es atomrechtlich als sicher bezeichnet wird. Denn dies heißt ja nur, daß die theoretische Berechnung der nach Stand von Wissenschaft und Technik zu unterstellenden Unfallmöglichkeiten (Störfallszenarien) ergibt, daß vorgegebene Grenzwerte beim Schadensausmaß nicht überschritten werden. Wenn AKW diese – weder in der Öffentlichkeit noch in Parlamenten ausreichend diskutierten – Grenzwerte einhalten, gelten sie im atomrechtlichen Sinn als sicher und dürfen betrieben werden.

1994 ist das Atomgesetz dahingehend novelliert worden, daß bei neuen AKW die Auswirkungen auch schwerster Unfälle auf das Kraftwerksgelände begrenzt bleiben müssen. Diese Forderung erfüllen die deutschen AKW nicht. Daher verbieten sich auch Laufzeitverlängerungen. Ginge es allein nach Sicherheitsgesichtspunkten, müßten sämtliche AKW sofort abgeschaltet werden.

Auch wenn die meisten sicherlich wissen, warum AKW so gefährlich sind und gigantische Sicherheitsvorkehrungen gegen das Versagen der Barrieren getroffen werden müssen, sei kurz ausgeführt: Die in Reaktoren genutzte Kernspaltung setzt nicht nur eine ungeheure Wärmemenge frei, sondern es entstehen dabei radioaktive Spalt- und Aktivierungsprodukte, die nach einiger Betriebszeit in ihrer Menge und ihrer biologischen Wirkung die von Atomwaffen um ein Vielfaches übersteigen. Deswegen muß strengstens ausgeschlossen werden, daß diese Stoffe in die Biosphäre gelangen.

Zur Sicherheit gehört auch, daß die sogenannte Nachzerfallswärme zuverlässig aus dem Reaktor abgeführt werden muß; andernfalls droht eine Kernschmelze, die den gesamten Reaktor zerstören kann und eine katastrophale Freisetzung radioaktiver Stoffe verursacht. Ein solches hochkomplexes Kraftwerkssystem mit höchster Sicherheit zu konstruieren und zu betreiben, ist eine beinahe unlösbare Aufgabe.

Als Mitglied der Kommission für Anlagensicherheit, die sich mit Chemieanlagen befaßt, ist mir vertraut, wie oft diese Anlagen nach- und fahrlässig konstruiert, gewartet und betrieben wurden bzw. auch werden. Zwar führen Lernprozesse und konsequente Folgerungen aus Unfällen und kritischen Ereignissen hin und wieder zu einem verbesserten Sicherheitsmanagement. Doch Personalabbau in den Firmen und in den Kontrollinstanzen führen zu weniger Sicherheit. Zum Glück sind viele gefährliche Vorkommnisse glimpflich verlaufen, sogar der Brand in einer Raffinerie in Köln in diesem Frühjahr und eine große Explosion bei London im Dezember 2005, die allerdings zur Zerstörung mehrerer unbewohnter und unbenutzter Bürogebäude führte. Menschliches und technisches Versagen können also immer wieder zu großen Unfällen führen.

Im Falle der Atomtechnik darf es das aber grundsätzlich nicht geben; ein solcher Ausschluß von technischem Versagen ist jedoch unmöglich. Daher ist Atomtechnik prinzipiell nicht zu verantworten. Eine Reihe von Vorfällen in den Atomkraftwerken zeigen, daß immer wieder menschliches und technisches Versagen zu verzeichnen ist; ich erinnere an die Vorfälle in Tricastin, Brunsbüttel und Krümmel. Auch hier hat die Menschheit, wie bei den Chemieanlagen, Glück gehabt, daß die Auswirkungen nicht katastrophal waren.

Das Sicherheitskonzept bei Atomanlagen beruht in seinem Grundsatz darauf, daß mehrere voneinander unabhängige passive Sicherheitsbarrieren und zahlreiche aktive Sicherheitssysteme vorgesehen werden. Damit soll erreicht werden, daß beim Versagen der einen oder anderen oder gar von zwei Sicherheitsbarrieren mindestens noch eine weitere funktionsfähig bleibt. Die aktiven Sicherheitssysteme, die Kühlsysteme, diejenigen, die zum Abschalten des Reaktors dienen, sind redundant, also mehrfach vorhanden, und soweit wie möglich diversitär angelegt, d. h., auf verschiedenen Prinzipien beruhend. Das Funktionieren dieses hochkomplexen Systems von Sicherheitseinrichtungen läßt sich wegen dieser Komplexität nicht mit absoluter Gewißheit garantieren.

Die Darstellungen zur Berechnung und Handhabung großtechnischer Risiken setzen im Grunde einen zu jeder Zeit unfehlbaren, stets, wie geplant, rational und korrekt handelnden Menschen – möglichst sogar ohne Gefühlsregungen – voraus. Derartige Menschen gibt es in Wirklichkeit nicht, auch wenn das Betriebspersonal sehr intensiv geschult wird und sein Qualifikationsstand hoch ist. Daher kann das sogenannte Mensch-Maschine-System eine eigene dynamische Fehlersystematik mit nicht vollständig überschaubaren Möglichkeiten und Wechselwirkungen entwickeln. Im Ergebnis verhindert dies eine eindeutige Berechnung des Risikos. Das Risiko wird also – zusätzlich zu den bereits aufgezeigten methodischen Unzulänglichkeiten – wegen des nicht prognostizierbaren Einflusses des Menschen letztlich unberechenbar.

So ist der Unfall mit teilweiser Kernschmelze im AKW Three Mile Island durch Fehlhandlungen des Bedienungspersonals zumindest verschlimmert worden. Sogar bewußtes Fehlverhalten ist, wie Tschernobyl gezeigt hat, nicht auszuschließen. Beim Störfall im AKW Brunsbüttel 1978 hatte die dortige Bedienungsmannschaft sämtliche drei Kanäle des Reaktorschutzsystems unwirksam gemacht, damit sich der Reaktor nicht wegen einer Störung selbsttätig abschaltete, die im nachhinein als verhältnismäßig geringfügig beurteilt wurde.

Zu diesen systemimmanenten Sicherheitsschwächen kommen intelligente Sabotage und Terrorismus. Hiergegen gibt es auch bei aufwendigster Überwachung keinen absolut sicheren Schutz, auch nicht dann, wenn man versucht, den Menschen vollständig aus dem Prozeß herauszunehmen.

Schließlich dürfen mögliche Flugzeugabstürze für AKW nicht zum Unfall führen, für die einige ältere Reaktortypen überhaupt nicht bzw. neuere nur unzureichend ausgelegt sind. Wie unzulänglich Sicherheitsberechnungen sind, zeigt der Fall des größten japanischen AKW, das im vergangenen Jahr durch ein Erdbeben beschädigt worden und seitdem abgeschaltet ist.

Es kann nicht gegen alle nach wissenschaftlichen Erkenntnissen vorstellbaren Unfallabläufe Vorsorge getroffen werden, sondern es wird vorzugsweise nach den im Vergleich dazu auch technisch möglichen und wirtschaftlich vertretbaren Lösungen gesucht. Der getätigte Sicherheitsaufwand ist bislang immer das Ergebnis einer Abwägung gewesen. Es gibt daher auch prinzipiell keinen absoluten Vorrang der Sicherheit vor der Wirtschaftlichkeit.

Die Darlegungen zeigen, daß das eigentliche Problem der Risikobegrenzung in der praktisch unendlichen Vielfalt der Fehlermöglichkeiten und der dazu relativen Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit liegt.

Fazit: Es gibt keine Fehlerfreiheit. Damit gibt es auch kein sicheres Atomkraftwerk. Und je mehr es davon weltweit gibt, um so wahrscheinlicher wird es, daß ein katastrophaler Fehler begangen wird oder ein katastrophales Versagen eintritt – jetzt oder schon morgen.

These 6: Die Endlagerung des hoch- und mittelradioaktiven Endprodukts der Atomspaltung ist bisher völlig ungeklärt und wird es auch noch eine Zeitlang bleiben.

Nirgendwo auf der Welt ist bisher die Entsorgung radioaktiver Abfälle gelöst. Sie fallen beim Betrieb der AKW vor allem als abgebrannte Brennelemente an, aber auch als radioaktiver Stahl- und Betonschrott beim Abriß ausgedienter Atomreaktoren. Außerdem entstehen radioaktive Abfälle bei der Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente, wenn das in ihnen gebildete Plutonium für die Herstellung neuer Brennelemente oder von Atomwaffen gewonnen werden soll. Hierbei fallen die besonders problematischen hochradioaktiven Abfälle in flüssiger Form an. Diese Abfälle werden bisher in oberirdischen Tanks gelagert, die zur Abführung der entstehenden Zerfallswärme ununterbrochen gekühlt werden müssen. Diese Tanks stellen ein weiteres sehr großes Gefahrenpotential der nuklearen Abfallwirtschaft dar.

Radioaktive Abfälle können über Millionen Jahre Strahlung abgeben, weshalb sie nach menschlichen Maßstäben »ewig« von der Biosphäre ausgeschlossen werden müssen. Außerdem geben sie in großem Umfang Zerfallswärme ab, die über Jahrzehnte sicher abgeführt werden muß. Deswegen sind die Anforderungen an die Eigenschaften eines Endlagerstandorts sehr hoch, was die Eignung potentieller Stätten stark einschränkt.

In Deutschland ist die Endlagerung in tiefen geologischen Formationen vorgesehen. Für besonders geeignet hielt man bis vor kurzem tiefe Einlagerungen in Salz- oder Tonformationen oder in Granitgestein mit ausreichender Tonüberdeckung. Nach dem Bekanntwerden der skandalösen Vorgänge im Erkundungsbergwerk Asse für schwach- und mittelradioaktiven Müll muß diese Einschätzung revidiert werden. In Asse wurden schwach- und mittelradioaktive Abfälle eingelagert, darunter auch Abfälle mit Kernbrennstoffen.

Seit 1988 treten Salzlösungen aus dem Deckgebirge im Umfang von mittlerweile zwölf Kubikmetern pro Tag in den Grubenbau aus. Im Zeitraum zwischen 1995 und 2004 mußten die starken Verformungen des Deckgebirges und in den Gruben durch Verfüllung mit Salzabbaumassen erfolgen. Offenbar wurden die abgelagerten Gebinde durch Korrosion und Beschädigung für Radioaktivität durchlässig. Was immer dazu geführt hat: In diesem Jahr wurde bekannt, daß radioaktiv kontaminierte Salzlösungen auftreten, mit denen ohne Genehmigungsgrundlagen umgegangen wurde.

Salzbergwerke, mit der Gefahr von Bergstürzen und von Wassereinbruch wie in Asse und Morsleben, wie sicherlich auch in Gorleben, können nicht mehr für die Endlagerung in Frage kommen. Es ist daher ein »Glück«, daß der politische Konsens von 1979, in Gorleben ein Endlager für hochradioaktive Abfälle zu errichten, mittlerweile aufgekündigt wurde.

Fazit: Bevor bei der Entsorgung keine durchgreifenden und glaubwürdigen Fortschritte erreicht worden sind, verbietet sich nicht nur der Weiterbetrieb von AKW, sondern grundsätzlich die dauerhafte Nutzung der Atomenergie.

These 7: Zivile Atomanlagen sind die Einstiegsdroge für die militärische Nutzung; die Weiterverbreitung von Know-how und Material zum Bombenbau läßt sich nicht kontrollieren.

Die politisch geforderte Trennung zwischen militärischer und ziviler Nutzung der Atomenergie ist technologiebedingt nicht möglich. Daher dürfte sich auch in Zukunft kaum verhindern lassen, daß es weiteren Staaten gelingt, auf der Basis der zivilen Nutzung Atomwaffen zu entwickeln. Denn für die Brennstoffversorgung der AKW werden auch heute noch die für die Atombombe entwickelten Technologien genutzt. Die Nutzung der Atomenergie in Leichtwasserreaktoren ermöglicht auch die Herstellung von Kernbrennstoffen für Atombomben.

Um diesen Gefahren zu begegnen, wurde 1968 der Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet. Er verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, ihre Atomenergieaktivitäten der Kontrolle der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) zu unterstellen. Diese führt quasi Buch über die im Umlauf befindlichen Mengen an Atombrennstoffen.

Der Geburtsfehler dieses Kontrollinstruments ist die Tatsache, daß die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges und China, also die Vetomächte des UN-Sicherheitsrats, ihre für militärische Aktivitäten genutzten Anlagen dieser Einrichtung nicht unterstellt haben; sie sind zudem auch nicht der vereinbarten Abrüstungsverpflichtung gefolgt. Dennoch bedeutet diese Vertragssituation, daß die Atomwaffenstaaten die weltweite Atombrennstoffversorgung kontrollieren. Mit der politischen Folge, daß auf diese Weise auch die Preise für Atombrennstoff kontrolliert werden können und daß besondere »Schützlingsstaaten« der USA entweder heimlich, wie Israel und Pakistan, oder jetzt sogar per Vertrag mit Indien bei der Entwicklung der Atombombe unterstützt wurden.

Andererseits wurde bzw. wird Staaten wie Irak und Iran das Recht auf friedliche Nutzung der Atomenergie mit der Unterstellung aberkannt, sie entwickelten in den geplanten Atom­anlagen bombenfähiges Material. So braucht man sich nicht zu wundern, daß zahlreiche Schwellenländer den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnen, weil sie in ihm eine moderne Form des ­Kolonialismus sehen.

Schließlich bleibt zu erwähnen, daß Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy seit seinem Amtsantritt in die Atomoffensive gegangen ist und Algerien, Libyen, Dubai, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Marokko die Lieferung von Atommeilern angeboten hat.

Fazit: Das einzige Mittel, die militärischen Optionen der Atomenergie auszutrocknen, ist die weltweite Einstellung ihrer zivilen Nutzung, kombiniert mit einer Verschrottung sämtlicher Atomwaffen.

These 8: Die gesamte Produktionskette vom Uranerzabbau über die Urangewinnung und -anreicherung bis zur Energieerzeugung ist auf allen Stufen hochgefährlich, gesundheitsschädlich und im Grunde zerstörerisch.

Nicht nur in Ländern wie Australien, Brasilien und den USA wird Uranerz abgebaut; in Deutschland gab es den Abbau auch; die Sanierung der DDR-Anlagen in Thüringen hat immerhin sechs Milliarden Euro gekostet. Erst kürzlich sind Zahlen über die Radon-Geschädigten in Thüringen und in Sachsen publiziert worden. Radon ist das radioaktive Edelgas, das in Gemeinschaft mit Uranvorkommen eine, zusätzlich zu den Stäuben, wesentliche gesundheitliche Belastung vor Ort darstellt.

Das Bundesamt für Strahlenschutz hat für die nach eigenen Angaben weltweit größte Studie zu diesem Thema 59000 Bergleute der ehemaligen Uranerzbergbau-Betriebe in Thüringen und Sachsen erfaßt. 14646 von ihnen sind inzwischen mit bekannter Todesursache gestorben. Von dieser Gruppe starben 2388 an Lungenkrebs, von denen wiederum 2201 dem Edelgas Radon ausgesetzt waren. Bei diesen sei es zudem gehäuft zu Magen-, Leber- und Mundhöhlenkrebs gekommen.

Die Probleme beim Uranabbau und der Herstellung der Brennstäbe sind jedoch vielfältiger und weitreichender. Ein Reaktor braucht pro Jahr rund 30 Tonnen Brennelemente. Für deren Herstellung werden 300 Tonnen des hochgiftigen Zwischenprodukts Uranhexafluorid benötigt. Dies wiederum wird aus Tausenden Tonnen Uran­erz gewonnen.

Man bedenke: Gegenwärtig nutzt man Abbaustätten, in denen das Uran mindestens in Konzentrationen von 0,1 bis 0,5 Prozent des abgebauten Erzes (ein bis fünf Kilogramm einer Tonne Erz) vorliegt. Und dieses gemessen an anderen Rohstoffen äußerst niedrig konzentrierte Erz enthält das mit 99,27 Prozent für die Atomtechnik untaugliche U238 und lediglich 0,72 Prozent des spaltbaren U235-Isotops. Das Erz muß also nicht nur aufbereitet, sondern das U235-Isotop muß auch angereichert werden. Bei der Erzaufbereitung entstehen arsen- und uranhaltige Schlämme, die in riesigen, oft schlecht gesicherten Speicherbecken gelagert werden.

Untertage drohen den Arbeitern bei schlechter Belüftung Lungenkrebs und andere Atemwegserkrankungen, denn hier wird das schon erwähnte Radon frei. Übertage drohen dieselben und ähnliche Krankheiten, weil hier die Belastung durch radioaktive Stäube bei unzureichenden Schutzausrüstungen zu hoch ist. Aber nicht nur die Arbeiter sind von diesen Krankheiten bedroht, sondern die in der Nähe ansässige Bevölkerung ebenso. Denn nicht zu unterschätzen sind die Abfallmassen mit dem abgereicherten Uran, die ihre natürliche Radioaktivität besitzen.

Die Bevölkerung in der Nachbarschaft einer Uranmine muß noch dazu in Kauf nehmen, daß ihnen ihr Land meist widerrechtlich genommen wurde. In Kanada, Australien, Brasilien, Niger und Namibia sind es sogar Reservate der Ureinwohner, die auf der Suche nach dem strahlenden Gold geplündert werden. Durch die gigantischen Mengen radioaktiven Staubs werden deren Heimatregionen weiträumig verstrahlt, durch die Anlage der Minen wird ihnen ihr meist heiliger Boden geraubt.

In Namibia sind die beiden in der Wüste liegenden Uranminen wegen ihres gigantischen Wasserbedarfs für die Austrocknung unterirdischer Wasserläufe verantwortlich, die die Lebensgrundlage des dort lebenden Namavolkes sind. Sowohl in Namibia als auch in Malawi und Tansania beabsichtigen zirka 20 internationale Firmen, die dortigen Uranvorkommen zu untersuchen und möglicherweise auszubeuten. Der Anreiz kommt auch dadurch zustande, daß in Australien inzwischen strenge und kostenintensive Umweltauflagen für den Uranbergbau gelten, wohingegen in den afrikanischen Ländern noch nicht einmal gesetzliche Regeln für den Umgang mit radioaktivem Material existieren, geschweige denn angemessene Sozial-, Umwelt- und Kontrollstandards.

Fazit: Eine Technologie, die von Grund auf mit Menschenrechtsverletzungen verbunden ist, sollte schnellstens ausgemustert werden.

These 9: Für Uran gilt wie für alle anderen Schwermetalle und die meisten irdischen Rohstoffe, daß seine Vorräte endlich sind.

Daraus folgt die in These 1 erläuterte Konsequenz, daß mit jeder weiteren Nutzung dieser Vorräte das Ende naht; der »peak uran« ist bald erreicht. Wir können nur hoffen, daß dies niemand in der Welt zum Anlaß nimmt, erneut mit sogenannten Brutreaktoren zu experimentieren. Dies würde den Einstieg in die um vieles riskantere Plutonium-Technologie bedeuten.

Fazit: Es hilft nur schnellster Ausstieg aus der gesamten Atomtechnologie.

Die dargestellte Vielfalt der mit der Atomenergie unauflösbar verbundenen großen Risiken steht einer verantwortbaren Nutzung fundamental entgegen, so daß sie weltweit möglichst schnell überwunden werden muß.

Die Atomenergie, ja die gesamte Atomtechnologie ist von Grund auf weder zukunftsfähig, noch nachhaltig, noch hilfreich bei der Lösung der weltweiten Probleme. Daher können wir nur hoffen, daß das Damoklesschwert dieser Risikotechnologie nirgendwo und niemals niederfällt. Wir haben genügend zu tun, um die »Kassandra«-Risiken des Klimawandels (siehe Teil 1) zu minimieren. Wir müssen das Risiko einer plötzlichen gegenüber einer schleichenden Katastrophe abwägen. Gegen erstere hilft nur schnelles Abschalten der Reaktoren, gegen letztere müssen wir die Reduktion der CO2-Emissionen in einem planbaren Zeitraum organisieren.

Prof. Dr. Jürgen Rochlitz ist Gründungsmitglied der Partei Die Grünen in Rheinland-Pfalz. Er ist seit 2002 Mitglied der Kommission für Anlagensicherheit (KAS) beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Unterstützen Sie die Erklärung des Umweltinstituts München e. V. gegen Atomenergie mit Ihrer Unterschrift:
www.umweltinstitut.org/muenchner_erklaerung/Startseite.php

Quelle: jungewelt.de Teil1, Teil2