Freitag, 30. Januar 2009

Asse: Arbeiten am Atommüll /30.01.09

Ortstermin in Asse II
Arbeit am Atommüll
Von Joachim Wille

Es ist trocken, staubtrocken. Und feucht, sogar nass. Passt nicht zusammen? Genau, und das ist das Problem. Es ist gleichzeitig trocken und nass - tief unter der Erde in Deutschlands ältestem Atommüll-Lager: der "Asse". Das darf nicht sein.

Andreas Liedtke hat hier, auf Bergwerks-Sohle minus 658 Meter, den Job, die Dinge auseinander zu halten. Wasser-Manager könnte man ihn nennen, wenn es so etwas gäbe. Oder Laugen-Manager, das wäre genauer. "Wir fangen die Brühe auf und lassen sie abholen", sagt der Asse-Arbeiter, ein End-Vierziger, der an einer der kritischsten Stellen in dem umstrittenen Atommüll-Lager schafft. Liedtke arbeitet in einer alten, leergebaggerten Kammer des Asse-Salzstocks. Dort sickert die Flüssigkeit aus der Decke heraus. Auf dem Boden liegt eine Folie. Auf der sammelt sich die Lauge, und die fließt über einen Schlauch in einen Plastik-Container. Immer wenn das 1000-Liter-Fass voll ist, wird es durch die Asse-Gänge zum Schacht und dann nach oben gebracht. 7 Liter pro Minute, 416 Liter pro Stunde, zehn Kubikmeter pro Tag. Tag für Tag. Unablässig, unaufhörlich, unstoppbar. Liedtke arbeitet seit 25 Jahren, sechs Monaten und sieben Tagen hier in der Asse, sagt er.

Ein Lager für Nuklearmüll muss trocken sein, das ist die Lehrmeinung. Denn das gibt Schutz davor, dass die strahlenden Stoffe, die die Wahnsinnszeit von einer Million Jahre von der Biosphäre abgetrennt bleiben sollen, sich irgendwann doch ausbreiten, aufsteigen, ins Grundwasser und in die Luft gelangen. Aber in der Asse geht es eben nicht nach der reinen Lehre. In der Asse haben sie, wie es offiziell heißt, einen Laugen-Notstand, seit es Mitte 2008 mit der relativen Ruhe um das Projekt aus der Frühzeit der Atomeuphorie vorbei war. Inzwischen überschlagen sich die Meldungen über unhaltbare Zustände in dem Bergwerk, das bei Wolfenbüttel in Niedersachsen liegt. Einsturzgefahr ab 2014, bröselnde Salzgestein-Decken über Kammern mit kaputten, verbeulten, verrosteten Atomfässern, strahlende Pfützen, dubiose blei-ummantelte Fässer mit unklarem Inhalt.

Liedtke, der Wasser-Wächter, kann die Aufregung nicht verstehen. "Das hier ist ein sicherer Arbeitsplatz", sagt er. Tatsächlich ist die Strahlenbelastung, die man sich unten in der Asse einfängt, sogar niedriger als übertage durch die natürliche Radioaktivität - solange man außerhalb der Kontroll- und Sperrbereiche bleibt. Viele Fehlinformationen liefen über die Medien, kritisiert Liedtke. "Die bringen die Sachen durcheinander." Fakt ist freilich: Der langjährige Betreiber, das Helmholtz-Zentrum München (früher hieß es Gesellschaft für Strahlenschutz), bekam von der Bundesregierung die Zuständigkeit abgenommen. Seit dem 1. Januar 2009 ist das Umweltminister Sigmar Gabriel unterstehende Bundesamt für Strahlenschutz im nahen Salzgitter Herr des Verfahrens - gemäß einem Diktum des SPD-Ministers, der in der Gegend übrigens seinen Wahlkreis hat - und das Endlager als "löcherig wie einen Schweizer Käse" bezeichnete.

Die Löcher erklären sich aus der Geschichte der Grube. Liedtkes Sohle ist nur eine von 13 Abbau-Etagen in Tiefen von 490 bis 750 Metern, aus denen seit 1899 Kali-Dünger und feines Steinsalz - der Hausfrau damals als Asse Sonnensalz bekannt - herausgeholt wurden. 1964 war damit Schluss. Der weitere Abbau lohnte sich nicht mehr. Bald meldete sich eine Interessentin: die Bundesrepublik Deutschland. Und zwar in Form der Gesellschaft für Strahlenschutz. Für rund 600000 Mark wechselte die Grube 1965 den Besitzer. Die Rechner im für die Finanzen zuständigen Forschungsministerium hielten das für ein Schnäppchen. Hintergrund: Das Kernforschungszentrum Karlsruhe, ebenfalls in Staatsbesitz, wollte damals Atommüll los werden. Eine Halle für das strahlende Zeugs zu bauen, hätte 1,6 Millionen Mark gekostet. Da schien die Asse spottbillig. Zumal man damit auch jede Menge Platz für weiteren Nuklearabfall aus Industrie und Medizin bekam. So mutierte die Asse zum weltweit ersten Endlager für Atommüll, obwohl es offiziell doch nur ein "Forschungsbergwerk" sein sollte. Ziel: zu untersuchen, ob Salzstöcke - wie etwa Gorleben - sich denn überhaupt als Endlagermedium eignen, in dem der strahlende Abfall dauerhaft sicher untergebracht werden kann.

Sorglosigkeit stand Pate. Die interne Bewertung, die Grube sei als Atom-Grab "nur beschränkt" geeignet, fiel unter den Tisch. Unbeachtet blieben auch Warnungen der Praktiker vor Ort. Verbürgt ist die Aussage eines erfahrenen Obersteigers: "Wir kämpfen doch schon seit Jahren gegen das Wasser." Der Schacht Asse II werde absaufen wie Asse I und III vor ihm. Tatsächlich hatten die Burbacher Kaliwerke den ersten Zugang zu dem Salzstock schnell aufgeben müssen. Der Grund: Sie hatten das Gestein, um möglichst viel Kali und Salz abbauen zu können, bis auf wenige Meter an das darüber liegende, wasserführende Deckgebirge ausgehöhlt. Das bahnte der Zerstörung den Weg. Wasser ist Gift für die Stabilität des Gesteins, denn es laugt besonders die Kali-Schichten aus, die das Salz durchziehen. Sie bröseln, werden brüchig, fallen zusammen.

In den 60er Jahren machte man sich deswegen keinen Kopf. 1967 ließ das Bundesforschungsministerium die ersten Atommüll-Fässer heranschaffen. Sie landeten in Kammer 4 in 750 Metern Tiefe. Zuerst packten die Bergleute sie ordentlich nebeneinander, sozusagen "rückholbar", dann, um sie dichter zu packen, übereinander. Aber auch das schien irgendwann zu mühselig. In den 70er Jahren kippte man die Fässer von einer aufgeschütteten Böschung einfach in den Hohlraum ab. Am Ende noch loses Salz drüber - fertig. Die Vorgabe, sie so zu lagern, dass man sie irgendwann auch wieder rausholen könnte, wurde stillschweigend fallen gelassen.

Was genau in der Asse liegt, weiß keiner. Es gab keine Deklarationspflicht für die einzelnen strahlenden Isotope. Zwischen 1967 und 1978 landeten in gut 700 Metern Tiefe 125000 Fässer mit niedrig strahlendem Müll und bei minus 500 Meter 1300 Fässer mit mittelradioaktivem Abfall. Die Fässer enthalten nach radiologischen Berechnungen unter anderem zwölf Kilogramm des hochgiftigen Plutoniums und 102 Tonnen Uran.

Im Jahr 1988 kam das Wasser. Auf einmal war es da. Jene insgesamt zwölf Kubikmeter pro Tag, die bis heute durch den Berg drücken. Es wurde klar: Die Asse ist dauerhaft nicht zu halten. Während die Endlager-Forschung - Stichwort: Erkenntnisse für Gorleben gewinnen - noch bis 1995 weiterlief, startete der Asse-Betreiber den ersten Versuch, das Brösel-Bergwerk zu stabilisieren. Er schaffte gigantische Mengen Abraum-Salz von anderen Bergwerken in die Kavernen, um sie aufzufüllen und so den Druck von oben aufzufangen. Doch der eingeblasene "Salzgrus" sackte wieder zusammen. Über dem Material bildeten sich neue Spalten.

Annette Parlitz steigt in die Eisen. Der offene Geländewagen, mit dem die junge Asse-Mitarbeiterin die Besucher rasant durch die warmen Schächte des Bergs gefahren hat, stoppt abrupt. Parlitz leuchtet mit ihrer Grubenlampe nach oben. Eine offene Kaverne, Salzgrus bis fast zur Decke. Darüber eine Lücke, vielleicht zehn, 20 Zentimeter Luft statt Salz. "Das stützt gar nichts", sagt Parlitz. Weiter unten im Berg dann eine Stelle, wo man versucht hat, das nachsackende Salzpulver mit einer Schicht Beton zu stabilisieren. Schon besser, aber auch nicht richtig erfolgreich. Das ist der Grund, warum das Helmholtz-Zentrum nach 2002 ein neues Konzept entwickelte, das den Protest gegen die Asse erst so richtig ins Laufen brachte: Flutung des Atom-Lagers. Die Asse einfach vollzupumpen mit riesigen Mengen einer Magnesiumchlorid-Lösung, die das Gestein nicht weiter auslaugen würde, erschien den Experten die einfachste Lösung. Dass sie heikel ist, war ihnen wohl klar. Denn irgendwann würden Plutonium, Uran und Co. aus den rostenden Fässern austreten. Und irgendwann, vielleicht in 150, in 1000 oder 10000 Jahren, auch an die Oberfläche kommen. Die Grenzwerte würden aber nicht überschritten, hieß es.

Was da geplant war, sickerte erst allmählich nach draußen durch. "Ich konnte es gar nicht glauben", sagt Heike Wiegel, eine SPD-Kommunalpolitikerin. Sie wohnt in der kleinen Ortschaft Remlingen, nur zwei Kilometer von der Asse entfernt. Sie erinnert sich: "Der Atommüll wird nicht trocken gelagert werden können", trug ein Experte 2003 auf einer Info-Veranstaltung der Asse-Betreiber vor. Wiegel, die die Bürgerinitiative AufpASSEn mitgründete, forschte nach. Der damalige Asse-Betriebsleiter habe eingeräumt, es werde "zehn bis 100 Jahre" dauern, bis der Atommüll komplett in Lösung gegangen sei. Wiegel kommt in Rage, wenn sie davon erzählt. "Wenn es 150 Jahre dauert, bis das Zeug an der Oberfläche ist, betrifft das ja schon meine Enkel." Die zierliche, vom Naturell her eigentlich zurückhaltende Frau, hat nun sieben Jahre Kampf gegen die Asse hinter sich. Und erstmals gibt es einen Lichtblick, seitdem Gabriel und das Bundesamt für Strahlenschutz das Bergwerk regieren.

Der heißt im Amtsdeutsch: Optionen-Vergleich. Experten untersuchen, ob es Alternativen zur Flutung gibt. Ob es möglich ist, die Atomfässer wieder aus der Asse herauszuholen, um sie anderswo einzulagern. Ob eine bessere Methode der Stabilisierung mit Beton das Problem lösen kann. Bis zur Entscheidung werden noch Monate vergehen. Sicher ist derweil, dass die Asse den Steuerzahler viel Geld kosten wird. Hartmut Reime, ein Kollege von Andreas Liedtke, sagt dazu: "Man hätte hier mit dem Atommüll gar nicht anfangen dürfen." Eine Erkenntnis, die 44 Jahre zu spät kommt.
Quelle:
fr-online.de