Samstag, 17. Juli 2010

Abstimmung mit den Füßen /28.6.10

Antiatomkraftbewegung will mit Massenprotesten Laufzeitverlängerung für Reaktoren verhindern. Kampagne »Schwarz-gelb macht nur Müll« soll jetzt anlaufen
Von Max Eckart

Uneinigkeit in den eigenen Reihen und Druck von außen haben zur Folge, daß die CDU-FDP-Bundesregierung ihre Entscheidung über längere AKW-Laufzeiten immer wieder verschiebt. Derzeit heißt es, das Energiekonzept werde im Sommer endgültig beschlossen und ein neues Atomgesetz im September in den Bundestag eingebracht.

Aber das sei noch nicht das letzte Wort, kündigte Jochen Stay, Sprecher der Antiatomkraftorganisation »Ausgestrahlt« am Wochenende an. »Die großen Proteste der letzten Monate hemmen die schwarz-gelbe Koalition, die schon lange angekündigte Laufzeitverlängerung wahrzumachen«, ist er überzeugt. Auch in den Reihen von Union und FDP steige die Skepsis, ob es wirklich Sinn mache, weiter auf Energiegewinnung aus Kernspaltung zu setzen.

Tatsächlich gibt es seit Monaten fast jeden Tag irgendwo in Deutschland Protestaktionen. In vielen Orten formieren sich zwischenzeitlich »eingeschlafene« Initiativen wieder, oder es bilden sich neue. Und die Antiatomkraftbewegung will ihren Widerstand gegen längere Laufzeiten der Reaktoren – und gegen die geplanten Endlager in Gorleben und Salzgitter – weiter verstärken.

»Wir steuern auf die entscheidende Phase der Auseinandersetzung zu und wollen deshalb den Atomfreunden einen heißen Sommer bereiten«, sagt Stay. Bereits in den nächsten Tagen soll die Kampagne »Schwarz-gelb macht nur Müll!« anlaufen. Den ganzen Sommer über wollen Kernkraftgegner auf Großplakatwänden in der ganzen Republik und insbesondere in den Feriengebieten sowie im Berliner Regierungsviertel auf die möglichen Folgen des Weiterbetriebs der AKW hinweisen. Parallel dazu sind dezentrale Aktionen geplant. Ein Höhepunkt wird der Besuch beim baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) am 14. Juli sein. Mappus gilt in der Atomdebatte als Hardliner.

Nach den Ferien soll es Massenproteste geben. Für den 18. September rufen Bürgerinitiativen und Umweltgruppen zu einer Großdemonstration in Berlin auf. Dabei werde das ganze Regierungsviertel umzingelt, »um deutlich zu machen, daß die Bevölkerung endlich raus will aus der Atomkraft«, erklärt Stay. Die Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad bereitet für den 29. September eine weitere Demonstration in Salzgitter gegen das dort geplante Endlager für schwach und mittelradioaktiven Müll vor. Erwartet würden mehr als 10000 Teilnehmer, darunter auch zahlreiche Gewerkschafter aus örtlichen Metallbetrieben, so Peter Dickel, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft.

Ein Höhepunkt des Widerstandes könnte der nächste Castortransport nach Gorleben werden. Für den November wird eine Fuhre mit elf Behältern aus der französischen Plutoniumschmiede La Hague erwartet. Die Fracht besteht aus hochradioaktiven Abfällen, die in Glas eingeschmolzen sind. Auftakt der Anticastorproteste werde eine Demo in Dannenberg sein, teilt die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg mit. Danach sind Blockaden auf Schienen und Straßen und zahlreiche weitere Aktionen geplant. »Die Castorproteste werden zu einer Abstimmung mit den Füßen gegen die schwarz-gelbe Atompolitik!« erklärt die BI.

Gleichzeitig kommen aus dem Wendland Vorbehalte gegen allzu viele Kundgebungen. »Die Vielfalt der Bewegung, der Schwung und verschiedene Aktionen gegen die schwarz-gelben Atompläne sind unser Trumpf, die Zerfaserung und Zersplitterung unserer Kräfte aber müssen vermieden werden«, heißt es in einem Veto der Bürgerinitiative aus Lüchow-Dannenberg mit Blick auf die geplante Demo in Berlin.
Quelle: http://www.jungewelt.de