Samstag, 17. Juli 2010

Ökostrom boomt Atom weg /1.7.10

Eine neue Prognose des Umweltministeriums geht davon aus, dass der Anteil erneuerbarer Energien 2020 fast 40 Prozent betragen wird. Damit würden die erneuerbaren Energien den Atomstrom zumindest rechnerisch bereits 2021 überflüssig machen.
Von Joachim Wille

Der Boom beim Ökostrom verstärkt sich weiter. Eine neue Prognose des Bundesumweltministeriums besagt: Bis 2020 wird der Anteil von Wind- und Wasserkraft, Solarenergie und Biomasse an der Elektrizitätserzeugung bereits 38,6 Prozent betragen - das wäre mehr als eine Verdoppelung binnen eines Jahrzehnts. Damit würden die erneuerbaren Energien den Atomstrom zumindest rechnerisch bereits 2021 überflüssig machen.

Die Prognose entstammt dem Entwurf für den "Nationalen Aktionsplan für erneuerbare Energie", der der FR vorliegt. Ein solches Konzept müssen die Bundesregierung und die anderen EU-Regierungen im Rahmen der Klimapolitik der Europäischen Union für die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr aufstellen. Die EU will damit erreichen, dass 2020 unionweit 20 Prozent erneuerbare Energien eingesetzt werden

Derzeit liegt der Ökostrom-Anteil in Deutschland bei rund 17 Prozent, 2005 waren es erst rund zehn Prozent gewesen. Zu dem Boom trugen besonders das Wachstum der Windkraft und der Biomasse-Verstromung bei. Bislang erwartete die Bundesregierung, dass 2020 "mindestens 30 Prozent" Ökostrom erreicht werden. Die neue Prognose liegt deutlich darüber, allerdings unter jener der Ökostrom-Branche, die sogar 47 Prozent für möglich hält. Voraussetzung ist freilich ein Ausbau der Stromnetze und der Strom-Speichermöglichkeiten.

Brisant ist die neue Zahl aus dem Ministerium, da Ressortchef Norbert Röttgen (CDU) einen Zusammenhang zwischen der Ökostrom-Entwicklung und dem Atomausstieg hergestellt hat. Als Voraussetzung für das Abschalten der AKW nannte er im Frühjahr einen Anteil der erneuerbaren Energien von 40 Prozent - die Summe aus dem aktuellen Öko-Anteil von 17 Prozent und den 23 Prozent, die die Atommeiler derzeit noch liefern. Damit löste Röttgen eine heftige Kontroverse innerhalb der schwarz-gelben Koalition aus.

Nach dem noch gültigen Atomkonsens würde das letzte der 17 AKW etwa 2022 vom Netz gehen. Bis dahin wären die 40 Prozent Ökostrom angesichts der Steigerungsraten von zwei bis drei Prozentpunkten pro Jahr längst erreicht. Hinzu kommt, dass die Laufzeiten der Atommeiler sich auch ohne den von Schwarz-Gelb geplanten Ausstieg aus dem Ausstieg automatisch verlängern. Der Grund: Wegen langer Stillstandszeiten und gedrosselter Leistung verfügen die AKW-Betreiber über deutlich mehr "Reststrom-Mengen" als bei Abschluss des Atomkonsens im Jahr 2000 erwartet.

Der Umweltverband BUND sieht sich durch die Ministeriums-Prognose bestätigt: "AKW-Laufzeitverlängerungen sind nicht nötig und sogar kontraproduktiv", sagte dessen Energieexperte Thorben Becker der FR. Er forderte die Merkel-Regierung auf, für das für Herbst angekündigte Gesamt-Energiekonzept nicht nur Szenarien mit Laufzeitplus errechnen zu lassen, sondern auch eines ohne diesen Schritt. Die von der Regierung beauftragten Forschungsinstitute erarbeiten derzeit vier Varianten mit einem Laufzeitplus von vier, zwölf, 20 respektive 28 Jahren. Röttgen plädiert für eine "moderate" Verlängerung um maximal zehn Jahre, der Unions-Wirtschaftsflügel hingegen für 28 Jahre Zuschlag.

Auch in den anderen Energiesektoren sieht das Umweltministerium positive Trends. Bei der Wärme steigt der Öko-Anteil laut Prognose bis 2020 auf 15,5 Prozent, im Verkehr auf 13,2.

Das Haus Röttgen verweist auch auf die wirtschaftliche Bedeutung der Umstellung der Energieversorgung. So habe der Umsatz der Öko-Branche 2009 bereits 33,3 Milliarden Euro betragen, und bei den Energieimporten habe Deutschland 5,7 Milliarden Euro sparen können. Der Sektor biete 300.000 Jobs, für 2020 würden 400.000 erwartet.
Quelle: http://www.fr-online.de