Ein Artikel aus Focus online WISSEN vom 18.Juli 2008
Wer „A“ wie „Atomkraft“ sagt, muss auch „E“ wie Endlagerung sagen. Eine neue Suche nach einem geeigneten Standort hat begonnen.
Von FOCUS-Online-Autor Wolfgang Müller
Das Klimaproblem drängt, das Öl wird immer teurer. Atomkraft scheint einen Ausweg zu bieten: Die Kernenergie spare CO2, sei sicher und obendrein günstig, sagen ihre Befürworter. Derweil ist das Problem der Endlagerung hochradioaktiven Atommülls weiter ungelöst. Eine vom Umweltministerium neu einberufene Expertenkommission soll einen geeigneten Standort finden. Vorher gilt es allerdings, den Unfall im Altlager „Asse2“ aufzuklären, der neue Zweifel an der Sicherheit von Speichern aus Salzgestein aufkommen lässt.
Der politische Konsens über den Atomausstieg aus dem Jahr 2000 gerät ins Wanken. „Wir brauchen eine Energiepolitik, die für ein Industrieland angemessen ist. Und dazu gehört auch die Weiternutzung der Atomenergie“, sagte Günter Beckstein (CSU) am 16. Juli der „Welt“. Der Bayerische Ministerpräsident sprach bislang nicht von der Endlagerproblematik. Dies tat die CDU-Umweltexpertin Marie-Luise Dött am 14. Juli im ZDF-„Morgenmagazin“. Mit Blick auf die unterbrochenen Eignungstests für das Endlager in Gorleben sagte sie: „Ich bin dafür, dass wir dieses Moratorium sofort beenden.“ Gorleben sei „ein Salzstock, der 200 Millionen Jahre besteht und die Wissenschaft sagt, es ist nichts verschoben worden und nichts unsicher geworden“.
Das Moratorium hatte im Oktober 2000 die rot-grüne Bundesregierung ausgesprochen. Es ist als eine selbst auferlegte Besinnungsphase zu verstehen, um dem fortgeschrittenen Stand der Technik bei der Lagerauswahl gerecht werden zu können. Diese Phase sollte im Jahr 2010 enden. Im Auftrag der Bundesregierung hatte das Bundesamt für Strahlenschutz im Salzstock von Gorleben (Niedersachsen) von 1979 bis 2000 ein „Erkundungsbergwerk“ betrieben. Ziel war die geologische Prüfung des Salzgesteins als umgebende Schicht für strahlenden Müll.
Gorleben ohne systematischen Standortvergleich ausgewählt
Nach dem Aufschub für weitere Forschungen in Gorleben begann die Arbeit an neuen, wissenschaftlich fundierten Auswahlkriterien für deutsche Endlagerstandorte. 1999 berief das Bundesumweltministerium unter Jürgen Trittin (Grüne) dazu den Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandort (AkEnd) ein. Mit dabei war Gerhard Jentzsch von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der 61-jährige Lehrstuhlinhaber für angewandte Geophysik beschäftigt sich seit mehr als 18 Jahren mit der Standortsicherheit von Kernkraftwerken und Nuklearanlagen.
Die Eignung von Gorleben als Endlager sah die Expertengruppe weder als endgültig bewiesen noch endgültig widerlegt an, erinnert sich Jentzsch. „Wir haben gesagt, wir schließen Gorleben nicht aus, sondern können den Standort bei der Suche miteinbeziehen. Wir wollten jedoch mindestens zwei Bergwerke zum Vergleich haben. Damals hieß es, wenn Gorleben dabei das Rennen macht, wäre es Glück.“ Im Fall Gorleben habe es nie einen systematischen Standortvergleich mit vorher festgelegten Sicherheitskriterien gegeben, kritisierte jüngst der Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, in einem Gespräch mit dem Berliner „Tagesspiegel“. Der Vorschlag, Gorleben als Endlagerstandort ins Auge zu fassen, kam einst von der Landesregierung Niedersachsen.
Gerhard Jentzsch hat seit Juni 2008 eine neue Aufgabe. Er folgte einem Ruf des Bundesumweltministeriums und ist Mitglied der „Entsorgungskommission“ (ESK). Die Hauptaufgabe des unabhängigen Expertengremiums: Die Suche nach einem sicheren Endlager in Deutschland. 12 500 Tonnen an hochradioaktiven Brennelementen aus Kernreaktoren sind nach Angaben der Strahlenschutzbehörde bislang angefallen. Pro Jahr und Atomkraftwerk kommen 30 Tonnen hochradioaktiven Mülls hinzu. Wo dieser Sondermüll einmal endgültig landen wird, ist derzeit ungeklärt. Derzeit befindet sich ein Teil in über Deutschland verstreuten Zwischenlagern, einige Brennstäbe wurden aufwendig wiederaufbereitet.
Unterdessen bereiten alte Atommülllager neue Probleme. Der Unfall im Forschungsbergwerk „Asse 2“ bescherte der neuen Entsorgungskommission gleich einen dringenden Auftrag. Am 10. Juni 2008 war in dem ehemaligen Salzbergwerk bei Wolfenbüttel der Fund von kontaminierter Salzlauge bekannt geworden. Im niedersächsischen Salzgestein waren von 1967 bis 1978 rund 130 000 Fässer mit schwach- bis mittelstark strahlendem Atommüll eingelagert worden. Noch ist nach Aussage von Kommissionsmitglied Jentzsch unklar, wie genau Wasser aus den umliegenden Gesteinsschichten in den Salzstock eintreten und als mit dem Mineral vermengte und verstrahlte Lauge in einer Bergwerkskammer in 750 Metern Tiefe wieder austreten konnte. „Wir wissen nicht, woher dieser Wasserzutritt kommt“, sagt er.
Die neuen Probleme zeigen: Auch Salzstöcke wie Asse und Gorleben sind als Endlager nicht von Vorneherein als völlig unbedenklich einzustufen. „Ich denke, das, was in der Asse passiert ist, nährt die Zweifel an Gorleben“, sagt Jentzsch, und fügt hinzu: „Die Aussage, dass es im Salz kein Wasser gibt, kann man nicht stehen lassen.“ Auch auf ein anderes mögliches Problem weist der Geophysiker hin: Hochradioaktive Stoffe geben sehr viel Wärme ab. Deswegen müssten sie vor einer Lagerung gekühlt werden. „Bei Temperaturen ab 200 Grad beginnt Salz zu fließen, das heißt, es wird zunehmend plastisch. Gelagerte Abfälle werden ganz eng eingeschlossen. Wenn diese aber zu viel Wärme abgeben, können sie durch den Salzstock hindurchwandern.“
Quelle: Focus online
Wer „A“ wie „Atomkraft“ sagt, muss auch „E“ wie Endlagerung sagen. Eine neue Suche nach einem geeigneten Standort hat begonnen.
Von FOCUS-Online-Autor Wolfgang Müller
Das Klimaproblem drängt, das Öl wird immer teurer. Atomkraft scheint einen Ausweg zu bieten: Die Kernenergie spare CO2, sei sicher und obendrein günstig, sagen ihre Befürworter. Derweil ist das Problem der Endlagerung hochradioaktiven Atommülls weiter ungelöst. Eine vom Umweltministerium neu einberufene Expertenkommission soll einen geeigneten Standort finden. Vorher gilt es allerdings, den Unfall im Altlager „Asse2“ aufzuklären, der neue Zweifel an der Sicherheit von Speichern aus Salzgestein aufkommen lässt.
Der politische Konsens über den Atomausstieg aus dem Jahr 2000 gerät ins Wanken. „Wir brauchen eine Energiepolitik, die für ein Industrieland angemessen ist. Und dazu gehört auch die Weiternutzung der Atomenergie“, sagte Günter Beckstein (CSU) am 16. Juli der „Welt“. Der Bayerische Ministerpräsident sprach bislang nicht von der Endlagerproblematik. Dies tat die CDU-Umweltexpertin Marie-Luise Dött am 14. Juli im ZDF-„Morgenmagazin“. Mit Blick auf die unterbrochenen Eignungstests für das Endlager in Gorleben sagte sie: „Ich bin dafür, dass wir dieses Moratorium sofort beenden.“ Gorleben sei „ein Salzstock, der 200 Millionen Jahre besteht und die Wissenschaft sagt, es ist nichts verschoben worden und nichts unsicher geworden“.
Das Moratorium hatte im Oktober 2000 die rot-grüne Bundesregierung ausgesprochen. Es ist als eine selbst auferlegte Besinnungsphase zu verstehen, um dem fortgeschrittenen Stand der Technik bei der Lagerauswahl gerecht werden zu können. Diese Phase sollte im Jahr 2010 enden. Im Auftrag der Bundesregierung hatte das Bundesamt für Strahlenschutz im Salzstock von Gorleben (Niedersachsen) von 1979 bis 2000 ein „Erkundungsbergwerk“ betrieben. Ziel war die geologische Prüfung des Salzgesteins als umgebende Schicht für strahlenden Müll.
Gorleben ohne systematischen Standortvergleich ausgewählt
Nach dem Aufschub für weitere Forschungen in Gorleben begann die Arbeit an neuen, wissenschaftlich fundierten Auswahlkriterien für deutsche Endlagerstandorte. 1999 berief das Bundesumweltministerium unter Jürgen Trittin (Grüne) dazu den Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandort (AkEnd) ein. Mit dabei war Gerhard Jentzsch von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der 61-jährige Lehrstuhlinhaber für angewandte Geophysik beschäftigt sich seit mehr als 18 Jahren mit der Standortsicherheit von Kernkraftwerken und Nuklearanlagen.
Die Eignung von Gorleben als Endlager sah die Expertengruppe weder als endgültig bewiesen noch endgültig widerlegt an, erinnert sich Jentzsch. „Wir haben gesagt, wir schließen Gorleben nicht aus, sondern können den Standort bei der Suche miteinbeziehen. Wir wollten jedoch mindestens zwei Bergwerke zum Vergleich haben. Damals hieß es, wenn Gorleben dabei das Rennen macht, wäre es Glück.“ Im Fall Gorleben habe es nie einen systematischen Standortvergleich mit vorher festgelegten Sicherheitskriterien gegeben, kritisierte jüngst der Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, in einem Gespräch mit dem Berliner „Tagesspiegel“. Der Vorschlag, Gorleben als Endlagerstandort ins Auge zu fassen, kam einst von der Landesregierung Niedersachsen.
Gerhard Jentzsch hat seit Juni 2008 eine neue Aufgabe. Er folgte einem Ruf des Bundesumweltministeriums und ist Mitglied der „Entsorgungskommission“ (ESK). Die Hauptaufgabe des unabhängigen Expertengremiums: Die Suche nach einem sicheren Endlager in Deutschland. 12 500 Tonnen an hochradioaktiven Brennelementen aus Kernreaktoren sind nach Angaben der Strahlenschutzbehörde bislang angefallen. Pro Jahr und Atomkraftwerk kommen 30 Tonnen hochradioaktiven Mülls hinzu. Wo dieser Sondermüll einmal endgültig landen wird, ist derzeit ungeklärt. Derzeit befindet sich ein Teil in über Deutschland verstreuten Zwischenlagern, einige Brennstäbe wurden aufwendig wiederaufbereitet.
Unterdessen bereiten alte Atommülllager neue Probleme. Der Unfall im Forschungsbergwerk „Asse 2“ bescherte der neuen Entsorgungskommission gleich einen dringenden Auftrag. Am 10. Juni 2008 war in dem ehemaligen Salzbergwerk bei Wolfenbüttel der Fund von kontaminierter Salzlauge bekannt geworden. Im niedersächsischen Salzgestein waren von 1967 bis 1978 rund 130 000 Fässer mit schwach- bis mittelstark strahlendem Atommüll eingelagert worden. Noch ist nach Aussage von Kommissionsmitglied Jentzsch unklar, wie genau Wasser aus den umliegenden Gesteinsschichten in den Salzstock eintreten und als mit dem Mineral vermengte und verstrahlte Lauge in einer Bergwerkskammer in 750 Metern Tiefe wieder austreten konnte. „Wir wissen nicht, woher dieser Wasserzutritt kommt“, sagt er.
Die neuen Probleme zeigen: Auch Salzstöcke wie Asse und Gorleben sind als Endlager nicht von Vorneherein als völlig unbedenklich einzustufen. „Ich denke, das, was in der Asse passiert ist, nährt die Zweifel an Gorleben“, sagt Jentzsch, und fügt hinzu: „Die Aussage, dass es im Salz kein Wasser gibt, kann man nicht stehen lassen.“ Auch auf ein anderes mögliches Problem weist der Geophysiker hin: Hochradioaktive Stoffe geben sehr viel Wärme ab. Deswegen müssten sie vor einer Lagerung gekühlt werden. „Bei Temperaturen ab 200 Grad beginnt Salz zu fließen, das heißt, es wird zunehmend plastisch. Gelagerte Abfälle werden ganz eng eingeschlossen. Wenn diese aber zu viel Wärme abgeben, können sie durch den Salzstock hindurchwandern.“
Quelle: Focus online