Billiges Versprechen
Die Produktionskosten von Atomstrom sind zwar geringer als die von herkömmlichem Strom. Doch billig wird Atomenergie trotzdem nicht verkauft.
von Jochen Stay
Die Atomkraft wird zum Wahlkampfthema, denn die Stromkonzerne RWE, Eon, EnBW und Vattenfall drängen auf Laufzeitverlängerungen für ihre alten AKW. CDU und FDP kündigen an, im Falle eines Sieges bei der Bundestagswahl im kommenden September wieder auf die Atomenergie zu setzen, und begründen dies neuerdings mit den drastisch steigenden Energiepreisen. Jeder, der an einer Tankstelle über den teuren Sprit klagt, soll mit der Verheißung von billigem Atomstrom gelockt werden, auch wenn sich, wie der Bundesumweltminister Sigmar Gabriel immer wieder betont, Autos nicht mit Uran-Brennstäben antreiben lassen.
Elektrizität aus abgeschriebenen Altreaktoren ist in der Tat billiger herzustellen als Strom aus Gas oder Kohle. Doch der Verkaufspreis für den gesamten Strom wird an der Leipziger Strombörse festgesetzt und richtet sich nach dem Preis, den die Kraftwerke mit den höchsten Produktionskosten verlangen. Somit zahlt also der Verbraucher denselben Preis für Atomstrom wie für Strom aus anderen Kraftwerken, und die AKW-Betreiber streichen die Differenz alleine ein. Das macht für jeden der 17 laufenden Meiler einen jährlichen Gewinn von 200 bis 300 Millionen Euro. Der Atomkonzern RWE hat errechnet, dass eine Verlängerung der Laufzeiten auf 50 bis 60 Jahre noch einmal zusätzlich 250 Milliarden Euro in die Kassen der vier großen Energieunternehmen bringen würde.
Abenteuerliche Konzepte machen unter den Atomikern bei CDU und CSU die Runde. So soll ein Teil der durch längere Reaktor-Laufzeiten erzielten Erlöse zur Entlastung sozial schwacher Haushalte beitragen. CDU-Generalsekretär Roland Pofalla will »einen beachtlichen Teil« der Gewinne zur Senkung der Energiepreise verwenden.
Die kurze Haltbarkeit solcher Versprechen wurde in der Diskussion um die Idee der SPD deutlich, die eine Steuer von einem Cent pro Kilowattstunde auf Kernbrennstoffe erheben will. »Eine Sondersteuer auf Atomstrom kommt nicht in Frage«, meint der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger. Diese Idee sei »reine Ideologie«, Atomenergie sei im »Energiemix« ein unverzichtbarer Bestandteil und dürfe nicht belastet werden.
Dass die Energie aus den AKW derzeit als preiswerte Alternative dargestellt werden kann, hat einen einfachen Grund: Seit Beginn des Atomzeitalters hat der Staat nicht nur die ökonomischen Risiken der Stromerzeugung mittels Kernspaltung abgedeckt, sondern große Teile des Atomprogramms gleich selbst finanziert.
Insbesondere das schmutzige Ende der Atomwirtschaft fällt kaum denen zur Last, die jetzt daran verdienen. Der Bau von Forschungsreaktoren wurde in der Bundesrepublik bisher mit 20 Milliarden Euro subventioniert. In gescheiterte Atomprojekte wie Wackersdorf, Kalkar und Mülheim-Kärlich flossen neun Milliarden Euro öffentliche Mittel. Die Sanierung der Uranabbaugebiete in Thüringen und Sachsen hat nach der Wiedervereinigung 6,6 Milliarden Euro Steuergelder verschlungen. Der 1990 begonnene »Rückbau« einer kleinen Pilotanlage zur Wiederaufarbeitung von Atommüll in Karlsruhe dauert voraussichtlich noch bis 2019 und kostet drei Milliarden Euro, wovon staatlicherseits 2,5 Milliarden übernommen werden. Der Abriss der DDR-Atomkraftwerke in Greifswald kostet den Staat 3,7 Milliarden Euro. Dem Finanzminister sind bisher durch die steuerfreien Gewinne der Atomwirtschaft 23 Milliarden Euro entgangen, weil die Konzerne diese Summe als Rückstellungen für die »Entsorgung« deklariert, aber nicht wirklich zurückgelegt, sondern damit Firmenkäufe im In- und Ausland finanziert haben.
Betrieb und Stilllegung des einsturzgefährdeten »Endlagers« für schwachaktiven Müll in Morsleben (Sachsen-Anhalt) haben die Bundesrepublik bisher 1,2 Milliarden Euro gekostet. Die Aufwendungen für die Polizeieinsätze bei Anti-Atom-Demonstrationen und zur Durchsetzung der Castor-Transporte liegen insgesamt bei etwa drei Milliarden Euro. Der Betrieb des absaufenden »Probe-Endlagers« Asse beläuft sich derzeit zwar auf vergleichsweise geringe 100 Millionen Euro jährlich. Müssen die 126 000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll allerdings wieder herausgeholt werden, bevor die strahlende Suppe im Grundwasser ankommt, dann werden auch hier noch etliche Milliarden fällig.
Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet bei einem Super-Gau in einem deutschen Reaktor mit einem volkswirtschaftlichen Gesamtschaden von 5 000 Milliarden Euro. Versichert sind die Atomkraftwerke nur bis zu 2,5 Milliarden Euro, also gerade mal 0,5 Promille der möglichen Schadenssumme. Den Rest des Risikos trägt der Staat. Keine Versicherung der Welt ist bereit, diesen Schaden abzudecken. Und würde sich eine finden, wäre sie so teuer, dass Atomstrom unverkäuflich wäre. Bleibt noch zu erwähnen, dass hierzulande auf die Brennstoffe Öl, Gas und Kohle Steuern erhoben werden, der Kernbrennstoff Uran dagegen steuerbefreit ist.
Der Neubau von Atomkraftwerken, in vielen Ländern der Welt angekündigt, kommt nur sehr schleppend in Gang. Zwar äußern etliche Regierungen den Wunsch nach neuen Meilern, aber kaum ein Bauprojekt findet Finanziers aus der Wirtschaft. Nur wenn der Staat die Risiken abdeckt, wie in Russland, China oder Indien, kommt ein Neubauprogramm zustande. Auch der Vorzeigebau im finnischen Olkiluoto, wo erstmals seit vielen Jahren ein neues AKW in Europa entsteht, ist nur möglich, weil Herstellerfirmen wie Siemens und die französische Areva-Gruppe den Reaktor zu einem Festpreis von 3,2 Milliarden Euro abgeben, obwohl die Kosten inzwischen auf fast fünf Milliarden Euro angewachsen sind. Allein der bayerische Elektrokonzern wird mit diesem Projekt ein Minus von 500 Millionen Euro machen. Und selbst die Basis-Baukosten des »Millionengrabs« (FAZ) werden durch einen Exportkredit der französischen Regierung abgesichert und durch das Darlehen über 1,95 Milliarden Euro, das von einem Bankenkonsortium unter der Leitung der Bayerischen Landesbank gewährt wird, die zu 50 Prozent dem Freistaat Bayern gehört. Der Zinssatz beträgt dabei übrigens 2,6 Prozent.
Würde man die in Olkiluoto verpulverten fünf Milliarden Euro in Klimaschutzprojekte stecken, beispielsweise Energiesparmaßnahmen, dann ließe sich damit weitaus mehr, weitaus schneller und weitaus sicherer CO2 einsparen als durch den strahlenden »Klimaretter« aus dem Hause Siemens.
Den wichtigsten Beitrag zur aktuellen Diskussion um den angeblich billigeren Atomstrom und die Entlastungen für Privathaushalte durch die Laufzeitverlängerung von AKW lieferte diese Woche Holger Krawinkel, der Energiefachmann des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. Er rechnete den Anhängern des Atomstroms rund um Kanzlerin Angela Merkel vor, wie groß die Entlastung wirklich wäre, würden zwei Drittel der Reaktoren zehn Jahre länger laufen als ursprünglich geplant. Für jede auf diese Weise zusätzlich produzierte Kilowattstunde Atomstrom legte er den Preisunterschied zum fossilen Strom als zusätzlichen Gewinn an, teilte ihn zwischen Konzernen und Verbrauchern auf und kam so zu einer Ersparnis von etwa 50 Cent pro Monat für einen Durchschnittshaushalt. Aufgrund dieser niedrigen Summe zog Krawinkel das Fazit: »Schon der Austausch einer 60-Watt-Glühbirne durch eine gleich helle 11-Watt-Energiesparlampe bringt aber bereits eine Ersparnis von 60 bis 90 Cent pro Monat.«
Quelle:jungle-world.com
Die Produktionskosten von Atomstrom sind zwar geringer als die von herkömmlichem Strom. Doch billig wird Atomenergie trotzdem nicht verkauft.
von Jochen Stay
Die Atomkraft wird zum Wahlkampfthema, denn die Stromkonzerne RWE, Eon, EnBW und Vattenfall drängen auf Laufzeitverlängerungen für ihre alten AKW. CDU und FDP kündigen an, im Falle eines Sieges bei der Bundestagswahl im kommenden September wieder auf die Atomenergie zu setzen, und begründen dies neuerdings mit den drastisch steigenden Energiepreisen. Jeder, der an einer Tankstelle über den teuren Sprit klagt, soll mit der Verheißung von billigem Atomstrom gelockt werden, auch wenn sich, wie der Bundesumweltminister Sigmar Gabriel immer wieder betont, Autos nicht mit Uran-Brennstäben antreiben lassen.
Elektrizität aus abgeschriebenen Altreaktoren ist in der Tat billiger herzustellen als Strom aus Gas oder Kohle. Doch der Verkaufspreis für den gesamten Strom wird an der Leipziger Strombörse festgesetzt und richtet sich nach dem Preis, den die Kraftwerke mit den höchsten Produktionskosten verlangen. Somit zahlt also der Verbraucher denselben Preis für Atomstrom wie für Strom aus anderen Kraftwerken, und die AKW-Betreiber streichen die Differenz alleine ein. Das macht für jeden der 17 laufenden Meiler einen jährlichen Gewinn von 200 bis 300 Millionen Euro. Der Atomkonzern RWE hat errechnet, dass eine Verlängerung der Laufzeiten auf 50 bis 60 Jahre noch einmal zusätzlich 250 Milliarden Euro in die Kassen der vier großen Energieunternehmen bringen würde.
Abenteuerliche Konzepte machen unter den Atomikern bei CDU und CSU die Runde. So soll ein Teil der durch längere Reaktor-Laufzeiten erzielten Erlöse zur Entlastung sozial schwacher Haushalte beitragen. CDU-Generalsekretär Roland Pofalla will »einen beachtlichen Teil« der Gewinne zur Senkung der Energiepreise verwenden.
Die kurze Haltbarkeit solcher Versprechen wurde in der Diskussion um die Idee der SPD deutlich, die eine Steuer von einem Cent pro Kilowattstunde auf Kernbrennstoffe erheben will. »Eine Sondersteuer auf Atomstrom kommt nicht in Frage«, meint der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger. Diese Idee sei »reine Ideologie«, Atomenergie sei im »Energiemix« ein unverzichtbarer Bestandteil und dürfe nicht belastet werden.
Dass die Energie aus den AKW derzeit als preiswerte Alternative dargestellt werden kann, hat einen einfachen Grund: Seit Beginn des Atomzeitalters hat der Staat nicht nur die ökonomischen Risiken der Stromerzeugung mittels Kernspaltung abgedeckt, sondern große Teile des Atomprogramms gleich selbst finanziert.
Insbesondere das schmutzige Ende der Atomwirtschaft fällt kaum denen zur Last, die jetzt daran verdienen. Der Bau von Forschungsreaktoren wurde in der Bundesrepublik bisher mit 20 Milliarden Euro subventioniert. In gescheiterte Atomprojekte wie Wackersdorf, Kalkar und Mülheim-Kärlich flossen neun Milliarden Euro öffentliche Mittel. Die Sanierung der Uranabbaugebiete in Thüringen und Sachsen hat nach der Wiedervereinigung 6,6 Milliarden Euro Steuergelder verschlungen. Der 1990 begonnene »Rückbau« einer kleinen Pilotanlage zur Wiederaufarbeitung von Atommüll in Karlsruhe dauert voraussichtlich noch bis 2019 und kostet drei Milliarden Euro, wovon staatlicherseits 2,5 Milliarden übernommen werden. Der Abriss der DDR-Atomkraftwerke in Greifswald kostet den Staat 3,7 Milliarden Euro. Dem Finanzminister sind bisher durch die steuerfreien Gewinne der Atomwirtschaft 23 Milliarden Euro entgangen, weil die Konzerne diese Summe als Rückstellungen für die »Entsorgung« deklariert, aber nicht wirklich zurückgelegt, sondern damit Firmenkäufe im In- und Ausland finanziert haben.
Betrieb und Stilllegung des einsturzgefährdeten »Endlagers« für schwachaktiven Müll in Morsleben (Sachsen-Anhalt) haben die Bundesrepublik bisher 1,2 Milliarden Euro gekostet. Die Aufwendungen für die Polizeieinsätze bei Anti-Atom-Demonstrationen und zur Durchsetzung der Castor-Transporte liegen insgesamt bei etwa drei Milliarden Euro. Der Betrieb des absaufenden »Probe-Endlagers« Asse beläuft sich derzeit zwar auf vergleichsweise geringe 100 Millionen Euro jährlich. Müssen die 126 000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll allerdings wieder herausgeholt werden, bevor die strahlende Suppe im Grundwasser ankommt, dann werden auch hier noch etliche Milliarden fällig.
Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet bei einem Super-Gau in einem deutschen Reaktor mit einem volkswirtschaftlichen Gesamtschaden von 5 000 Milliarden Euro. Versichert sind die Atomkraftwerke nur bis zu 2,5 Milliarden Euro, also gerade mal 0,5 Promille der möglichen Schadenssumme. Den Rest des Risikos trägt der Staat. Keine Versicherung der Welt ist bereit, diesen Schaden abzudecken. Und würde sich eine finden, wäre sie so teuer, dass Atomstrom unverkäuflich wäre. Bleibt noch zu erwähnen, dass hierzulande auf die Brennstoffe Öl, Gas und Kohle Steuern erhoben werden, der Kernbrennstoff Uran dagegen steuerbefreit ist.
Der Neubau von Atomkraftwerken, in vielen Ländern der Welt angekündigt, kommt nur sehr schleppend in Gang. Zwar äußern etliche Regierungen den Wunsch nach neuen Meilern, aber kaum ein Bauprojekt findet Finanziers aus der Wirtschaft. Nur wenn der Staat die Risiken abdeckt, wie in Russland, China oder Indien, kommt ein Neubauprogramm zustande. Auch der Vorzeigebau im finnischen Olkiluoto, wo erstmals seit vielen Jahren ein neues AKW in Europa entsteht, ist nur möglich, weil Herstellerfirmen wie Siemens und die französische Areva-Gruppe den Reaktor zu einem Festpreis von 3,2 Milliarden Euro abgeben, obwohl die Kosten inzwischen auf fast fünf Milliarden Euro angewachsen sind. Allein der bayerische Elektrokonzern wird mit diesem Projekt ein Minus von 500 Millionen Euro machen. Und selbst die Basis-Baukosten des »Millionengrabs« (FAZ) werden durch einen Exportkredit der französischen Regierung abgesichert und durch das Darlehen über 1,95 Milliarden Euro, das von einem Bankenkonsortium unter der Leitung der Bayerischen Landesbank gewährt wird, die zu 50 Prozent dem Freistaat Bayern gehört. Der Zinssatz beträgt dabei übrigens 2,6 Prozent.
Würde man die in Olkiluoto verpulverten fünf Milliarden Euro in Klimaschutzprojekte stecken, beispielsweise Energiesparmaßnahmen, dann ließe sich damit weitaus mehr, weitaus schneller und weitaus sicherer CO2 einsparen als durch den strahlenden »Klimaretter« aus dem Hause Siemens.
Den wichtigsten Beitrag zur aktuellen Diskussion um den angeblich billigeren Atomstrom und die Entlastungen für Privathaushalte durch die Laufzeitverlängerung von AKW lieferte diese Woche Holger Krawinkel, der Energiefachmann des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. Er rechnete den Anhängern des Atomstroms rund um Kanzlerin Angela Merkel vor, wie groß die Entlastung wirklich wäre, würden zwei Drittel der Reaktoren zehn Jahre länger laufen als ursprünglich geplant. Für jede auf diese Weise zusätzlich produzierte Kilowattstunde Atomstrom legte er den Preisunterschied zum fossilen Strom als zusätzlichen Gewinn an, teilte ihn zwischen Konzernen und Verbrauchern auf und kam so zu einer Ersparnis von etwa 50 Cent pro Monat für einen Durchschnittshaushalt. Aufgrund dieser niedrigen Summe zog Krawinkel das Fazit: »Schon der Austausch einer 60-Watt-Glühbirne durch eine gleich helle 11-Watt-Energiesparlampe bringt aber bereits eine Ersparnis von 60 bis 90 Cent pro Monat.«
Quelle:jungle-world.com