gelesen bei Neues Deutschland
Die Endlagersuche ist gründlich vermASSElt
Von Wolfgang Ehmke
Wolfgang Ehmke, 1947 im Wendland geboren, studierte Romanistik und Germanistik sowie Interkulturelle Pädagogik an der Universität Hamburg. Er arbeitet als Oberstudienrat an einem Hamburger Wirtschaftsgymnasium. Wolfgang Ehmke engagiert sich seit der Standortbenennung Gorlebens im Jahr 1977 in der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg und hat zahlreiche Beiträge zum Themenkreis nukleare Endsorgung publiziert.
Die Asse bringt es an den Tag! Jahrelang wurden die Warnungen von Bürgerinitiativen und Wissenschaftlern ignoriert, bis kontaminierte Laugenzuflüsse in der Kaligrube Asse II bei Wolfenbüttel für Schlagzeilen sorgten. Diese wurden ohne jede Genehmigung in die Tiefe gepumpt. 1965 kauft die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF), die Vorläuferin des heutigen Betreibers, des Helmholtz-Zentrums, im Auftrag des Bundes das Kalibergwerk für 800 000 DM. Vom 4.4.1967 bis Ende 1978 wurden 124 494 Fässer mit schwachradioaktiven Abfällen gestapelt oder verstürzt. Aus der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe kamen 1293 Fässer mit mittelradioaktivem Abfall hinzu. Lecke und korrodierte Fässer wurden angeliefert, flüssige Abfälle eingelagert.
Auf ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren wurde seitens der GSF bewusst verzichtet, eine Bergung der Fässer war nie vorgesehen. Von Anfang an wussten die Betreiber von der Gefahr eines Wasserzuflusses. Doch Gefälligkeitsgutachter deckelten das riskante Unternehmen. Seit 1988 werden 12 Kubikmeter Wasser aufgefangen und abgepumpt. Die Lauge umspült zumindest eine Einlagerungskammer. Die Asse II säuft ab, der radioaktive Müll liegt drin. Ob eine – zumindest teilweise – Evakuierung der Abfälle noch möglich ist, soll bis zum Jahresende entschieden werden. 2,5 Milliarden Euro sind laut Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) für die Notsicherung veranschlagt. Die Zuständigkeit wechselte, die Probleme bleiben.
Jahrelang galt die Asse als Pilotprojekt für Gorleben. Die Einlagerung von wärmeentwickelnden radioaktiven Abfällen wurde dort simuliert. Wärmequellen sollten Aufschluss geben, wie sich das Salzgestein verhält. Zum Glück konnte Anfang der 90er Jahre verhindert werden, dass hochradioaktiver Müll aus der Plutoniumfabrik und Waffenschmiede Hanford (USA) eingelagert wurde. Jeder Salzstock hat ein individuelles Design. Deshalb verbietet sich ein Kurzschluss – die Asse säuft ab, also geht Gorleben nicht. Morsleben und die Asse II waren Gewinnungsbergwerke, dort wurde Kali abgebaut. Gorleben gilt als »unverritzt«. Doch die Parallelen zwischen der Asse und Gorleben liegen auf der Hand: Wasserkontakt, Gefälligkeitsgutachten, die Anwendung des Berg- statt des Atomrechts, was die Öffentlichkeit bei der »Erkundung« faktisch ausschließt. Die Befürworter Gorlebens sollten unbedingt in den Unterlagen des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1984 blättern. Der »Bericht der Bunderegierung zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischen Einrichtungen« dokumentiert, dass von neun angehörten Experten fünf sich für einen Abbruch der Erkundung in Gorleben aus geologischen Gründen aussprachen.
Das Gorleben-Moratorium des Jahres 2000 war Ergebnis eines politischen Kompromisses, zustande gekommen ist das Moratorium aber nur, weil Geologen an der Eignung Gorlebens zweifeln. Auf 300 Seiten legte Prof. Dr. Klaus Duphorn bereits 1982 fundiert und akribisch dar, welche Risiken der Salzstock Gorleben als Folge der komplizierten geologischen Struktur und der Wasserkontakte für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle birgt. Auftraggeber war die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), also die Vorgängerbehörde des BfS.
Im Mai 1983 hatte der Amtsleiter Professor Helmut Röthemeyer in Hannover gegenüber Journalisten eine Zusammenfassung der bis dahin vorliegenden Untersuchungsergebnisse mit einer »internen Gesamtbewertung« verbunden, die zu der Empfehlung gelangte, »das Erkundungsrisiko breiter zu streuen«. Ziel der PTB war es, auch andere Salzstöcke zu erkunden. Für eine Behörde war das ein unerhört mutiger Schritt, konsequenter wäre gewesen, ganz auf die Einbahnstraße Gorleben zu verzichten. Erst zwei Jahre später erfuhr die Presse, dass die Bundesregierung der PTB per Weisung untersagt hatte, derartige Überlegungen anzustellen (FR 25.7.1985 »Maulkorb für kritische Äußerung über Gorleben«). Übrigens: Unverritzt ist auch das Endlagerbergwerk Gorleben nicht mehr. Mit dem Ausbau der Schachtanlage wurden Wasserwegsamkeiten eröffnet. Spätestens während einer Betriebsphase wäre ein solches Argument ohnehin hinfällig.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel plädiert für einen Standortvergleich und räumt ein, dass es eine Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Endlagersuche geben müsste. Soweit könnte man ihm zustimmen. Vorab aber hat er Sicherheitskriterien veröffentlicht, die auf Gorleben zugeschnitten wurden: Es ist nicht mehr die Rede von einem Mehrbarrierensystem. Allein das Endlagergestein soll für eine Million Jahre Sicherheit bieten. Welch Hybris! In allen Interviews wiederholt er, dass Gorleben als Endlager zu Ende gebaut wird, wenn sich keine Alternativen aufdrängen. Es drängt sich eher die Frage auf, warum allein in Deutschland die nukleare Community auf Salz als Endlagergestein setzt. Es gibt gleich zwei Einbahnstraßen: Gorleben und Salz.
Völlig unberührt von diesen Vorgängen trommeln die Unionsparteien für die Nutzung der Atomkraft, die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Vor allem Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) tut sich mit seinem Lobbyismus hervor. Mal bewirbt er in Greenwash-Manier den angeblich CO2- freien Atomstrom, mal lockt er mit Zuschüssen beim Kauf von Elektrogeräten. Sofort und sorgfältig koordiniert wiederholt CSU-Chef Erwin Huber, dass der Salzstock Gorleben als Endlager tauge. Die »Killing Fields« der Pro-Atom-Kampagne wie die Krebshäufung im Umfeld der Atommeiler und das Atommülldesaster werden ausgeblendet. Der Wind dreht sich. Argumente zählen. Der Bundeskanzlerin Angela Merkel entfuhr, um den Dominoeffekt einzugrenzen, nur noch die Klage, dass in Gorleben bereits 1,51 Milliarden Euro verbaut wurden. Geld statt Sicherheit. Das ist übrigens die einzige Summe, die von den Atomstromproduzenten aufgebracht werden musste. Ein Witz angesichts der 30 Milliarden Euro, die die Atomstromkonzerne steuerfrei an Rücklagen für die nukleare Entsorgung angehäuft haben. Allein aus den Zinsen ließen sich Alternativen zu Gorleben erkunden. Es ist eine gute Zeit für Weichenstellungen. Das Asse-Desaster lenkt den Blick auf das Gorleben-Desaster. Und das Atommülldesaster verbietet den Weiterbetrieb oder gar die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken.
Quelle: Neues Deutschland
Die Endlagersuche ist gründlich vermASSElt
Von Wolfgang Ehmke
Wolfgang Ehmke, 1947 im Wendland geboren, studierte Romanistik und Germanistik sowie Interkulturelle Pädagogik an der Universität Hamburg. Er arbeitet als Oberstudienrat an einem Hamburger Wirtschaftsgymnasium. Wolfgang Ehmke engagiert sich seit der Standortbenennung Gorlebens im Jahr 1977 in der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg und hat zahlreiche Beiträge zum Themenkreis nukleare Endsorgung publiziert.
Die Asse bringt es an den Tag! Jahrelang wurden die Warnungen von Bürgerinitiativen und Wissenschaftlern ignoriert, bis kontaminierte Laugenzuflüsse in der Kaligrube Asse II bei Wolfenbüttel für Schlagzeilen sorgten. Diese wurden ohne jede Genehmigung in die Tiefe gepumpt. 1965 kauft die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF), die Vorläuferin des heutigen Betreibers, des Helmholtz-Zentrums, im Auftrag des Bundes das Kalibergwerk für 800 000 DM. Vom 4.4.1967 bis Ende 1978 wurden 124 494 Fässer mit schwachradioaktiven Abfällen gestapelt oder verstürzt. Aus der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe kamen 1293 Fässer mit mittelradioaktivem Abfall hinzu. Lecke und korrodierte Fässer wurden angeliefert, flüssige Abfälle eingelagert.
Auf ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren wurde seitens der GSF bewusst verzichtet, eine Bergung der Fässer war nie vorgesehen. Von Anfang an wussten die Betreiber von der Gefahr eines Wasserzuflusses. Doch Gefälligkeitsgutachter deckelten das riskante Unternehmen. Seit 1988 werden 12 Kubikmeter Wasser aufgefangen und abgepumpt. Die Lauge umspült zumindest eine Einlagerungskammer. Die Asse II säuft ab, der radioaktive Müll liegt drin. Ob eine – zumindest teilweise – Evakuierung der Abfälle noch möglich ist, soll bis zum Jahresende entschieden werden. 2,5 Milliarden Euro sind laut Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) für die Notsicherung veranschlagt. Die Zuständigkeit wechselte, die Probleme bleiben.
Jahrelang galt die Asse als Pilotprojekt für Gorleben. Die Einlagerung von wärmeentwickelnden radioaktiven Abfällen wurde dort simuliert. Wärmequellen sollten Aufschluss geben, wie sich das Salzgestein verhält. Zum Glück konnte Anfang der 90er Jahre verhindert werden, dass hochradioaktiver Müll aus der Plutoniumfabrik und Waffenschmiede Hanford (USA) eingelagert wurde. Jeder Salzstock hat ein individuelles Design. Deshalb verbietet sich ein Kurzschluss – die Asse säuft ab, also geht Gorleben nicht. Morsleben und die Asse II waren Gewinnungsbergwerke, dort wurde Kali abgebaut. Gorleben gilt als »unverritzt«. Doch die Parallelen zwischen der Asse und Gorleben liegen auf der Hand: Wasserkontakt, Gefälligkeitsgutachten, die Anwendung des Berg- statt des Atomrechts, was die Öffentlichkeit bei der »Erkundung« faktisch ausschließt. Die Befürworter Gorlebens sollten unbedingt in den Unterlagen des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1984 blättern. Der »Bericht der Bunderegierung zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischen Einrichtungen« dokumentiert, dass von neun angehörten Experten fünf sich für einen Abbruch der Erkundung in Gorleben aus geologischen Gründen aussprachen.
Das Gorleben-Moratorium des Jahres 2000 war Ergebnis eines politischen Kompromisses, zustande gekommen ist das Moratorium aber nur, weil Geologen an der Eignung Gorlebens zweifeln. Auf 300 Seiten legte Prof. Dr. Klaus Duphorn bereits 1982 fundiert und akribisch dar, welche Risiken der Salzstock Gorleben als Folge der komplizierten geologischen Struktur und der Wasserkontakte für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle birgt. Auftraggeber war die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), also die Vorgängerbehörde des BfS.
Im Mai 1983 hatte der Amtsleiter Professor Helmut Röthemeyer in Hannover gegenüber Journalisten eine Zusammenfassung der bis dahin vorliegenden Untersuchungsergebnisse mit einer »internen Gesamtbewertung« verbunden, die zu der Empfehlung gelangte, »das Erkundungsrisiko breiter zu streuen«. Ziel der PTB war es, auch andere Salzstöcke zu erkunden. Für eine Behörde war das ein unerhört mutiger Schritt, konsequenter wäre gewesen, ganz auf die Einbahnstraße Gorleben zu verzichten. Erst zwei Jahre später erfuhr die Presse, dass die Bundesregierung der PTB per Weisung untersagt hatte, derartige Überlegungen anzustellen (FR 25.7.1985 »Maulkorb für kritische Äußerung über Gorleben«). Übrigens: Unverritzt ist auch das Endlagerbergwerk Gorleben nicht mehr. Mit dem Ausbau der Schachtanlage wurden Wasserwegsamkeiten eröffnet. Spätestens während einer Betriebsphase wäre ein solches Argument ohnehin hinfällig.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel plädiert für einen Standortvergleich und räumt ein, dass es eine Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Endlagersuche geben müsste. Soweit könnte man ihm zustimmen. Vorab aber hat er Sicherheitskriterien veröffentlicht, die auf Gorleben zugeschnitten wurden: Es ist nicht mehr die Rede von einem Mehrbarrierensystem. Allein das Endlagergestein soll für eine Million Jahre Sicherheit bieten. Welch Hybris! In allen Interviews wiederholt er, dass Gorleben als Endlager zu Ende gebaut wird, wenn sich keine Alternativen aufdrängen. Es drängt sich eher die Frage auf, warum allein in Deutschland die nukleare Community auf Salz als Endlagergestein setzt. Es gibt gleich zwei Einbahnstraßen: Gorleben und Salz.
Völlig unberührt von diesen Vorgängen trommeln die Unionsparteien für die Nutzung der Atomkraft, die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Vor allem Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) tut sich mit seinem Lobbyismus hervor. Mal bewirbt er in Greenwash-Manier den angeblich CO2- freien Atomstrom, mal lockt er mit Zuschüssen beim Kauf von Elektrogeräten. Sofort und sorgfältig koordiniert wiederholt CSU-Chef Erwin Huber, dass der Salzstock Gorleben als Endlager tauge. Die »Killing Fields« der Pro-Atom-Kampagne wie die Krebshäufung im Umfeld der Atommeiler und das Atommülldesaster werden ausgeblendet. Der Wind dreht sich. Argumente zählen. Der Bundeskanzlerin Angela Merkel entfuhr, um den Dominoeffekt einzugrenzen, nur noch die Klage, dass in Gorleben bereits 1,51 Milliarden Euro verbaut wurden. Geld statt Sicherheit. Das ist übrigens die einzige Summe, die von den Atomstromproduzenten aufgebracht werden musste. Ein Witz angesichts der 30 Milliarden Euro, die die Atomstromkonzerne steuerfrei an Rücklagen für die nukleare Entsorgung angehäuft haben. Allein aus den Zinsen ließen sich Alternativen zu Gorleben erkunden. Es ist eine gute Zeit für Weichenstellungen. Das Asse-Desaster lenkt den Blick auf das Gorleben-Desaster. Und das Atommülldesaster verbietet den Weiterbetrieb oder gar die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken.
Quelle: Neues Deutschland