Montag, 29. September 2008

J. Stay: Plutonium in der Kartoffelscheune

gelesen bei jungle-world
Der Salzstock in Gorleben ist zwar ungeeignet, dennoch möchte Angela Merkel ihn möglichst schnell zu einem Endlager für Atommüll machen. Die Suche nach einem besseren wäre der Atomindustrie nämlich zu teuer.

von Jochen Stay

»Entsorgung« ist der zentrale Begriff, wenn über Atommüll diskutiert wird. Damit ist allerdings nicht gemeint, dass die Sorgen und Probleme der kommenden Generationen mit den Jahrtausende lang strahlenden, radioaktiven Hinterlassenschaften des Atomzeitalters aus der Welt geschafft würden. Im Gegenteil: Seit die ersten kommerziellen Atomkraftwerke in den sechziger Jahren ans Netz gingen, dreht sich die Debatte um »Entsorgung« einzig und allein darum, wie die Sorgen der Kraftwerksbetreiber wegen der wachsenden Atommüllberge in ihren Reaktoren verschwinden können. Noch dazu sollen die AKW ohne große gesellschaftliche Widerstände betrieben werden können. Bisher bedeutet »Entsorgung« also nur die räumliche und zeitliche Verlagerung der Probleme.

Jahrzehntelang wurden hochradioaktive Brenn­elemente nach dem Einsatz im AKW zu den so genannten Wiederaufbereitungsanlagen (WAA) ins französische La Hague und ins britische Sella­field gebracht. Dort fand aber kein Recycling statt, wie der Begriff »Wiederaufbereitung« vielleicht suggeriert, sondern lediglich eine technisch hochkomplizierte Abtrennung des in den Atommeilern entstandenen Plutoniums unter Inkaufnahme der Entstehung weiteren Atommülls. Die Technologie wurde überhaupt nur entwickelt, um für die nukleare Aufrüstung in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts genügend Ausgangsmaterial zu erhalten. Die beiden westeuropäischen Nuklearmächte nutzten das Plutonium entsprechend. Ähnliche Pläne in der Bundesrepublik, wie sie beispielsweise der Bundesatomminister Franz Josef Strauß verfolgte, konnten nicht durchgesetzt werden.

So bestand der wesentliche Nutzen der Wiederaufbereitung für die hiesige Atomindustrie darin, dass der hochradioaktive Müll erst einmal recht weit weg war und man sich keine Sorgen machen musste. Nun kommen die Abfälle aus diesen Anlagen aber nach und nach zurück, beispielsweise in elf Castor-Behältern, die zwischen dem 7. und 10. November von La Hague nach Gorleben rollen sollen.

Dort landet der Müll in einer oberirdischen Leichtbauhalle. Die Bauern aus der Region nennen sie »Kartoffelscheune«, offiziell heißt sie »Zwischenlager«, wobei die Betreiberfirma, eine Tochter der großen Stromkonzerne, nicht sagen kann, was denn nach der Zwischenlagerung kommen wird. Die großen, gusseisernen Container sind für eine Lebensdauer von 40 Jahren ausgelegt. Der erste wurde 1995 in die Halle gestellt, inzwischen lagern dort 80 Behälter mit radioaktivem Material, das für ein Dutzend Tschernobyls taugen würde. Gekühlt werden die heißen Behälter mit einem »Naturluftzug«. Das bedeutet: Die Halle hat seitlich Lüftungsschlitze, die Luft strömt durch diese herein, erwärmt sich an den Castoren und tritt aus Öffnungen im Dach wieder aus. Die Leute im Wendland sagen: »Die kühlen die Behälter mit unserer Atemluft.«

Auf der anderen Straßenseite im Wald von Gorleben ist das Bergwerk, in dem in 800 Metern Tiefe untersucht wird, ob im Steinsalz ein guter Lagerplatz zu finden ist, um die strahlenden Stoffe eine Million Jahre von der Biosphäre fernzuhalten. Unabhängige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler halten den Salzstock Gorleben für ungeeignet, weil er unmittelbaren Kontakt zum Grundwasser hat. Seit dem Jahr 2000 gibt es ein für zehn Jahre geltendes Moratorium. In dieser Zeit soll nach Alternativen gesucht werden – was seither aber niemand getan hat. Die rot-grüne Bundesregierung konnte sich nicht dazu durchringen, das Bergwerk zu schließen. Denn ohne die Schächte in Gorleben könnte der so genannte Entsorgungsvorsorgenachweis der Atomkraftwerke nicht garantiert werden. Er ist nämlich erbracht, wenn es »Fortschritte bei der Suche nach einem Endlager« gibt.

Alle erdenklichen Industriebranchen dürfen nur dann produzieren, wenn die Entsorgung ihrer Abfälle geklärt ist. In der Atomindustrie reicht es, wenn nach einem Weg gesucht wird. Beispielhaft für diese Tatsache steht Gorleben. Hier wird nach Bergrecht vorgegangen, nicht nach dem Atomgesetz. So haben die Anwoh­nerinnen und Anwohner weit geringere Einspruchsrechte. Das kennt man bereits aus der Asse, jenem »Versuchsendlager«, in dem 126 000 mit Atommüll gefüllte Behälter vor sich hin gammeln.

Was die Asse betrifft, wurden die Rollen nun neu verteilt: Die Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaftler des Helmholtz-Zentrums, das zum Zuständigkeitsbereich von Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) gehört, haben nicht mehr das Sagen. Stattdessen ist nun das dem Ressort von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) unterstellte Bundesamt für Strahlenschutz zuständig. Der Vorteil ist: Ab sofort lässt sich bei allen neuen Ungeheuerlichkeiten, die noch im Fall der Asse auftauchen, die Schuld immer auf die vorher Verantwortlichen schieben.

Auf dem Höhepunkt der Debatte um die Asse, als alle Beteiligten die skandalöse Lage in dem Bergwerk in der Nähe von Wolfenbüttel mit der in Gorleben verglichen, entschloss sich die Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die der Atomindustrie wohlgesonnen ist, für die Vorwärtsverteidigung. Sie forderte die Aufhebung des für den Salzstock im Wendland geltenden Moratoriums und lehnte den Vorschlag des Umweltministers ab, auch an anderen Standorten nach Gesteinsschichten zu suchen, die möglicherweise besser für die Lagerung hochradioaktiver Abfälle geeignet sind. Merkel sagte vor den in Berlin versammelten Kreisvorsitzenden ihrer Partei, sie habe »keine Lust, weitere Milliarden auszugeben«, um nach einer Alternative für Gorleben zu suchen.

Da haben Generationen von Politikerinnen und Politikern versucht, der Bevölkerung im Wendland und darüber hinaus weis zu machen, das Bergwerk in Gorleben diene nur der Erkundung, mit den bisher für diese ausgegebenen 1,5 Milliarden Euro habe man sich noch nicht festgelegt und am Ende würden die Geologen entscheiden. Richtig viele haben das ohnehin nicht geglaubt. Doch nun hat erstmals eine Spitzenpolitikerin ausdrücklich gesagt: Man hat sich vor mehr als 30 Jahren nicht aus wissenschaftlichen, sondern aus politischen Gründen für den Standort Gorleben entschieden. Es ging und geht dabei nicht um die Sicherheit, sondern darum, ein lästiges Problem irgendwo loszuwerden. Denn nur so können die Geschäfte der Stromkonzerne mit den AKW reibungslos weiterlaufen.

Es wäre nämlich nicht Merkel, die auf der Suche nach einem Endlager Milliarden ausgeben müsste. Nach dem Verursacherprinzip wären Eon, Vattenfall, RWE und andere zur Zahlung verpflichtet. Und die 1,5 Milliarden Euro, die in den vergangenen Jahrzehnten in Gorleben für einen ungeeigneten Salzstock ausgegeben wurden, entsprechen ungefähr dem Betrag, den die AKW-Betreiber jährlich allein daran verdienen, dass ihre Brennelemente steuerbefreit sind.
Quelle: jungle-world.com