Ein Film von RBB Kontraste 7.21min
Bericht: Manka Heise und Chris Humbs
Risiko Atommüll – Röttgen will Sicherheitsstandards senken
Bundesumweltminister Röttgen will die Sicherheitsstandards am geplanten atomaren Endlager Gorleben senken. Geplant ist, auf eine Rückholbarkeit des Strahlenmülls zu verzichten. Das Risiko: Es könnte im Salzstock zu chemischen Reaktionen bis hin zu Explosionen kommen.
Sicherheit geht in Deutschland über alles. In kaum einem anderen Land sind die Auflagen für Unternehmen und Organisationen so umfangreich. Jede Fabrik, jede U-Bahn, jedes Forschungsexperiment ist auf einen möglichen Worst Case vorbereitet. Falls etwas passiert, gibt es immer einen Rettungsplan. Doch ausgerechnet bei der Endlagerung von Atommüll, einem der risikoreichsten technischen Vorhaben überhaupt, will man darauf künftig verzichten. Bundesumweltminister Röttgen will, wie KONTRASTE herausfand, beim geplanten Atomendlager Gorleben die Sicherheitsstandards senken. Der strahlende Abfall soll für immer und nicht rückholbar im Salz verschwinden. Manka Heise und Chris Humbs.
Wir sind in Gorleben, über 800 Meter tief im Salzstock. Eigentlich sollte es hier trocken sein. Doch dann sehen wir rostige Schrauben: Lauge tritt aus. Mit Eimern fängt man sie auf - und dann sehen wir sogar einen richtigen Abfluss. Aus dieser Probe-Bohrung liefen 165 Kubikmeter der Salzlauge. Darüber will aber keiner so recht mit uns vor der Kamera reden.
Auch nicht der zuständige Umweltminister. Ein Interview zu den Problemen lehnt Norbert Röttgen ab. In seinen Pressestatements gibt er sich offen für alles, doch in Wahrheit ist und bleibt Gorleben sein klarer Favorit für die Endlagerung des hochradiaktiven Mülls.
Norbert Röttgen (CDU), Bundesumweltminister
„Zur Offenheit des Verfahrens gehört, dass man sich auch auf Alternativen vorbereiten muss. Auch das werden wir tun, ohne dadurch die Priorität Gorleben in Frage zu stellen.“
Gorleben hat eben Priorität – und was nicht passt, wird passend gemacht. Schließlich ist in diesen Salzstock schon viel Geld gesteckt worden. Trotz drohender Gefahren will nun Röttgen den Müll für immer im Salz versenken. Genau das sagt sein neuer Entwurf zu den Sicherheitsanforderungen aus, der KONTRASTE vorliegt.
Bisher gab es einen Passus, der vorschreibt, dass die Bergung des Mülls 500 Jahre lang möglich sein muss. Im neuen Entwurf von Minister Röttgen ist die Bergung, also die Rückholbarkeit, gestrichen.
Eine sehr riskante Entscheidung, erfahren wir im niederländischen Groningen.
Hier an der Universität hat man – weltweit führend - Salz hochradioaktiver Strahlung ausgesetzt. Fazit: Über längere Zeit könnte Salz den Atommüll eventuell nicht mehr sicher abdichten – es wird spröde und rissig.
Dr. David Vainshtein, Atomphysiker
„Während der Bestrahlung zerfällt das Salz in Natrium und Chlor. Und dieser Zustand entwickelt ein Eigenleben.“
Dieser Prozess heißt Radiolyse. Die Strahlen des hochradiaktiven Mülls beschießen die Salzkristalle. Dabei werden Natrium- und Chloratome aus den Molekülen herauskatapultiert.
Diese freien und aufgeladenen Atome springen aber sofort wieder an ihren Platz zurück. Dabei entladen sie sich explosionsartig.
Dr. David Vainshtein, Atomphysiker
„Das kann sehr, sehr gefährlich werden, da das Salz insgesamt instabil wird.“
Trotz dieses Risikos plant man in Deutschland, den hochradioaktiven Müll ohne große Abschirmung in Bohrlöchern zu lagern. Durch die Bestrahlung entstehen unzähligen kleinen Explosionen. Dadurch könnte eine Hitze von bis zu 1.500 Grad Celsius entstehen, befürchten die Wissenschaftler. Diese Temperaturen reichen, um den Müll zum Schmelzen zu bringen.
Noch mehr Strahlung würde so freigesetzt werden. Das Salz wird immer instabiler. Über Risse könnte Lauge zum Müll gelangen und so die Reaktionen noch verstärken. Größere Risse wären die Folge. Radioaktivität könnte so nach außen gelangen, die Umgebung kontaminieren. Eine Gefahr für die Umwelt.
Der niederländische Publizist Hermann Damveld begleitet die Endlagersuche in Europa seit drei Jahrzehnten. In Holland lässt man aufgrund der strahlungsbedingten Veränderungen längst die Finger vom Salz.
Herman Damveld, Endlagerexperte
„Man dachte, wenn Radioaktivität eine explosionsartige Folge auf Salz hat, dann ist Salz vielleicht nicht so geeignet.“
In den Niederlanden haben deshalb bis heute keine Probebohrungen im Salz stattgefunden - Dänemark und Frankreich haben sich ebenfalls vom Salz abgewendet. Selbst die Regierung der USA, einst Verfechter vom Salz, sieht nun bei der Endlagerung für hochradioaktiven Müll Schwierigkeiten.
Zitat
„…hitzeerzeugender Abfall, wie verbrauchte Brennstäbe, beschleunigt einen Prozess, der Salz schnell deformiert. Dies könnte möglicherweise zu Problemen führen.“
In Deutschland versuchten Wissenschaftler Anfang der 90er zu belegen, dass Salz doch als Endlagerstätte geeignet ist. Selbst bei diesen Versuchen mit schwach radiaktivem Abfall im Forschungsbergwerk Asse veränderte sich das Salz sichtbar durch die dunkle Verfärbung.
Trotzdem soll die Einlagerung von hochradioaktiven Abfällen in Gorleben kein Problem sein. Das meint zumindest Klaus Kühn. Er war Chef der Asse und Leiter der Tests mit Salz.
Klaus Kühn, ehem. Asse-Leiter
„Wir haben Gorleben relevante Forschungen in der Asse betrieben."
KONTRASTE
„Was kam dabei heraus?“
Klaus Kühn, ehem. Asse-Leiter
„Positive Ergebnisse soweit wir die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu Ende durchführen durften. Aller bisher vorliegenden Ergebnisse sind positiv, das heißt, die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einer Salzformation ist die beste Lösung.“
Wirklich aussagekräftige Versuche mit hoher Strahlung hat Kühn in der Asse nie durchgeführt. Weder die Atomwirtschaft noch der Staat wollten hierfür das nötige Geld investieren. Was bleibt, sind Vermutungen. Trotzdem bescheinigt Klaus Kühn als Berater der Bundesregierung grünes Licht für Salz.
Für die Wissenschaftler aus Groningen ist das ein Skandal. In einem Brief an die Mitglieder des Umweltausschusses warnen sie vor Klaus Kühn. In einem Beratungsgespräch habe er den Politikern die international anerkannten Forschungsergebnisse falsch wiedergegeben. In der Mitteilung an die Fachpolitiker heißt es:
Zitat
„Ich schreibe Ihnen diesen Brief, da unsere Arbeit an diesem Thema in einer sehr unkorrekten Weise dargestellt wurde. Die Realität entspricht exakt dem Gegenteil dessen, was Dr. Kühn Ihnen erklärte.“
Doch die Bundesregierung setzt weiter auf die Gutachten des ehemaligen Asse-Chefs und dessen Mitarbeitern. Auf diejenigen, die schon die Sicherheitsfragen in der Asse völlig falsch einschätzten und auf die Probleme im illegalen Endlager zu spät reagierten.
Auf Anfrage von KONTRASTE, ob es gerade wegen der Laugenzuflüsse neuen Forschungsbedarf zur Radiolyse gäbe, heißt es:
Zitat
„Nein.“
Trotz all der unerforschten Risiken mit dem hochradioaktiven Müll soll dieser für immer und unwiederbringlich im Salz versenkt werden.
Dr. David Vainshtein, Atomphysiker
„Es ist vergleichbar mit einem Teekessel, den man auf das Feuer stellt und fest verschließt und dann das Wasser kocht. Der Kessel kann explodieren oder nicht. Fakt ist, es ist eine ziemlich gefährliche Art und Weise, den Tee zu kochen.“
Eine Option auf eine rettende Bergung des Mülls im Notfall wurde auf Bitten der Atomindustrie gestrichen. Eine Offenhaltung und sichere Überwachung des Endlagers über viele Jahre wäre nämlich sehr teuer. Diese Kosten müssten die AKW-Betreiber auf den Strompreis umlegen. Und das würde nun mal den Atomstrom sehr unattraktiv machen.
Sicherheit geht in Deutschland über alles. In kaum einem anderen Land sind die Auflagen für Unternehmen und Organisationen so umfangreich. Jede Fabrik, jede U-Bahn, jedes Forschungsexperiment ist auf einen möglichen Worst Case vorbereitet. Falls etwas passiert, gibt es immer einen Rettungsplan. Doch ausgerechnet bei der Endlagerung von Atommüll, einem der risikoreichsten technischen Vorhaben überhaupt, will man darauf künftig verzichten. Bundesumweltminister Röttgen will, wie KONTRASTE herausfand, beim geplanten Atomendlager Gorleben die Sicherheitsstandards senken. Der strahlende Abfall soll für immer und nicht rückholbar im Salz verschwinden. Manka Heise und Chris Humbs.
Wir sind in Gorleben, über 800 Meter tief im Salzstock. Eigentlich sollte es hier trocken sein. Doch dann sehen wir rostige Schrauben: Lauge tritt aus. Mit Eimern fängt man sie auf - und dann sehen wir sogar einen richtigen Abfluss. Aus dieser Probe-Bohrung liefen 165 Kubikmeter der Salzlauge. Darüber will aber keiner so recht mit uns vor der Kamera reden.
Auch nicht der zuständige Umweltminister. Ein Interview zu den Problemen lehnt Norbert Röttgen ab. In seinen Pressestatements gibt er sich offen für alles, doch in Wahrheit ist und bleibt Gorleben sein klarer Favorit für die Endlagerung des hochradiaktiven Mülls.
Norbert Röttgen (CDU), Bundesumweltminister
„Zur Offenheit des Verfahrens gehört, dass man sich auch auf Alternativen vorbereiten muss. Auch das werden wir tun, ohne dadurch die Priorität Gorleben in Frage zu stellen.“
Gorleben hat eben Priorität – und was nicht passt, wird passend gemacht. Schließlich ist in diesen Salzstock schon viel Geld gesteckt worden. Trotz drohender Gefahren will nun Röttgen den Müll für immer im Salz versenken. Genau das sagt sein neuer Entwurf zu den Sicherheitsanforderungen aus, der KONTRASTE vorliegt.
Bisher gab es einen Passus, der vorschreibt, dass die Bergung des Mülls 500 Jahre lang möglich sein muss. Im neuen Entwurf von Minister Röttgen ist die Bergung, also die Rückholbarkeit, gestrichen.
Eine sehr riskante Entscheidung, erfahren wir im niederländischen Groningen.
Hier an der Universität hat man – weltweit führend - Salz hochradioaktiver Strahlung ausgesetzt. Fazit: Über längere Zeit könnte Salz den Atommüll eventuell nicht mehr sicher abdichten – es wird spröde und rissig.
Dr. David Vainshtein, Atomphysiker
„Während der Bestrahlung zerfällt das Salz in Natrium und Chlor. Und dieser Zustand entwickelt ein Eigenleben.“
Dieser Prozess heißt Radiolyse. Die Strahlen des hochradiaktiven Mülls beschießen die Salzkristalle. Dabei werden Natrium- und Chloratome aus den Molekülen herauskatapultiert.
Diese freien und aufgeladenen Atome springen aber sofort wieder an ihren Platz zurück. Dabei entladen sie sich explosionsartig.
Dr. David Vainshtein, Atomphysiker
„Das kann sehr, sehr gefährlich werden, da das Salz insgesamt instabil wird.“
Trotz dieses Risikos plant man in Deutschland, den hochradioaktiven Müll ohne große Abschirmung in Bohrlöchern zu lagern. Durch die Bestrahlung entstehen unzähligen kleinen Explosionen. Dadurch könnte eine Hitze von bis zu 1.500 Grad Celsius entstehen, befürchten die Wissenschaftler. Diese Temperaturen reichen, um den Müll zum Schmelzen zu bringen.
Noch mehr Strahlung würde so freigesetzt werden. Das Salz wird immer instabiler. Über Risse könnte Lauge zum Müll gelangen und so die Reaktionen noch verstärken. Größere Risse wären die Folge. Radioaktivität könnte so nach außen gelangen, die Umgebung kontaminieren. Eine Gefahr für die Umwelt.
Der niederländische Publizist Hermann Damveld begleitet die Endlagersuche in Europa seit drei Jahrzehnten. In Holland lässt man aufgrund der strahlungsbedingten Veränderungen längst die Finger vom Salz.
Herman Damveld, Endlagerexperte
„Man dachte, wenn Radioaktivität eine explosionsartige Folge auf Salz hat, dann ist Salz vielleicht nicht so geeignet.“
In den Niederlanden haben deshalb bis heute keine Probebohrungen im Salz stattgefunden - Dänemark und Frankreich haben sich ebenfalls vom Salz abgewendet. Selbst die Regierung der USA, einst Verfechter vom Salz, sieht nun bei der Endlagerung für hochradioaktiven Müll Schwierigkeiten.
Zitat
„…hitzeerzeugender Abfall, wie verbrauchte Brennstäbe, beschleunigt einen Prozess, der Salz schnell deformiert. Dies könnte möglicherweise zu Problemen führen.“
In Deutschland versuchten Wissenschaftler Anfang der 90er zu belegen, dass Salz doch als Endlagerstätte geeignet ist. Selbst bei diesen Versuchen mit schwach radiaktivem Abfall im Forschungsbergwerk Asse veränderte sich das Salz sichtbar durch die dunkle Verfärbung.
Trotzdem soll die Einlagerung von hochradioaktiven Abfällen in Gorleben kein Problem sein. Das meint zumindest Klaus Kühn. Er war Chef der Asse und Leiter der Tests mit Salz.
Klaus Kühn, ehem. Asse-Leiter
„Wir haben Gorleben relevante Forschungen in der Asse betrieben."
KONTRASTE
„Was kam dabei heraus?“
Klaus Kühn, ehem. Asse-Leiter
„Positive Ergebnisse soweit wir die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu Ende durchführen durften. Aller bisher vorliegenden Ergebnisse sind positiv, das heißt, die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einer Salzformation ist die beste Lösung.“
Wirklich aussagekräftige Versuche mit hoher Strahlung hat Kühn in der Asse nie durchgeführt. Weder die Atomwirtschaft noch der Staat wollten hierfür das nötige Geld investieren. Was bleibt, sind Vermutungen. Trotzdem bescheinigt Klaus Kühn als Berater der Bundesregierung grünes Licht für Salz.
Für die Wissenschaftler aus Groningen ist das ein Skandal. In einem Brief an die Mitglieder des Umweltausschusses warnen sie vor Klaus Kühn. In einem Beratungsgespräch habe er den Politikern die international anerkannten Forschungsergebnisse falsch wiedergegeben. In der Mitteilung an die Fachpolitiker heißt es:
Zitat
„Ich schreibe Ihnen diesen Brief, da unsere Arbeit an diesem Thema in einer sehr unkorrekten Weise dargestellt wurde. Die Realität entspricht exakt dem Gegenteil dessen, was Dr. Kühn Ihnen erklärte.“
Doch die Bundesregierung setzt weiter auf die Gutachten des ehemaligen Asse-Chefs und dessen Mitarbeitern. Auf diejenigen, die schon die Sicherheitsfragen in der Asse völlig falsch einschätzten und auf die Probleme im illegalen Endlager zu spät reagierten.
Auf Anfrage von KONTRASTE, ob es gerade wegen der Laugenzuflüsse neuen Forschungsbedarf zur Radiolyse gäbe, heißt es:
Zitat
„Nein.“
Trotz all der unerforschten Risiken mit dem hochradioaktiven Müll soll dieser für immer und unwiederbringlich im Salz versenkt werden.
Dr. David Vainshtein, Atomphysiker
„Es ist vergleichbar mit einem Teekessel, den man auf das Feuer stellt und fest verschließt und dann das Wasser kocht. Der Kessel kann explodieren oder nicht. Fakt ist, es ist eine ziemlich gefährliche Art und Weise, den Tee zu kochen.“
Eine Option auf eine rettende Bergung des Mülls im Notfall wurde auf Bitten der Atomindustrie gestrichen. Eine Offenhaltung und sichere Überwachung des Endlagers über viele Jahre wäre nämlich sehr teuer. Diese Kosten müssten die AKW-Betreiber auf den Strompreis umlegen. Und das würde nun mal den Atomstrom sehr unattraktiv machen.