Samstag, 29. Oktober 2011

Umweltschützer: Strahlenwerte rund um Gorleben sind gefälscht /29.09.11

Bürgerinitiative kritisiert Messmethoden für Atommüll-Lager - Strafanzeige gestellt

Die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) rechne seit Jahren mit einem falschen Wert für die natürliche Strahlung, so die Bürgerinitiative

Schwere Vorwürfe gegen Gorleben-Betreiber: Atomexperten der Bürgerinitiative Umweltschutz (BI) werfen der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) vor, Strahlenmessungen rund um das Atommülllager Gorleben gefälscht zu haben. Ein seit 2004 genutzter sogenannter Nullpunkt zur natürlichen Gammastrahlung sei nicht nur in direkter Nähe des Zwischenlagers ermittelt worden, sondern auch während dort die ersten Castoren eingelagert gewesen seien, sagte Wolfgang Kallen von der BI am Mittwoch in Hannover. "Das ist wissenschaftlich dilettantisch." Zudem sei es nicht zulässig, da sich die Jahresdosis durch die Einlagerung der Castoren seit 1997 stetig erhöht habe. Die BI beruft sich auf veröffentlichte GNS-Betriebsberichte.

Die BI hat bei der Staatsanwaltschaft Lüneburg wegen "unerlaubter Freisetzung ionisierender Strahlung" Strafanzeige gegen den Betreiber gestellt. Sie klagt unter anderem gegen die Umlagerung von Castoren im Behälterlager und die mögliche Überschreitung des Grenzwertes in diesem Jahr. "Wenn die Grenzwerte überschritten werden, machen sich alle an der Einlagerung Beteiligten - auch Polizisten und Wachpersonal - strafbar", sagte Anwalt Martin Lemke. Die Staatsanwaltschaft hat vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) eine Stellungnahme angefordert. Sollte sie nicht ausreichen, könnte zum ersten Mal ein Castortransport nach Gorleben gestoppt werden.

"Seit 2003 werden die vom Bundesamt für Strahlenschutz genehmigten Grenzwerte rund um Gorleben überschritten", betonte Kallen. Nur durch die falschen Berechnungen habe dies bislang keine weiteren Konsequenzen gehabt. Im Falle einer Überschreitung des Jahreswertes von 0,3 Millisievert (mSv) hätte der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) eingreifen und weitere Castor-Einlagerungen abgesagt werden müssen. Für Kallen und seine Mitstreiter steht fest: "Die GNS hat die Berichte absichtlich geschönt."

Zudem habe sich seit Beginn der Einlagerung von Atommüll im Zwischenlager die Neutronenstrahlung im rund 1,9 Kilometer vom Zwischenlager entfernten Ort Gorleben verdoppelt. "Diese Werte wurden von der GNS selbst ermittelt", sagte Kallen.

Die BI fordert die Absage des vermutlich für das erste Adventwochenende geplanten Castortransports. "Wir werden seit 34 Jahren belogen und betrogen", sagte BI-Vorsitzende Kerstin Rudek. "Wir sind keine Zahlen auf Papier, sondern Menschen mit Ängsten." Wenn auch nicht juristisch, so sei Landeschef David McAllister (CDU) zumindest moralisch verantwortlich. "Wir fordern, dass er sich uns stellt, zur Diskussion kommt und nicht heimlich einfährt." McAllister war in der Vorwoche in Gorleben. Auch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) habe bei den Anfang der Woche vorgestellten neuen Messwerten Fehler begangen, betonte Kallen. Einzig der Landesbetrieb NLWKN habe richtig gemessen. Er hatte für das erste Halbjahr am Zaun des Zwischenlagers eine Neutronenstrahlung von 0,27 Millisievert (mSv) verzeichnet und vor einer Überschreitung des Grenzwertes gewarnt. Daraufhin hatte das Umweltministerium bei der PTB neue Messungen in Auftrag gegeben, welche mit 0,212 mSv deutlich niedriger ausgefallen waren. PTB und GNS gehen davon aus, dass es vor Ort keine Gammastrahlung gibt.

Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister rechnet angesichts der Strahlenwerte am Atommülllager Gorleben unterdessen nicht mit einer Absage des Castortransports Ende November. "Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, wird es einen Castortransport geben", sagte der CDU-Politiker. "Wir sind hier nicht im rechtsfreien Raum, sondern es gibt auch rechtliche Ansprüche, an die wir uns zu halten haben." Kürzlich hatte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Hannover die Ergebnisse ihrer jüngsten Strahlenmessungen vorgelegt. Demzufolge liegt die Gesamtstrahlung am Atommüll-Zwischenlager Gorleben deutlich unter dem zugelassenen Jahresgrenzwert.
Quelle: Welt.de