Dienstag, 21. Oktober 2008

Atomgegner kündigen bunten Widerstand gegen Atommülltransport ins Wendland an/ 21.10.08

gelesen bei Neues Deutschland
Straßenblockaden sollen Castoren stoppen
Atomgegner kündigen bunten Widerstand gegen Atommülltransport ins Wendland an
Von Reimar Paul

Im Wendland formiert sich der Protest gegen die bevorstehenden nächsten Transporte von Castorbehältern mit atomarem Restmüll. Ganz sicher ist der Termin noch nicht, sicher ist: Er rückt näher.

Drei Wochen noch bis zum Castortransport. Die fünfte Jahreszeit hat im Wendland längst begonnen. Frisch poliert sind die gelben, zu großen »X« zusammen genagelten Balken vor Scheunen und Hoftoren. Auf Feldern warnen Transparente vor den Gefahren des Atommülls. In der örtlichen »Elbe-Jeetzel-Zeitung« bekunden täglich ganze Dorfgemeinschaften ihren Widerstand gegen Atomkraft und Castortransporte. Polizeihubschrauber überfliegen die Bahnstrecke, auf den Waldwegen patrouillieren Mannschaftswagen.

Offiziell bestätigt wurde der Termin nicht, aber die Atomkraftgegner sind sich sicher: Am 7. November wird ein weiterer Castortransport in Frankreich starten, zwei Tage später soll er im Kreis Lüchow-Dannenberg eintreffen. Die heiße Fracht besteht aus elf gusseisernen Kolossen. Statt des in der Vergangenheit benutzten deutschen Castor-Behälters HAW 20/28 CG kommt erstmals der Behältertyp TN 85 der französischen Firma TN International zum Einsatz. Der Restmüll in La Hague ist wegen des stärkeren Abbrands der AKW-Brennstäbe heißer als die bisher ins Zwischenlager Gorleben angelieferten Abfälle. In der von den Atomgegnern als »Kartoffelscheune« bezeichneten Halle strahlen bereits jetzt 80 Castoren vor sich hin.

Bürgerinitiativen aus dem Wendland und dem gesamten Bundesgebiet kündigen massiven Widerstand gegen die Fuhre an. Bei zahlreichen Versammlungen haben sie in den vergangenen Wochen ein Protestgerüst gezimmert. Auftakt ist am 8. November eine bundesweite Demonstration in Gorleben. Zu der Kundgebung haben auch Umweltorganisationen wie Robin Wood sowie die Grünen und die LINKE aufgerufen. Wegen der Pannen im Endlager Asse und der andauernden Debatte um einen Ausstieg vom Atomausstieg rechnen die Veranstalter mit großem Zulauf zu der Demo.

Für die darauf folgenden Tage sind Straßen- und Schienenblockaden angekündigt. »Wir planen am 9. und 10. November eine große Blockadeaktion auf der Transportstrecke«, sagt der Sprecher der wendländischen Initiative »X-tausendmal quer«, Jochen Stay. Schauplatz dafür soll das Dorf Gorleben selbst sein – kurz vor dem Ort vereinigen sich die beiden in Frage kommenden Transportstrecken vom Dannenberger Bahnhof zu einer Route.

Die Blockade, so Stay, sei »natürlich nicht erlaubt, aber trotzdem legitim«. Man werde der Polizei nicht freiwillig weichen, wolle aber auch keine Eskalation. In den Tagen zuvor könnten Teilnehmer vor Ort in Camps oder bei einem »gewaltfreien Aktionstraining« für die Blockade üben. An den Sitzblockaden wollen sich Stay zufolge auch mehrere Spitzenpolitiker der Grünen beteiligen. Zusagen gebe es beispielsweise von der Bundesvorsitzenden Claudia Roth und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. Auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Bärbel Höhn, Landes- und Fraktionsvorsitzende aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt und die Europaabgeordnete Rebecca Harms wollen bei der Blockade mitmachen.

An der Bahnstrecke bei Hitzacker bereitet sich die Gruppe »Widersetzen« auf Protestaktionen vor. Ein heißer »WidersTanz« ist in dem Waldgebiet Göhrde angekündigt – hier hatten sich Atomkraftgegner und Polizisten bei den vergangenen Castortransporten immer wieder Scharmützel an den Gleisen geliefert. Noch vor Eintreffen des Castortransports wollen in Lüchow Schülerinnen und Schüler auf die Straße gehen. Bereits an diesem Sonnabend gibt es eine Anti-Atom-Demo in Uelzen.

Ein Kulturprogramm zur Einstimmung ist bereits Anfang Oktober im ganzen Wendland angelaufen. Seitdem veranstaltet auch eine aus Senioren bestehende Bürgerinitiative regelmäßig Protestkundgebungen am Dannenberger Verladebahnhof. »Weil wir schon ein bisschen älter sind, bringen wir uns einen Stuhl mit und tun zusammen das, was wir sowieso gerne tun – wir reden, stricken, spielen Karten, trinken Tee, tauschen Koch- und Widerstandsrezepte aus«, erklärt die Gruppe Graue Zellen. Die sogenannte Stuhlprobe werde es nach Abfahrt des Castortransportes in Frankreich täglich geben. Im Verladebahnhof sollen am 9. November die Castorbehälter von Eisenbahnwaggons auf große Lastwagen gehievt werden.
Quelle: Neues Deutschland