Strahlenkatzenjammer
Das Desaster von Asse II kann sich wiederholen: Denn das undichte Endlager für Atommüll ist nur eine Versuchsstätte für den großen Stollen in Gorleben.
von Jochen Stay
Die Leserinnen und Leser brauchen starken Nerven: In dem Buch »Warnungen an die ferne Zukunft« sind die Beiträge eines Wettbewerbs unter Semiotikern veröffentlicht. Semiotiker sind die Wissenschaftler, die sich mit Zeichen beschäftigen. Die Aufgabenstellung des Wettbewerbs war: Welche Kommunikationsmethoden sind geeignet, unsere Nachkommen noch in 10 000 Jahren wissen zu lassen, wo radioaktiver Atommüll lagert und welche Orte man deshalb besser meidet?
Riesige Monumente wie in Stonehenge werden vorgeschlagen, wobei so etwas bekanntlich Schatzgräber eher anlockt als abstößt. Genmanipulierte Katzen sollen bei Strahlung ihre Fellfarbe ändern, und ein Märchen soll dann die Botschaft von der »Strahlenkatze« über die Zeit retten. Einer schlägt gar die Gründung einer »Atompriesterschaft« vor, da in politisch instabilen Zeiten wie z. B. dem Mittelalter allein in Klöstern altes Wissen bewahrt werden konnte.
Die Gedankenspiele der Semiotiker machen nicht den Eindruck, als sei das Problem vernünftig lösbar. Im letzten Kapitel des Buchs zieht Susanne Hauser vom Frauenforschungszentrum Berlin ein ernüchterndes Resümee: »Der Müll steckt längst in uns.« Es habe keinen Sinn, über die langfristige Kennzeichnung von Lagerstätten für Atommüll zu diskutieren, wenn große Mengen strahlender Stoffe bereits heutzutage in die Biosphäre entwichen.
Ganz ähnlich mutet die derzeitige Diskussion um die Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Bundesrepublik an. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) lässt verkünden, der Atommüll müsse für eine Million Jahre sicher gelagert werden. Andererseits erfahren wir seit Monaten immer mehr darüber, dass es im so genannten »Versuchsendlager« Asse II in der Nähe von Wolfenbüttel noch nicht einmal vier Jahrzehnte lang möglich war, das Bergwerk dicht zu halten. Stattdessen zeigt sich Murphys Gesetz in mustergültiger Form: Einsturzgefahr, Wasser dringt ein, radioaktive Laugen treten aus, Grenzwerte werden nicht eingehalten, außer dem genehmigten schwachaktiven Müll wurden auch Kernbrennstoffe eingelagert. Die Fortsetzung folgt.
All dies war den Betreibern und Behörden jahrelang bekannt, wurde aber vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Es ist eigentlich höchste Zeit, den Versuch, ein »Versuchsendlager« zu betreiben, abzubrechen. Aber mehr als 12 000 Fässer voller Atommüll wurden so ins Salzbergwerk gekippt, dass eine Rückholung äußerst teuer wäre und nebenbei auch hochriskant für die mit ihr befassten Arbeiter.
Die Aufarbeitung des Desasters in Asse II wird uns wohl noch Jahre beschäftigen. Doch das ist nur das Vorspiel für den eigentlichen Konflikt: Schließlich wurde das Bergwerk bei Wolfenbüttel von der Atomlobby immer als leuchtendes Vorbild für das eigentliche, große »Atomklo« im Salzstock von Gorleben gepriesen.
In Gorleben wurden bisher mehr als 1,5 Milliarden Euro ausgegeben, um zwei 800 Meter tiefe Schächte und einige Stollen ins Salz zu treiben. Atommüll befindet sich dort unten noch nicht. Er wird oberirdisch in Castor-Behältern in einer gewöhnlichen Lagerhalle aufbewahrt. Seit dem Jahr 2000 gibt es einen Baustopp im Bergwerk. Die rot-grüne Bundesregierung vereinbarte im »Atomkonsens« mit den Stromkonzernen ein zehnjähriges Moratorium, um in dieser Zeit nach Alternativen zum Gorlebener Endlager zu suchen. Nun sind die zehn Jahre Pause bald vorüber, und nichts ist passiert, außer dass täglich in den AKW weiterer Atommüll anfällt.
Zudem scheint sich die Geschichte von Asse II zu wiederholen Sigmar Gabriel hat die aus dem Jahr 1979 stammenden Sicherheitskriterien für ein zukünftiges Atommüll-Endlager aktualisieren lassen. Mit ihnen will er sich nun auf die Suche nach einem geeigneten Ort machen. Bisher galt das »Mehrbarrierenprinzip«: Grundvoraussetzung war, dass sich über dem eigentlichen Salzgestein ein wasserdichtes Deckgebirge befinden musste. Diese Bedingung wurde nun gestrichen. Wie es der Zufall will, fehlt dieser schützende Deckel gerade in Gorleben. Der dortige Salzstock hat direkten Kontakt zum Grundwasser.
Quelle: Jungle World
Das Desaster von Asse II kann sich wiederholen: Denn das undichte Endlager für Atommüll ist nur eine Versuchsstätte für den großen Stollen in Gorleben.
von Jochen Stay
Die Leserinnen und Leser brauchen starken Nerven: In dem Buch »Warnungen an die ferne Zukunft« sind die Beiträge eines Wettbewerbs unter Semiotikern veröffentlicht. Semiotiker sind die Wissenschaftler, die sich mit Zeichen beschäftigen. Die Aufgabenstellung des Wettbewerbs war: Welche Kommunikationsmethoden sind geeignet, unsere Nachkommen noch in 10 000 Jahren wissen zu lassen, wo radioaktiver Atommüll lagert und welche Orte man deshalb besser meidet?
Riesige Monumente wie in Stonehenge werden vorgeschlagen, wobei so etwas bekanntlich Schatzgräber eher anlockt als abstößt. Genmanipulierte Katzen sollen bei Strahlung ihre Fellfarbe ändern, und ein Märchen soll dann die Botschaft von der »Strahlenkatze« über die Zeit retten. Einer schlägt gar die Gründung einer »Atompriesterschaft« vor, da in politisch instabilen Zeiten wie z. B. dem Mittelalter allein in Klöstern altes Wissen bewahrt werden konnte.
Die Gedankenspiele der Semiotiker machen nicht den Eindruck, als sei das Problem vernünftig lösbar. Im letzten Kapitel des Buchs zieht Susanne Hauser vom Frauenforschungszentrum Berlin ein ernüchterndes Resümee: »Der Müll steckt längst in uns.« Es habe keinen Sinn, über die langfristige Kennzeichnung von Lagerstätten für Atommüll zu diskutieren, wenn große Mengen strahlender Stoffe bereits heutzutage in die Biosphäre entwichen.
Ganz ähnlich mutet die derzeitige Diskussion um die Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Bundesrepublik an. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) lässt verkünden, der Atommüll müsse für eine Million Jahre sicher gelagert werden. Andererseits erfahren wir seit Monaten immer mehr darüber, dass es im so genannten »Versuchsendlager« Asse II in der Nähe von Wolfenbüttel noch nicht einmal vier Jahrzehnte lang möglich war, das Bergwerk dicht zu halten. Stattdessen zeigt sich Murphys Gesetz in mustergültiger Form: Einsturzgefahr, Wasser dringt ein, radioaktive Laugen treten aus, Grenzwerte werden nicht eingehalten, außer dem genehmigten schwachaktiven Müll wurden auch Kernbrennstoffe eingelagert. Die Fortsetzung folgt.
All dies war den Betreibern und Behörden jahrelang bekannt, wurde aber vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Es ist eigentlich höchste Zeit, den Versuch, ein »Versuchsendlager« zu betreiben, abzubrechen. Aber mehr als 12 000 Fässer voller Atommüll wurden so ins Salzbergwerk gekippt, dass eine Rückholung äußerst teuer wäre und nebenbei auch hochriskant für die mit ihr befassten Arbeiter.
Die Aufarbeitung des Desasters in Asse II wird uns wohl noch Jahre beschäftigen. Doch das ist nur das Vorspiel für den eigentlichen Konflikt: Schließlich wurde das Bergwerk bei Wolfenbüttel von der Atomlobby immer als leuchtendes Vorbild für das eigentliche, große »Atomklo« im Salzstock von Gorleben gepriesen.
In Gorleben wurden bisher mehr als 1,5 Milliarden Euro ausgegeben, um zwei 800 Meter tiefe Schächte und einige Stollen ins Salz zu treiben. Atommüll befindet sich dort unten noch nicht. Er wird oberirdisch in Castor-Behältern in einer gewöhnlichen Lagerhalle aufbewahrt. Seit dem Jahr 2000 gibt es einen Baustopp im Bergwerk. Die rot-grüne Bundesregierung vereinbarte im »Atomkonsens« mit den Stromkonzernen ein zehnjähriges Moratorium, um in dieser Zeit nach Alternativen zum Gorlebener Endlager zu suchen. Nun sind die zehn Jahre Pause bald vorüber, und nichts ist passiert, außer dass täglich in den AKW weiterer Atommüll anfällt.
Zudem scheint sich die Geschichte von Asse II zu wiederholen Sigmar Gabriel hat die aus dem Jahr 1979 stammenden Sicherheitskriterien für ein zukünftiges Atommüll-Endlager aktualisieren lassen. Mit ihnen will er sich nun auf die Suche nach einem geeigneten Ort machen. Bisher galt das »Mehrbarrierenprinzip«: Grundvoraussetzung war, dass sich über dem eigentlichen Salzgestein ein wasserdichtes Deckgebirge befinden musste. Diese Bedingung wurde nun gestrichen. Wie es der Zufall will, fehlt dieser schützende Deckel gerade in Gorleben. Der dortige Salzstock hat direkten Kontakt zum Grundwasser.
Quelle: Jungle World