Donnerstag, 20. August 2009

Demo in Berlin am 5.09.09 gegen Atomkraft

Die Jahre des Abwartens sind vorbei
Anti-Atom-Aktivistin Kerstin Rudek über die kommende Großdemonstration in Berlin, die Nähe der Bewegung zu Parteien und die Pläne für die Zeit nach der Bundestagswahl
Die 41-jährige Homöopathin ist Mutter von sechs Kindern und seit 2007 Vorsitzende der Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Mit ihr sprach Reimar Paul.

ND: Die Anti-Atom-Bewegung mobilisiert zu einem Treck und einer Großdemo gegen Atomkraft. Es wurden bis zu 100 000 Teilnehmer angekündigt, damit liegt die Messlatte sehr hoch.
Rudek: Vorbild ist der Treck von 1979 aus dem Wendland nach Hannover. Er endete mit einer Demo von über 100 000 Menschen. Daran messen uns jetzt viele. Im Trägerkreis, dem neben der BI und der Bäuerlichen Notgemeinschaft sechs große Umweltverbände und bundesweite Initiativen angehören, reden wir von mehreren 10 000 Menschen, die wir am 5. September in Berlin erwarten.

Wie läuft die Mobilisierung?
Gut. In allen Teilen des Landes planen Leute ihre Reise nach Berlin, teilweise mit Traktor und Ortsschild wie damals. Viele kommen mit Sonderzügen oder mit Dutzenden von Bussen.

Wer soll eigentlich so kurz vor den Bundestagswahlen überzeugt werden? Und wovon?
Der Termin für die Demo wurde bewusst gewählt. Es ist der bestmögliche Zeitpunkt, um die Folgen der Atomkraft anzuprangern und eine Veränderung der verfehlten Energiepolitik einzuleiten.

Welche Folgen? Atomkraft ist doch öko, billig und überhaupt ein Segen, sagen manche in der Union.
In Gegenden mit vorwiegend indigener Bevölkerung wird unter Missachtung von Menschenrechten Uran abgebaut, hierzulande wird das Märchen vom schönen sauberen Atomstrom erzählt. Die Kinderkrebsstudie belegt, dass in der Umgebung von AKW bis zu dreimal so viele Kinder an Leukämie und Krebs erkranken wie anderenorts. Eine Gesellschaft darf keine Energieform nutzen, die solchen Tribut fordert. Weltweit gibt es kein Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Die Hiobsbotschaften aus der Asse zeigen, dass eine sichere Endlagerung nicht machbar ist.

Die deutliche Mehrheit der Bevölkerung dieses Landes ist gegen Atomkraft. Wir wollen die Menschen motivieren, ihre Meinung auf die Straße zu tragen. Dafür bieten wir die Anti-Atom-Demo als Plattform an.

Die Positionen der Parteien scheinen klar: Union und FDP sind für Atomenergie, SPD, Grüne und LINKE dagegen. Warum machen Sie nicht einfach einen Wahlaufruf für eine dieser drei Parteien?
Wir sehen uns nicht als diejenigen, die eine Wahlempfehlung aussprechen. Den Parteien wollen wir klarmachen, dass an dem Thema Energiepolitik niemand vorbeikommt. Es bedarf eines sofortigen Wandels, weg von der Atomkraft, hin zu erneuerbaren Energien. Dafür braucht man gesellschaftlichen Druck.

Die genannten Parteien fordern vor allem die Abschaltung älterer Reaktoren, auch aus der Anti-Atom-Bewegung und von Umweltverbänden war diese Forderung zuletzt zu hören. Ist die Bewegung bescheiden geworden?
Die alten Meiler sind eine ganz besondere Zeitbombe. Die Vorgänge um Krümmel unterstreichen das. Dies ändert nichts an unserer Haltung: Jedes AKW ist schon im Normalbetrieb ein nicht hinzunehmendes Übel, wir als BI fordern die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen. Die Menschen und die Politik müssen sich der Profitgier der Konzerne in den Weg stellen und den Weg freimachen für eine dezentrale Energiegewinnung, die nachhaltig ist und regenerativ.

Wie wollen die Bürgerinitiativen verhindern, dass ihr Protest von den Parteien vereinnahmt wird?
Wir gehen davon aus, dass sich die Parteien, die gegen Atomenergie sind, kräftig an der Demo beteiligen. Trotzdem gibt es eine klare Trennung. Dem Trägerkreis gehören ausschließlich Bürgerinitiativen und Umweltverbände an. Parteien können die Demo unterstützen, mit ihrem Namen, finanziell, logistisch. Auf der Kundgebung am Brandenburger Tor werden sie allerdings nicht in Erscheinung treten. Dort wird es Reden geben, die das Spektrum der Bewegung repräsentieren.

In der Debatte um Atomenergie geht es auch um die Frage, wo der Atommüll hin soll. Früher gab es in der Bewegung die Position, wir beteiligen uns erst an dieser Diskussion, wenn keine Atommüll mehr produziert wird. Gilt das noch?
Unsere Haltung als BI ist ganz klar: Alle Atomkraftwerke stillegen, erst danach ist über den Müll zu reden.

Die BI hat sich aber im November am Endlager-Symposium des Umweltministeriums beteiligt.
Ja, aber mit gemischten Gefühlen. Klar steht die Frage eines Sich-Einlassens im Raum, wenn wir mit mehreren Vorstandsmitgliedern drei Tage an den Diskussionen um Sicherheitskriterien für Endlager teilnehmen. Unser Fazit war, dass die Diskussion meilenweit von einer ernstzunehmenden Debatte entfernt ist. Über eine Million Jahre Sicherheit zu reden, während die Asse bereits nach 40 absäuft, ist absurd. Wir haben uns als BI daher gegen eine weitere Teilnahme an der Diskussion entschieden.

Umweltminister Gabriel will neben Gorleben mehrere Endlagerstandorte untersuchen lassen und den geeignetsten auswählen. Können Sie sich damit arrangieren?
Bis heute hat es kein Auswahlverfahren gegeben. Warum Gorleben damals als einziger Standort genommen wurde, liegt bis heute im Dunkeln. Die Akten über diese Vorgänge sind auch nach 30 Jahren noch geheim. Im Juni ist bekannt geworden, dass von den 1,5 Millionen Euro, die in Gorleben bereits verbuddelt wurden, 800 Millionen Euro in den Ausbau investiert wurden. Das ist ein Skandal.

Heißt das nun Ja oder Nein zu Gorleben, wenn auch andere Standorte erkundet werden?
Gabriel will, dass Gorleben im Topf der möglichen Standorte bleibt. Nur wenn ein anderer Standort sich als besser aufdrängt, soll Gorleben aufgegeben werden. Das ist für uns absolut unakzeptabel. Gorleben muss als Endlagerstandort vom Tisch.

Seit den 80er Jahren ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Salzstock Gorleben für die Lagerung von Atommüll nicht geeignet ist. Laugennester, Anhydrit-Schichten, Wasserwegsamkeiten, ein fehlendes Deckgebirge auf 7,5 Quadratkilometer Fläche sind nur einige Stichworte dazu. Die Asse ist Vorbild für Gorleben gewesen, das wird der Untersuchungsausschuss des niedersächsischen Landtages hoffentlich ans Licht bringen. Und eine Öffentlichkeitsbeteiligung mit Entscheidungskriterien, die vor der Auswahl eines Standortes festgelegt sein müssen, lässt sich nicht nachholen. Der Standort Gorleben ist also auch politisch verbrannt. Mit uns wird es kein Endlager Gorleben geben und gegen uns auch nicht.

Nach den Castortransporten im vergangenen Jahr wurde erklärt, die Anti-Atom-Bewegung sei wieder da. Stimmt das wirklich? Wie stark ist die Bewegung politisch?
16 000 Menschen auf der Kundgebung gegen den Castortransport in Gorleben waren ein starkes Zeichen. Es ist so, dass die Protestveranstaltungen zuletzt weitaus besser besucht waren als in den vorherigen Jahren. Die BI hat gerade eine vierwöchige Bustour durch ganz Deutschland und mehrere Nachbarländer beendet. Die Stimmung allerorts ist gut, die Bereitschaft sich zu engagieren nimmt wieder zu. Die Jahre des Abwartens, was uns der Atomkonsens bringt, sind vorbei. Wenn ich als Stimmungsseismographin sprechen darf, dann ist die Anti- Atom-Bewegung voll im Aufwind. Das ist gut so, denn nur mit einem kräftigen gesellschaftlichen Druck werden wir unser Ziel, die Stilllegung aller Atomanlagen, erreichen.

Gibt es Protestperspektiven über Treck und Großdemo hinaus?
Aber sicher. Unsere Planungen gehen schon weiter. Im nächsten Jahr könnten Castortransporte nach Ahaus, Gorleben und Greifswald rollen. Die werden wir wieder mit all unserer Kreativität und unserem Elan begleiten, es wird bundesweite Kampagnen gegen Castortransporte ohne Entsorgungskonzept geben. Dann läuft das Moratorium in Gorleben aus. Auch hier werden wir Mittel und Wege nutzen, um unseren Anliegen Gehör zu verschaffen. Mit uns ist zu rechnen.

www.anti-atom-treck.de

www.bi-luechow-dannenberg.de
Quelle: Neues Deutschland