Auf Gorleben fixiert
Von Joachim Wille
Die Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hat den Salzstock Gorleben in den 80er Jahren gegen große fachliche Bedenken als Endlagerstandort durchgedrückt. Das belegen interne Dokumente der zuständigen Fachbehörde, die der Frankfurter Rundschau vorliegen. Die Experten mussten ihre Bewertung offenbar auf Druck des Bundeskabinetts umschreiben.
Gorleben wurde damit gegen den ausdrücklichen Rat der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) voreilig als einziger zu untersuchender Standort für hochradioaktiven Atommüll bestimmt.
Die PTB-Experten hatten sich 1983 in ihrer nun bekannt gewordenen ersten Bewertung der 1979 gestarteten Tiefbohrungen dafür ausgesprochen, wegen "Unsicherheiten in Bezug auf Eignungsaussagen" parallel "weitere Standorte" zu erkunden, statt alles auf die Karte Gorleben zu setzen. Sie konnten sich aber offenbar nicht gegen die zuständigen Bundesministerien durchsetzen.
Die Erkundungsarbeiten ruhen zurzeit. Sie wurden im Jahr 2000 für maximal zehn Jahre gestoppt, nachdem Stromkonzerne und rot-grüne Bundesregierung sich im Atomkonsens auf ein Moratorium für das umstrittene Projekt geeinigt hatten. Ziel war es damals, eine neue Endlagersuche von einer "weißen Deutschlandkarte" aus zu starten, um das möglicherweise fragliche Vorgehen bei der Gorleben-Auswahlprozedur zu heilen - was aber bisher nicht geschah.
Viele Schwachpunkte
Das nun der FR vorliegende, nach 26 Jahren aufgetauchte Dokument zeigt, dass schon damals auch die "offiziellen Experten" ein solches Vorgehen befürworteten. Die PTB-Experten warnen in ihrem Gutachten: Es sei festgestellt worden, "dass die über den zentralen Bereichen des Salzstocks Gorleben vorkommenden tonigen Sedimente keine solche Mächtigkeit und durchgehende Verbreitung haben, dass sie in der Lage wären, Kontaminationen auf Dauer von der Biosphäre zurückzuhalten".
Mit anderen Worten: Radioaktive Stoffe könnten unter Umständen ins Grundwasser gelangen. Konkret geht es um eine in der jüngsten Eiszeit entstandene Zerklüftung im Gestein über dem Salzstock. Laut Gutachten muss damit gerechnet werden, dass Schadstoffe bereits nach "600 beziehungsweise 1100 Jahren" in den "untersten Grundwasserleiter" eintreten könnten. Zum Vergleich: Die heute gültigen Anforderungen für Endlager schreiben vor, dass die Sicherheit eine Million Jahre lang gewährleistet werden muss.
Als zweiten möglichen Schwachpunkt identifizierte die PTB den sogenannten Haupt-Anhydrit im Salzgestein selbst. Das Mineral, das härter und spröder als Salz ist, gilt als potenziell wasserführende Schicht. Die PTB-Experten befürchteten, dass sich dort durch die Einlagerung der hochradioaktiven Stoffe, die viel Wärme abgeben, "Wegsamkeiten" für radioaktiv kontaminierte Flüssigkeiten bilden.
Die PTB befürchtete, dass eine voreilige Fixierung auf Gorleben teuer werden könnte. Sie schrieb: "Es ist daher nicht auszuschließen, dass nach erfolgter untertägiger Erkundung aufwendige Maßnahmen an der technischen Barriere notwendig werden, um die Einhaltung von Grenzwerten sicherzustellen." Die Experten plädieren dafür, dieses Risiko nicht blindlings einzugehen: "Ob diese Ausgaben vermeidbar sind, kann nur beantwortet werden, wenn Vergleichsdaten von anderen Standorten vorliegen."
Das Gutachten wurde schnell umgeschrieben
Die PTB-Leitung besprach ihre Bewertung am 5. Mai 1983 mit Experten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und der Deutschen Gesellschaft für den Bau und Betrieb von Endlagern (DBE). Das der FR vorliegende Papier trägt den handschriftlichen Vermerk "Am 5. 5. 83 mit BGR und DBE diskutiert". Zu dem Treffen erschienen unerwartet aber auch Vertreter des Kanzleramtes sowie des Forschungsministeriums, wie der damalige PTB-Abteilungsleiter Professor Helmut Röthemeyer in einem taz-Interview berichtete.
Die Ministeriumsvertreter hätten die PTB zur Änderung ihres Gutachtens aufgefordert. "Es gab nichts Schriftliches, keine schriftliche Weisung, aber wir mussten das Gespräch klar als Weisung auffassen." Röthemeyer sagte der FR, die PTB sei kein Gegner von Gorleben gewesen, weitere Untersuchungen habe man als "Vorsichtsmaßnahme" aber für wichtig gehalten.
Das Gutachten wurde schnell umgeschrieben. In der nur einen Tag später verschickten Neufassung wird das Projekt plötzlich sehr positiv bewertet. Die "Schlussfolgerungen" beginnen mit dem neu hinzugefügten Satz: "Die bisherigen Erkenntnisse über den Salzstock haben die Aussagen über seine Eignungshöffigkeit für die Endlagerung der vorgesehenen radioaktiven Abfälle voll bestätigt".
Derselbe Passus im vorhergehenden Entwurf hingegen hatte die vorhandenen Bedenken ins Zentrum gestellt. Allerdings findet sich auch noch im Papier vom 6. Mai der Vorschlag, parallel zum "Schachtabteufen" in Gorleben andere Standorte "übertägig" zu erkunden, also ohne Bohrungen. Grund: Diese "Erkundungsmaßnahmen vermeiden Sachzwänge bei der Realisierung dieses Endlagers". In der PTB-Urfassung war die Einschränkung "übertägig" noch nicht vorhanden. Der Bund verzichtete auf die Untersuchung anderer Standorte und beschloss am 13. Juli 1983, nur Gorleben zu erkunden. Das hat bisher rund 1,5 Milliarden Euro gekostet.
Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg sieht den Aktenfund als Beleg dafür, "dass die Entscheidung für Gorleben politisch manipuliert wurde". Dem Bund sei es nicht darum gegangen, den besten Standort zu suchen. "Es ging vielmehr darum, die Kosten zu minimieren", sagte BI-Sprecher Wolfgang Ehmke der FR. Die Gegner fordern die neue Bundesregierung, die im September gewählt wird, auf, die Endlagersuche nach modernen Kriterien neu zu starten. Gorleben müsse "endlich raus aus dem Pool der fraglichen Endlagerstandorte".
Quelle: fr-online